Schulsozialarbeit hilft

Willkommen heißen in kalten Zeiten

Sind Ressentiments gegen Roma immer deutsch? Nein, sagt Schulsozialarbeiter Emrah Can. Er arbeitet an einer Kölner Grundschule und kennt nicht nur die Probleme, sondern auch die Lösungen. Die Schule und der Stundenplan müssen auf die neue Situation angepasst werden.

Donnerstag, 24.04.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 28.04.2014, 22:14 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Seit zwei Jahren hat die Grundschule Lohmarer Straße in Köln Gremberg einen Schulsozialarbeiter. Ein Novum, denn erst mit dem Teilhabegesetz bestand für Grundschulen überhaupt die Möglichkeit, eine Schulsozialarbeit zu beantragen.

Kooperationspartner wurde der Vingster Treff, der seit mehr als zwanzig Jahren als Arbeitslosenberatungsstelle und Interkulturelles Zentrum anerkannt ist. Erster Stelleninhaber wurde der 29-jährige Emrah Can, der nach Abschluss seines Philosophie- und Geschichtsstudiums in die Soziale Arbeit einstieg. Bei der Frage, ob die Schule ihn als Sozialarbeiter gut aufgenommen habe, zögert Emrah Can: „Die Schulleitung hat mich herzlich und gut empfangen und mir den Raum hier zur Verfügung gestellt.“

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Der helle Büroraum im Erdgeschoss der Schule ist leicht zu finden. Er dient dem Schulsozialarbeiter zugleich als Materiallager für die Arbeit mit Kindern, Beratungsbüro und kleiner Aufenthaltsraum mit Sesseln, die zum Gespräch einladen. Das Lehrerkollegium, so Can, habe verhaltener auf das Angebot reagiert, aus Bedenken gegen ein zeitlich befristetes und deshalb wirkungsloses Projekt. „Die Sozialarbeit muss sich ja erst einmal Schwerpunkte setzen“, erklärt Can. Rasch entscheidet er sich für die Elternarbeit als einen wesentlichen Bestandteil seiner Sozialarbeit an der Gemeinschaftsgrundschule: „Erst wenn es den Eltern gut geht, kann es den Kindern gut gehen. Also gehen wir erst einmal die Baustellen der Eltern an und natürlich auch der Kinder, wenn es erforderlich ist, aber immer auch mit dem Fokus auf die Eltern. Speziell die Arbeit mit den Romafamilien ist zum Schwerpunkt geworden, weil etwa zehn Prozent der Schüler aus Romafamilien kommen.“

Alltagsrassismus
Auf dem Schulhof erlebte der Sozialarbeiter, dass diese Kinder in der Schüler-Hierarchie ganz unten standen. „Während sich arabische, deutsche und türkische Kinder gegenseitig noch mit du ‚Scheißtürke’ usw. beleidigten, reichte bei den Romakindern bereits das Wort ‚Zigeuner’ als herabsetzende Beleidigung. Der Begriff allein war negativ genug, er brauchte kein weiteres Adjektiv.“

Die Ausgrenzung auf der einen Seite führt zu Grüppchenbildung auf der anderen Seite. Handgreiflichkeiten als Reaktion und manchmal auch präventiv werden zur Methode, um sich trotz des Stigmas Respekt zu verschaffen. Emrah Can erzählt von den Ohnmachtsgefühlen schon junger Kinder und vom Sich-ausgestoßen-Fühlen. „Es gab an der Schule früher auch nicht das Bewusstsein, dass so eine Beleidigung ziemlich viel auslösen kann. Die Kinder merken es schon außerhalb der Schule, dass sie als Spezialgruppe gesehen werden und dass sie diskriminiert werden. Schule ist eigentlich ein Schutzraum, und wenn sie schlechte Erfahrungen auch noch hier ohne Schutz machen, ziehen sich viele zurück.“

Interessant war für den türkischstämmigen Schulsozialarbeiter, zu beobachten, dass Ressentiments gegen Roma nicht unbedingt deutsch sind. Während sich freundschaftliche Begegnungen im Elterncafé und bei anderen Gelegenheiten zum Beispiel zwischen einer alleinerziehenden kamerunischen Frau und einer konservativen türkischen Mutter ereigneten, war die Haltung gegenüber „den“ Roma sehr speziell.

„Ich habe häufiger Eltern sagen hören, wir möchten eigentlich aus Köln-Gremberg wegziehen. Hier gibt es so viele Zigeuner. Wenn’s um Stress auf dem Schulhof ging, hieß es schnell, das sind die Zigeuner. Ich habe, als ich hier angefangen habe, auch Staub aufgewirbelt. Die hier üblichen Klischees gegen Roma existieren eben auch in der Türkei und anderswo. Wenn die eigenen Kinder schlagen oder spucken, haben die immer gute Gründe dafür, wenn Kinder aus Romafamilien schlagen, tun sie es, weil sie Roma sind.“

Sein Engagement für die Romakinder findet Zustimmung bei Eltern, Schüler und im Kollegium. Mit einem Märchenvorleseprojekt und einem regelmäßigen Elterncafé bringt Can die verschiedensten Mütter in der Schule zusammen und erreicht zum Teil auch, dass es Kindern nicht länger von ihren Eltern verboten wird, mit Romakindern zu spielen.

Besondere Lebensbedingungen erfordern besondere Fächer
Für die Kinder bietet Can parallel zum türkischen Sprachunterricht und zu Religion ein neues Unterrichtsfach an: Romaunterricht. „Wir sprechen mit den Kindern über ihre Herkunft, ihre Kultur, ihre Sitten und Riten, über ihre Probleme, kindgerecht natürlich, über die besondere Situation von Roma. Wir klären sie über den Begriff Zigeuner auf und wie sie damit umgehen können, wenn sie so genannt werden. In erster Linie geht es mir darum, ihnen sachlich richtige Informationen über ihre Herkunft mitzugeben und sie in ihrer Identität zu stärken.“ Unterstützt wird er beim Unterricht von Karsten Stoltzenburg, dem Direktor der Schule. Viele Kinder hätten Angst vor Diskriminierung und würden sich deshalb ungern als Roma outen. Obwohl das Angebot freiwillig ist, besuchen es alle Kinder regelmäßig.

Die Grundschule in Gremberg hat 140 Schüler, davon sind aktuell elf Kinder aus Romafamilien. Jedes hat eine eigene und meist nicht einfache Geschichte. Die einen leben schon in der dritten Generation, seit Anfang der 1990er Jahre, in Köln. Damals flohen sie vor dem Bosnienkrieg. Bis heute haben die Familien keinen festen Aufenthaltstitel. „Die Kinder wissen, dass sie nur geduldet und nicht gewollt sind“, schildert Can diese Art der Kindeswohlgefährdung. „Ich begleite die Familien auch zum Ausländeramt, einfach, um sie zu stärken. Es ist festgefahren. Man kann diese Menschen nicht abschieben, das ist offensichtlich, sonst hätte man das längst getan. Man ist aber auch nicht gewillt, ihnen ein normales Leben hier zu ermöglichen.“ Andere Kinder sind erst vor wenigen Monaten im Rahmen der EU-Freizügigkeit aus Bulgarien mit ihren Eltern eingewandert.

Armut trotz Arbeit
„Es sind tolle Väter, tolle Mütter, die sich hier in Deutschland mit Arbeit ein neues Leben aufbauen wollen. Gerade für diese Eltern gibt es spezielle Beratungen. Ein Thema sind die niedrigen Löhne, denn selbst wenn sie Vollzeit arbeiten, verdienen sie häufig nicht mehr als 600 oder 700 Euro monatlich für 40 oder 50 Stunden in der Woche. Sie haben einen Anspruch darauf, ihre Niedriglöhne aufstocken zu lassen.“

Manchmal sei es ein Kampf, dem Jobcenter klar zu machen, dass trotz Vollzeitberufstätigkeit kein höheres Gehalt in Sicht sei. „Bei einer Familie haben wir ein Jahr gebraucht, bis wir die Aufstockung durch hatten. Die Frau stand mit Tränen in den Augen in meinem Büro, als sie den Bescheid endlich erhielt. Mich hat das auch sehr berührt, denn es war nicht einfach gewesen, die Familie davon zu überzeugen, die Aufstockung zu beantragen. Sie wollten das nicht, sie wollten hierher kommen und Geld verdienen.“

Für das Familieneinkommen spiele die Aufstockung oft keine große Rolle, weiß der Sozialarbeiter, wichtig sei dieser Bezug für die Kinder. Denn nur als „Aufstocker“ oder ALG-II-Berechtigte erhielten sie einen Köln-Pass und Bildungsgutscheine, mit denen die individuelle Lernförderung oder auch der Sportverein zu finanzieren sei „Ich kenne keine Familie, die keinen Wert auf Bildung legt, allen ist aus der eigenen Situation heraus klar, dass es so nicht weitergehen kann. Die meisten Eltern sind selbst sehr jung. Viele sind kaum in die Schule gegangen und schaffen heute nicht, das hier nachzuholen, weil ihre hiesigen Lebens- und Arbeitsbedingungen es nicht hergeben. Wie stark ihr Interesse trotzdem ist, merke ich eher an Kleinigkeiten. Ich habe die Romaeltern einmal darum gebeten, mir stets Bescheid zu geben, wenn sich ihre Handynummer ändert, das ist ja häufig der Fall, und seitdem machen sie es ganz zuverlässig, damit wir sie als Schule auch erreichen können.“ Aktuell Gesellschaft

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