Bulgarien und Rumänien

Die Lüge von der „Armutsmigration“

Spätestens durch die ausländerfeindlichen Thesen von Vertretern der Unionsparteien wurde der Begriff „Armutsmigranten“ hegemonial in der Debatte um Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Zahlreiche Fakten beweisen aber, dass diese These nicht haltbar ist. Michael Lausberg fasst zusammen:

Der Begriff der „Armutsmigration“ kennzeichnet in weiten Teilen die Debatte um die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien. In einer offiziellen Pressemitteilung des Deutschen Städtetages Anfang 2013 wurde der Begriff erstmals einer breiteren Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang bekannt. Dort wurden Bund, Länder und die EU dazu aufgerufen, den Kommunen stärker bei der Bewältigung der Probleme zu unterstützen, die durch die „Armutszuwanderung“ 1 aus Bulgarien und Rumänien entstünden.

Spätestens durch die ausländerfeindlichen Thesen von Vertretern der CSU und CDU 2 sowie die ressentimentgeladene Kampagne der Springer-Medien um den Jahreswechsel 2013/2014 3 wurde der Begriff hegemonial in der Debatte um Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Migration wurde und wird wie fast immer in den letzten Jahrzehnten in einer Semantik der Gefahren dargestellt und nicht als einen Prozess, der sich schon seit Menschengedenken vollzieht und im Zeitalter der Globalisierung immer mehr zunehmen wird. 4

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Zwei Konstruktionen, die schon Anfang der 1990er Jahre die Szenerie bestimmten, beherrschten die Debatte: erstens die „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ und zweitens das damit verbundene Bild Deutschlands als „Sozialamt der Welt“. Diese Konstruktionen sind keine Erfindung des „rechtsextremen Randes“, sondern Bestandteil des Diskurses in der „Mitte“ einer demokratisch verfassten Gesellschaft. Die extreme Rechte zeigte sich von dieser Steilvorlage begeistert und brauchte diese auch im Hinblick der kommenden Wahlen nur noch zuzuspitzen.

Zahlreiche Fakten beweisen aber, dass die These von der „Armutszuwanderung“ nicht haltbar ist.

Insgesamt gesehen profitiert die BRD von der Einwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Im Vergleich mit anderen Zuwanderergruppen sind Menschen aus Bulgarien und Rumänien ökonomisch weitgehend gut integriert. Die Arbeitslosigkeit lag Ende des Jahres 2012 bei 9,6 %, etwas über dem gesamtdeutschen Schnitt von 7,4 %. So haben 9,3 Prozent der Bulgaren und Rumänen ganz oder teilweise Hartz IV oder andere Sozialleistungen erhalten, was die „Einwanderung in die sozialen Sicherungssysteme“ ad absurdum führt.

Es gibt sehr starke regionale Differenzen: Die Arbeitslosenquoten der Bulgaren und Rumänen reichen von 5,6 Prozent in Stuttgart und 6,7 Prozent in München bis zu knapp 27 Prozent in Duisburg und knapp 25 Prozent in Berlin. Der Anteil der Hartz-Empfänger beläuft sich in Stuttgart und München auf 5,2 und 5,6 Prozent, in Berlin auf knapp 20 Prozent und in Köln auf 15 Prozent. Vor allem die deutsche Rentenversicherung profitiert von der Einwanderung aus Rumänien und Bulgarien, was an der Altersstruktur der Zuwanderer zwischen 25 und 45 Jahren liegt. Die Zahl der Rentenbezieher ist sehr gering, so dass die Zuwanderer insgesamt mehr einzahlen als sie später an Rentenansprüchen herausbekommen. Allein ihr Beitrag zur Rentenversicherung übersteigt die vor allem durch die Kommunen geleisteten Ausgaben für soziale Hilfen.

Herbert Brückner, Leiter des Forschungsbereiches „Internationale Vergleiche und Europäische Integration“ des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, konstatiert: „Die Erträge und Lasten sind vielmehr ungleich verteilt. Die Kommunen gehören eher zu den Verlierern, da sie für die Grundsicherung aufkommen. Die Rentenversicherung gehört demgegenüber zu den Gewinnern. Insgesamt gilt jedoch: Wir müssen das herrschende Bild, bei der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien handele es sich überwiegend um eine Armutszuwanderung, korrigieren. Eine solche Korrektur ist auch deshalb notwendig, um die Bevölkerung aus diesen Ländern nicht ungerechtfertigt zu stigmatisieren. Damit werden die Integrationsprobleme nicht kleiner, sondern größer.“

Eine Expertise des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln beweist, dass die Einwanderung aus Rumänien und Bulgarien von ökonomischem und sozialem Nutzen ist. Die Zuwanderung treibt die für ein Industrieland äußerst niedrige Quote von 19 % der Bevölkerung mit Hoch- oder Fachhochschulabschluss in die Höhe. 25 % der erwachsenen Einwanderer besitzen einen akademischen Abschluss. Darunter besitzen ca. 8 % der erwachsenen Zuwanderer einen akademischen Abschluss in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) und können damit den in diesen Brachen herrschenden Fachkräftemangel etwas abmildern.

Prof. Michael Hüther, Direktor der IW, bilanzierte: „Durch die neu hinzugekommenen Arbeitskräfte steigt die Wirtschaftskraft Deutschlands, was sich wiederum positiv auf die öffentlichen Haushalte und die Kommunen auswirkt. Insofern hat Einwanderung nicht nur positive Auswirkungen auf die Sozialversicherungen, sondern verbessert auch die Lage der öffentlichen Haushalte insgesamt.“

80 % der zwischen 2007 und 2011 zugewanderten Bulgaren und Rumänen sind sozialversicherungspflichtig auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt. Im Jahresgutachten 2012 des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration wird deutlich gemacht, dass 72 % der Zuwanderer aus diesen beiden Ländern zwischen 25 und 44 Jahren, die nach 2007 in die BRD kamen, einer Erwerbstätigkeit nachgehen. 5 Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) betonte, dass sich unter den Zuwanderern ein hoher Anteil an Studenten und qualifizierten Fachkräften befindet. Laut Stadtverwaltung Duisburg handelt es sich lediglich bei jeder fünften zugewanderten Person um einen „Armutsmigranten“.

Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien verfügen sogar im Schnitt über höhere Qualifikationen als die deutsche Gesamtbevölkerung. 6 55 Prozent besitzen mindestens einen Fachhochschulabschluss. Seit geraumer Zeit versuchen deutsche Unternehmen den Fachkräftemangel dadurch aufzufangen, dass sie gezielt IT-Ingenieure, Ärzte, Pflegekräfte, Schweißer und Dreher direkt in Rumänien anwerben.

Die in diesem Zusammenhang herrschende utilitaristische Logik gibt auch Anlass zur Kritik. Diese teleologischen Prinzipien der Unterscheidung zwischen „nützlichen Fachkräften“ und „unnützen Armutsmigranten“ haben leider nicht nur in der Bundesrepublik eine lange Tradition. Das reine Nützlichkeitsdenken ist Teil einer kapitalistischen Logik, in dem Leistung zählt und die im Grundgesetz der BRD besungene Würde des Menschen nur eine bescheidene Nebenrolle spielt.

  1. Deutscher Städtetag (Hrsg.): Positionspapier des Deutschen Städtetages zu den Fragen der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien vom 22.1.2013, Berlin 2013, S. 3
  2. Siehe dazu Aachener Nachrichten vom 7.1.2014
  3. Bild vom 30.12.2013, S. 2; Bild vom 31.12.2013, S. 2; Bild vom 7.1.2014, S. 2 und Bild vom 9.1.2014, S. 2
  4. Vgl. dazu Bade, K. (Hg.), Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland: Migration in Geschichte und Gegenwart, München 1992, Ders./Oltmer, J.: Normalfall Migration: Deutschland im 20. und frühen 21. Jahrhundert, Bonn 2004
  5. Aachener Nachrichten vom 13.4.2013
  6. Aachener Nachrichten vom 16.1.2014