Medizinisch begründeter Rasssismus?

Wieso viele Migranten vom Blutspenden ausgeschlossen werden

„Schenke Leben, spende Blut“ – mit diesem Slogan werben das Rote Kreuz und andere Blutspendedienste. Doch viele Menschen sind von dieser Teilhabe dauerhaft ausgeschlossen – vor allem Migranten. Eine Spurensuche.

Täglich werden in Deutschland 15.000 Blutspenden an Kliniken benötigt, um den Bedarf zu decken. Doch die Spenden, die in Kliniken und dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) gesammelt werden, reichen längst nicht aus: Statt der benötigten 6,5 Prozent gehen dem DRK zufolge gerade einmal 3,5 Prozent aller in Deutschland lebenden Menschen regelmäßig zur Blutspende. In Metropolen ist die Situation meist besser: Laut Dr. Ernst-Markus Quenzel vom Städtischen Klinikum München werden dort monatlich durchschnittlich etwa 6.000 Spenden gesammelt. Zur Urlaubszeit oder bei besonders heißem Wetter könne es dennoch zu Engpässen kommen. Trotz dieser Knappheit werden etwa 10 bis 30 Prozent der Spender abgewiesen. Meist geschieht das aus nachvollziehbaren Gründen: zu niedrige Eisenwerte, Einnahme bestimmter Medikamente oder kürzlich erfolgte Operationen. In nicht wenigen Fällen lautet die Begründung Geburtsland.

So auch bei Maria Wefers*. Dreimal war sie am Bonner Uniklinikum zum Blutspenden. Dann wurde sie aufgrund ihres Geburtsortes als Spenderin abgelehnt: „Im Klinikum hieß es: ‚Sie sind ja in Kuala Lumpur geboren‘. Mir wurde in wenigen Worten erklärt, warum ich nicht mehr Blut spenden dürfe.“ Dieser liege in einem Malariagebiet, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sie infiziert sei. Die 37-jährige Historikerin und Afrodeutsche erinnert sich an ihre Erlebnisse bei der Blutspende. „Ich war einerseits überrumpelt und zugleich eingeschüchtert.“ Weshalb die Malariagefahr bei den ersten drei Spenden keine Rolle spielte, kann sie sich nicht erklären. Vor allem angesichts der Tatsache, dass das DRK zur selben Zeit Blutspendeaktionen beim Auswärtigen Amt durchführte: „Ich vermute, dass Diplomaten zur Blutspende zugelassen werden, sofern ihr Aufenthalt dort einige Jahre zurückliegt. Die aber, die diese Region als Geburtsort in ihrem Pass stehen haben, fliegen raus.“

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Süheda Tozlu, Studentin der Sozialwissenschaften an der Universität Oldenburg, berichtet von ähnlichen Erlebnissen: „Ich war mit einem Freund bei einer Blutspendeaktion des Roten Kreuzes auf dem Campus. Er hatte im Fragebogen angegeben, dass er aus Kamerun kommt. Daraufhin teilte die Ärztin ihm mit, er könne wegen einer hochgradigen Malariagefährdung in seiner Heimat nicht spenden.“ Dabei lebt ihr Bekannter bereits seit mehreren Jahren in Deutschland und weist keine Malariasymptome auf.

Keine standardmäßigen Malariatests
Malaria ist nach wie vor eine gefährliche Infektionskrankheit und kann tödlich enden. Erst Ende April starb der österreichische Regisseur Michael Glawogger daran. Laut Angaben des Robert-Koch-Instituts werden jährlich etwa 500 Malariafälle in Deutschland registriert. Meistens handelt es sich bei den Erkrankten um Menschen, die sich im Urlaub oder bei Geschäftsreisen im Ausland angesteckt haben. Der Malariaerreger ist durch Bluttransfusionen übertragbar, deshalb hat die Bundesärztekammer in Berlin entsprechende Richtlinien für die Blutspende festgelegt. Demnach sind Menschen, die in Risikogebieten geboren oder aufgewachsen sind, für wenigstens vier Jahre nach Verlassen des Landes ausgeschlossen. Im Wortlaut heißt es weiter: „Vor Aufnahme der Spendetätigkeit muss durch eine gezielte Anamnese, klinische Untersuchung und durch eine validierte und qualitätsgesicherte Labordiagnostik festgestellt werden, dass kein Anhalt für Infektiosität besteht.“ Zugleich erklärt Quenzel aber: „Eine standardmäßige Austestung auf Malariaerreger erfolgt nicht.“ Die Beweispflicht liegt so bei den Spendenden selbst: Sie müssten ihre Gesundheit nachweisen. Das ist aber nicht so einfach.

Das Robert-Koch-Institut weist zwar darauf hin, dass es eine mikroskopische Untersuchung als „kostengünstig durchzuführende labordiagnostische Maßnahme bei Malariaverdacht“ gibt, allerdings „schließt ein negatives Untersuchungsergebnis die Erkrankung nicht sicher aus“. Wie bei allen Testverfahren gibt es eine statistisch mögliche Fehlerquote, Betroffene haben dadurch keine Chance, ihre Malariafreiheit zweifellos zu belegen. Stattdessen verlassen sich die Blutspendedienste ausschließlich auf Biografieangaben, ob jemand spenden darf. Ergebnis: Die Ausschlusskriterien öffnen strukturellem Rassismus Tür und Tor, Menschen mit einer Migrationsbiografie werden häufiger ausgeschlossen.

Kulturelle Prägung
Kathrin Hagemann hat an der Europa Universität Viadrina in Frankfurt/Oder über Diskriminierung bei Blutspenden geforscht. Medizinische Richtlinien existieren ihrer Erfahrung nach nicht in einem luftleeren Raum und sind daher auch nicht von sozialen Machtstrukturen frei. „Bei der Blutspende von Diskriminierung zu sprechen, ist umstritten, weil medizinische Kriterien als objektiv gelten. Einerseits beruhen sie zum Teil auf problematischen Ideen, etwa was Malaria angeht“, erklärt Hagemann. Andererseits agiere das Personal auch diskriminierend: „Es gab und gibt Fälle von ‚racial profiling‘: Menschen werden dann schon am Eingang abgefangen und gefragt, wo sie geboren wurden – noch bevor sie überhaupt den Fragebogen erhalten haben.“ Beim Münchner Blutspendedienst versucht man, das Personal zu sensibilisieren, erklärt Dr. Quenzel: „Das ärztliche Gespräch findet in einem vertraulichen Rahmen statt und unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht. Unser spendeärztliches Personal ist hoch qualifiziert und wird regelmäßig im Umgang mit unseren Spendern geschult.“ Die Besprechungsräume beim Blutspendedienst sind tatsächlich schalldicht und die Türen beim Vorgespräch geschlossen. Ob Diskretion aber bei mobilen Spendeaktionen gewährleistet ist und ob das Personal Anti-Diskriminierungstraining erhält, bezweifelt Hagemann.

Ein weiterer kultureller Faktor: Malaria wird als Tropen- und Subtropenkrankheit eingestuft und somit zu einer Bedrohung von außen, dabei war Malaria bis in die 1960er Jahre hinein auch in Süd- und Mitteleuropa verbreitet. Die Deklaration als fremde Krankheit, die mit Entwicklungsländern und – versteckt – mit Menschen anderer Hautfarbe in Verbindung gebracht wird, wurzelt auch in der Geschichte des europäischen Kolonialismus: Die dunkelhäutigen Kolonialisierten waren es, an denen sich angeblich Europäer ansteckten und die man entweder durch räumliche Verbannung oder durch Medikamente „unschädlich“ machen wollte.

„Viele Spender empfinden die Beurteilungsprozedur als eine Art Prüfung, mit dem ein Urteil verknüpft ist. Blut spenden dürfen ist die Bestätigung, gesund zu sein. Dagegen heißt abgelehnt zu werden für viele: ‚Ich bin nicht gut genug, vielleicht sogar krank’”, erklärt Hagemann weiter. Gerade weil die Blutspende als Dienst an der Gemeinschaft beworben wird und Spender als wertvolle Mitglieder einer Gesellschaft gelten, trifft eine Ablehnung spendewillige Migranten umso härter. Bei der Blutspende wiederholt sich, was im Alltag vieler Menschen mit Migrationshintergrund immer präsent ist: Bin ich Teil dieser Gesellschaft oder stehe ich außerhalb? Ein Ausschluss von der Blutspende bedeutet dadurch auch eine Ablehnung durch die Gesellschaft. Wefers, Tozlu und anderen geht es um das Recht, einen Beitrag zur Gemeinschaft, der sie sich zugehörig fühlen, leisten zu dürfen. Das wird ihnen jedoch verwehrt.

Misstrauen auf beiden Seiten
Welche Schlüsse aus den vorliegenden Zahlen und Fakten über Malaria gezogen werden, ist eine menschliche Risikobeurteilung, die mit einer gefühlten Bedrohungslage zu tun hat. Und hier offenbaren sich Widersprüche: Malaria ist eine ernst zu nehmende Erkrankung, die zum Tod führen kann. Gleichzeitig wird Malaria aber als in Deutschland so selten angesehen, dass nicht standardmäßig darauf getestet wird. Stattdessen greift man tief in die Klamottenkiste und behilft sich mit diskriminierenden Kategorisierungen wie Herkunft oder Geburtsland.

Inzwischen misstraut Tozlu den medizinischen Ausschlusskriterien: „Die Blutspendedienste sprechen es nicht aus, handeln aber nach dem Prinzip: Es gibt diverse Krankheiten, Menschen aus manchen Regionen sind mehr davon betroffen als andere. Daher haben wir das Recht, rassistisch zu sein.“ Die Erlebnisse ihres Bekannten hatten letztendlich auf ihr Spendeverhalten erheblichen Einfluss. Erst ein Jahr später beschloss sie, wieder Blut zu spenden. Ob ihre Spende tatsächlich für Kranke verwendet wurde, bezweifelt sie: „Aufgrund der Beobachtungen der Blutspendepraxis schließe ich nicht aus, dass mein Blut als unrein gilt und dementsprechend eventuell für die Forschung benutzt wird. Ich bin zwar nicht schwarz, aber dafür muslimisch.“ Ihre Bedenken sind nicht aus der Luft gegriffen. Erst im Februar dieses Jahres wurde eine Blutspendeaktion der muslimischen Gemeinde im österreichischen Linz abgesagt – angeblich, weil das Blut mit Hepatitis B infiziert sein könnte.

Wefers hat es nie wieder als Blutspenderin versucht, aus nachvollziehbaren Gründen: „Ich habe keine Lust, mich freiwillig in eine Situation zu begeben, in der ich mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut mit Hinweis auf meinen Geburtsort ausgeschlossen werde. Das wäre Selbstkasteiung.“ In der Praxis der Blutspende sieht sie eine diskriminierende Logik. „Hier folgt medizinische Praxis mit ihren Ausschlüssen dem gleichen Stereotyp über People of Color als unhygienisch, pathologisch und gefährlich. Und Medizin legitimiert diese Ausschlüsse mit dem Hinweis darauf, sie sei objektiv, rational und wissenschaftlich.“

Tozlu wiederum plädiert für mehr Vielfalt bei den Entscheidungsgremien, um gegen strukturellen Rassismus vorzugehen: „Es wäre sehr schön, wenn Blutspendedienste sich anders zusammensetzen.“ Gerade angesichts der wachsenden Mobilität immer größerer Teile der Weltbevölkerung scheint es an der Zeit, die Vorgehensweise bei der Blutspende zu überdenken.