Zeugin mit Kopftuch

Richter möchte unbedingt die Ohren sehen

Ein Richter verlangt von einer Zeugin, das Kopftuch abzunehmen, hilfsweise könne sie auch nur ihre Ohren zeigen. Wie eine Verhandlung über zwei kleine Knöllchen vor dem Amtsgericht Tiergarten zu einer Verhandlung über Kopftücher wurde.

Donnerstag, 27.03.2014, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 21.04.2014, 15:51 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Osman, seine Frau Zehra und ihr Rechtsanwalt Muharrem Aras hatten sich auf einen kurzen Prozess eingestellt. Streitgegenstand waren zwei Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr. Insgesamt ging es um Bußgelder in Höhe von 55 Euro. – nichts Großes also. Dennoch werden die Drei die Verhandlung vor dem Amtsgericht am Tiergarten in Berlin am Dienstagmittag so schnell nicht vergessen. Nicht die Ordnungswidrigkeit stand im Mittelpunkt des Geschehens, sondern das Kopftuch von Zehra. Was war passiert?

Der Richter fordert die Zeugen im Gerichtssaal auf, den Raum zu verlassen. Daraufhin geht auch Zehra in Richtung Tür. Als der Richter das bemerkt, wendet er sich Osmans Anwalt zu. Wenn Zehra als Zeugin aussagen wolle, müsse sie vorher ihr Kopftuch abnehmen. „Ich habe das im ersten Moment für einen schlechten Witz gehalten“, erklärt Aras gegenüber dem MiGAZIN. Doch der Richter meint es ernst.

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Ausgerechnet ein Richter
Zehra, seit über 45 Jahren in Deutschland, seit fast 20 Jahren deutsche Staatsbürgerin, ehrenamtlich engagiert, Gründungsmitglied einer Mieterinitiative in ihrem Kiez gegen hohe Mietpreise, Krankenschwester von Beruf, ist geschockt. „Ich war noch nicht aus der Tür, als der Richter das gesagt hat“, erklärt Zehra. „Ich konnte meinen Ohren nicht trauen. Wie ist so etwas möglich?“, möchte sie wissen. „Ich dachte, wir leben in Deutschland, in einem Rechtsstaat. Wie kann es sein, dass ausgerechnet ein Richter einen auf Sarrazin tut?“, sagt sie.

Glücklicherweise wird ihr Ehemann von einem selbstbewussten Anwalt vertreten. Er widerspricht dem Richter gleich und stellt einen Befangenheitsantrag. Der wird zwar postwendend abgelehnt, geht beim Richter aber nicht spurlos vorbei. Er gibt nach. Wenigstens die Ohren freimachen solle die Zeugin, meint der Richter. Wahrscheinlich um zu sehen, ob Zehra rot an den Ohren wird, sollte sie lügen. Eine andere Erklärung für dieses Verlangen gibt es nicht.

Einfach nur enttäuscht
Osman kann nicht glauben, was er sieht und hört. Sein Anwalt und der Richter streiten sich nicht über die beiden Knöllchen, sondern über das Kopftuch seiner Frau. „Im ersten Moment war ich überrascht. Erst nach einigen Sekunden wurde mir bewusst, was da vor sich ging. Der Richter hat uns mit seiner Aufforderung klar zu erkennen gegeben, dass er uns nicht akzeptiert. Dass wir ausgerechnet von einem Richter so behandelt werden, hätte ich mir nicht vorstellen können. Ich bin einfach nur enttäuscht“, sagt der Berliner.

Im weiteren Verlauf der Verhandlung spielt Zehras Kopftuch keine Rolle mehr. Sie braucht nicht einmal mehr auszusagen, weil der Richter die beiden Bußgeldbescheide gegen Osman einkassiert hat. (es) Aktuell Recht

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  1. Lionel sagt:

    @ Cengiz

    Sie dürfen gerne lachen, dennoch ändert das nichts an der engen Verbundenheit zwischen dem Symbol des Kreuzes und der Gerechtigkeit in der hiesigen Tradition::
    „Der Gedanke der Gerechtigkeit spielt eine wesentliche Rolle. Der Kreuzestod wird daher als Ausgleich/Sühne für die durch Schuld ins verderbliche und tödliche Ungleichgewicht geratene Weltordnung gedeutet; durch ihn stellt Gott die von und in ihm garantierte Ordnung wieder her. In der Vorstellung und den Darstellungen dieser Zeit wird der Sieg des göttlichen Königs am Kreuz über Sünde, Tod und die höllischen Mächte gefeiert.“
    http://www.kirche-und-dialog.de/index.php?id=kreuz-und-erloesung

  2. Cengiz K sagt:

    Lionel, sehr verworrene Auslegung da.. Aus Ihrer Quelle gehr auch nicht hervor, was das mit dem von Ihnen zuerst aufgeführten „indirekten Kreuz“ zu tun hätte.. Der diesmal von Ihnen zitierte Text belegt ebenfalls keinen Zusammenhang zur Gerechtigkeit anhand des Kreuzsymbols.. Da wird eine verworrene Erklärung für den Begriff der Gerechtigkeit im Mittelalter postuliert, ohne ihn mit dem Kreuzsymbol auszufüllen..
    Sie können ja glauben, was Sie wollen,, das sei Ihnen unbenommen, aber das Kreuz ist und war mit Sicherheit kein Symbol für Gerechtigkeit, undzwar ebenfalls der christlichen Glaubenslehre entsprechend.. Wenn christliche Würdenträger auf der dritten oder vierten Metaebene, eine Form von Gerechtigkeit in das Symbolkreuz reinlesen möchten, sei Ihnen das unbenommen, aber das ist nicht das Thema..

    http://www.sagen.at/texte/sagen/sagen_historisch/ursprungs_erklaerungssagen/waagedergerechtigkeit.html

    Davon abgesehen, sollte der Richter ad rem weniger auf kolportierte Symbole achten, dafür aber mehr auf die würdevollen Abhandlung der Klagenden und Angeklagten..
    Was sagen Sie persönlich zur folgendem Aussage:… Der Richter hat uns mit seiner Aufforderung klar zu erkennen gegeben, dass er uns nicht akzeptiert….
    Wie konnte so ein Mensch Richter werden? Wer hat das zugelassen?

  3. Ute Fabel sagt:

    @r
    „Ich würde nicht nur einer Muslimen vor Gericht empfehlen auf ihr Kopftuch zu verzichten. Genauso sollte auch ein katholischer Geistlicher nicht in Kutte sondern in Zivilkleidung im Gerichtsaal erscheinen”

    „Grund??? Haben Sie dafür eine sachliche Begründung?“

    Ja, diese sachliche Begründung habe ich! Die religiöse und politische Unabhängigkeit der Justiz ist ein hohes Gut und sollte von möglichst vielen Bürgern gelebt und durch ihr Erscheinungsbildung vor Gericht unterstrichen werden. Ich halte nicht nur religiöse Kleidungsstücke vor Gericht für unangebracht, sondern auch politische, wie z.B. die Kappen der vom ersten Kommentator dieses Artikels angesprochenen Burschenschafter oder kommunistische Blauhemden, wie man sie in der DDR getragen hat.

  4. Gesunder Menschenverstand sagt:

    Und was ist mit einem roten Pulli Ute Fabel, wäre das noch ein apolitisches Kleidungsstück oder offenbart dies bereits eine sozialistische oder kommunistische Gesinnung? Wo soll das dann enden? In einer einheitlich staatlich vorgegebenen Uniform, sobald man ein deutsches Gericht betritt? Verwechseln Sie doch nicht die religiöse und politische Unabhängigkeit der Justiz mit der Unabhängigkeit des einzelnen Individuums.

  5. Ute Fabel sagt:

    @Gesunder Menschenverstand:
    Ich bin der Überzeugung, dass unsere Justiz stark genug ist und es verkraften kann, wenn einzelne Personen es sich auch vor Gericht nicht nehmen lassen ihre religiösen und politischen Überzeugungen auffällig zur Schau zu stellen. Für Hysterie besteht kein Grund. In solchen Fällen halte ich ein kurze sachliche Belehrung des Richters zur religiösen und politischen Unabhängigkeit der Justiz für durchaus angebracht. Ich bin gegen Ordnungsstrafen und Saalverweise, das wäre unverhältnismäßig. Die Aussage eines Richters, er möchte wenigstens die Ohren sehen, ist unprofessionell und unsachlich. In diesem Zusammenhang stellt sich tatsächlich die Frage, ob mit einer Nonne genauso umgegangen worden wäre. Den größten Respekt habe ich jedoch vor jenen Menschen, die sich vor Gericht mit dem Sichtbarmachen von Religion und Weltanschauung zurückhalten.

  6. Gesunder Menschenverstand sagt:

    Und ich habe den größten Respekt vor Menschen, die leben und leben lassen.

  7. Ute Fabel sagt:

    @ Gesunder Menschenverstand
    Haben Sie auch größten Respekt vor Menschen, die vor Gericht mit Parteiabzeichen erscheinen? Die rechtsgerichtete FPÖ hat blaue Schals und blaue Armbänder als politische Symbole. Gilt bei Burschenschafterkappen im Gerichtssaal auch leben und leben lassen?

  8. Gesunder Menschenverstand sagt:

    Ich glaube Sie haben meine Aussage nicht verstanden. Ich habe Respekt vor Menschen, die leben und leben lassen. In die Kategorie fallen Menschenverachter nicht, jedenfalls nicht in meiner Welt.

  9. Ute Fabel sagt:

    @ Gesunder Menschenverstand:
    In Österreich hat sich bereits eine Burschenschaft unter Berufung auf das Antidiskriminierungsrecht und die Weltanschauungsfreiheit erfolgreich an die Gleichbehandlungsstelle gewendet. Mir sind Burschenschafter ideologisch sehr unsympathisch. Aufgrund des Gleichbehandlungsrechts kann man jedoch Burschenschafterkappen nicht anders behandeln als Kopftücher. Daher bevorzuge ich eine generelle Zurückhaltung mit auffälligen religiösen optischen Bekenntnissen außerhalb des privaten Bereichs.

  10. Gesunder Menschenverstand sagt:

    Wenn das stimmt was Sie sagen, dann läuft in Österreich gehörig was schief.

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