Tabu

Über politische Korrektheit und Redeverbote in Debatten

Sarrazin, Sloterdijk und das Online-Portal “Politically Incorrect“ machen Front gegen Politische Korrektheit. Über den Nutzen und Schaden von Redeverboten.

Was wir heute PK (Politische Korrektheit) nennen, hieß früher “Tabu”. Ein Tabu ist etwas, über das man nicht sprechen darf. Wer “politisch korrekt“ ist, achtet darauf was er sagt und wie er etwas sagt. Soviel zur Terminologie. Wer sich heute, wie das Online-Portal “Politically Incorrect“, „Politische Inkorrektheit“ zur Herzenssache gemacht hat, für den ist das Wort „Generalverdacht“ kein Fremdwort: Wer ihn pflegt, der macht – wie die Autoren auf dieser Webseite – auch gerne mal aus den deutschen Muslimen im Rundumschlag Extremisten.

Die Freunde „Politischer Inkorrektheit“
„Politische Inkorrektheit“ hat viele Freunde: Auch der Bestseller-Autor Thilo Sarrazin hat hier sein Leitthema gefunden: „Unbequeme Wahrheiten“ sind das Steckenpferd des „rechten Rechthabers“ (wie ihn einige Journalisten inzwischen nennen). Nun regt er sich in seinem neuen Buch über die PK in den Medien und der Politik auf und macht sich selber zum “Opfer“ dieser: „Vom moralischen Scheiterhaufen“ für alle Andersdenkende spricht er. Die Medien seien in Deutschland “die Verwalter der politischen Korrektheit” mit “der politischen Klasse als großenteils willfährigem Resonanzboden” (S.46).

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Schon in der Vergangenheit hatte Thilo Sarrazin in dem Philosophen Peter Sloterdijk einen Mitstreiter in Sachen “Unbequeme Wahrheiten“ gefunden und schaffte dies nun wieder: In einem Focus-Artikel vom Anfang dieser Woche übt Sloterdijk scharfe Kritik an Denk- und Redeverboten in Deutschland: (…) „Am Islam ist jede Kritik verboten. Das wäre fremdenfeindlich.“ Für Sloterdijk bedeutet PK das Ende jeder öffentlichen Debatte: „Wenn abweichende Meinungen nicht mehr geäußert werden, weil ihre Vertreter sofort als unmoralisch gegeißelt werden, versiegt bald jede Diskussion.“

Redeverbote: ein zweischneidiges Schwert
Obwohl die deutsche Verfassung jedem Bürger garantiert, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei äußern zu dürfen, gibt es hierzulande in öffentlichen Debatten ganz offensichtlich Redeverbote. Wer „politisch korrekt“ sein will, respektiert diese. Doch Redeverbote können ein zweischneidiges Schwert sein: Mit ihnen kann man die Rechte von Minderheiten schützen, aber auch eine öffentliche Debatte behindern. So zeigt eine religionssoziologische Studie der Universität Münster, dass wegen der mangelnden “ehrliche(n) und intensive(n) Debatten über Islam und Integration“ ein Teil der Deutschen weniger tolerant gegenüber Muslimen seien als andere Europäer. Die Studie ist gut drei Jahre alt. Hat sich seitdem etwas geändert? In dem letzten Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung fühlen sich immer noch fast sechzig Prozent der Deutschen in Ostdeutschland und gut die Hälfte der Deutschen in Westdeutschland vom Islam bedroht.

Klaus Bade über die „Kulturangst“ der Deutschen
Der Migrationsforscher Klaus Bade spricht von der „Kulturangst“ der Deutschen mit Blick auf den Islam: „Viele Deutsche empfinden den Weg in die Einwanderungsgesellschaft als kulturelle Identitätskrise“, sagt Bade. Die “Islam-Debatte“ ist für ihn hierbei nicht mehr als eine „Ersatzdiskussion“: Damit wir uns nicht mit uns selber beschäftigen müssen, grenzen wir uns ab und suchen nach dem „Anderen“. Hierbei wird eine so vielfältige Gruppe wie der Islam zu einem Ganzen gemacht: „der“ Islam und „die“ Muslime heißt es dann.

Einige Beobachter dieser Debatte, wie zum Beispiel die Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan, erkennen hier auch Positives: Inzwischen zweifele niemand mehr daran, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei. Menschen mit Zuwanderungsgeschichte seien in Deutschland „sichtbarer“ geworden. Für Thilo Sarrazin könnte seine Rolle in diesem Szenario kaum klarer sein: Jemand der unbequeme Wahrheiten kundtut, und dafür von den Medien und der Politik nur Schelte bezieht. Jemand der sich über Redeverbote hinwegsetzt, um die „unwissende“ Mehrheit aufzuklären. Ein rechter Populist.

Gesellschaftspolitik für alle
Im Juni stehen Europawahlen an und die populistische Rechte rüstet sich. Wie kann man ihr den Wind aus den Segeln nehmen? Es sind „sämtliche Befindlichkeiten ernst zu nehmen, innerhalb eines Diskussionsprozesses zu berücksichtigen und nicht von vornherein auszuschließen“, erklärt Dr. Karlies Abmeier von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Gesellschaftpolitik für alle, das heißt alle beteiligten Gruppen in die Diskussion um Migration und Integration miteinbeziehen und hierbei keine Themenfelder aussparen. Ohne Frage gibt es hierbei Redeverbote, die nicht verhandelbar sind. Sie schützen Menschen davor herabgesetzt und beleidigt zu werden. Genau da liegt die Grenze. Die Frage, ob es für „riskante“ Themen in der Öffentlichkeit ein Redeverbot geben sollte, erübrigt sich dann.