Internes Kommunenpapier warnt

Aufgepasst, Rumänen und Bulgaren kommen!

Viel wurde schon über vermeintliche „Armutszuwanderer“ aus Bulgarien und Rumänien geschrieben – nicht nur in den Medien, auch die Kommunen haben kräftig mitgemischt, wie ein internes Papier der Stadt Gelsenkirchen zeigt.

Von Nina Illaw Donnerstag, 27.02.2014, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 05.03.2014, 9:26 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Seit 2007 gehören Rumänien und Bulgarien der Europäischen Union an. Im Gegensatz zu allen anderen EU-Bürgern galt die Freizügigkeit für rumänische und bulgarische Staatsbürger aber nicht uneingeschränkt, der Zugang zum Arbeitsmarkt war ebenso eingeschränkt wie der Aufenthalt. Die volle Freizügigkeit erhielten EU-Bürger aus Bulgarien und Rumänien erst am 01.01.2014. Ein Datum, vor dem Kommunen, Politiker und sogenannte Experten nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa warnten und auf das sie mit düsteren Prophezeiungen hin verwiesen.

In den letzten Monaten wurde viel über „Armutsmigranten“, „Sozialtourismus“, „Elendseinwanderung“ gesprochen. In  äußerst polemischer Weise wurde von etlichen Seiten erklärt, Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien würden das deutsche Sozialsystem überfluten. Neben etlichen Printmedien haben sich auch zahlreiche populäre TV-Formate wie „Menschen bei Maischberger“, „Spiegel TV“ und „Exclusiv im Ersten“ (um hier nur einige zu nennen) an diesem Diskurs beteiligt, der rassistische Vorurteile bedient und mit der Angst um Arbeitsplätze, das finanzielle Auskommen und einer Zunahme der Kriminalität spielt. Ende 2013 sorgte CSU-Chef Horst Seehofers Forderung „Wer betrügt, der fliegt!“ für Furore.

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Angestoßen wurde die Debatte bereits zu Beginn des Jahres 2013. Der damalige Innenminister Friedrich, der sich vehement gegen die Aufnahme beider Länder in den Schengen-Raum einsetzte, betonte im Februar 2013 im ZDF-„heute journal“: „Wir geben eine Menge Geld an die Europäische Union zum Zwecke auch der Hilfe für die Länder aus Osteuropa. Und das muss dann auch entsprechend genutzt werden. Wir zahlen nicht zweimal. Nicht einmal über die Europäische Union und ein zweites Mal durch Sozialleistungen hier.“

Auch einige Kommunen, insbesondere im Ruhrgebiet, schlagen weiterhin Alarm und warnen vor Millionen Kosten. In einem internen Bericht der Stadt Gelsenkirchen mit dem Titel „Handlungskonzept der Stadt Gelsenkirchen ‚Zuwanderung im Rahmen der EU-Osterweiterung: Bulgarien und Rumänien‘“ wird davor gewarnt, „dass aus diesem Personenkreis der jetzt schon zugewanderten und zuwandernden Menschen aus Bulgarien und Rumänien ab 2014 eine größere Zahl die Arbeitnehmergemeinschaft nachgewiesen wird, und damit grundsätzlich Leistungsansprüche nach dem SGB II bestehen“ (S. 5).

Die Vorlage der Stadt Gelsenkirchen, die nur eine von vielen kommunal ausgearbeiteten Handlungskonzepten sein dürfte, veranschaulicht in erschreckender Weise, wie Stereotypen ethnischer Gruppen wie der Roma und Sinti festgeschrieben und rekonstruiert werden und der Zuzug von Bürgern aus Rumänien und Bulgarien als finanzielle und gesellschaftliche Bedrohung skizziert wird.

Roma werden in dem vorliegenden Bericht mit Verweis auf ihre Diskriminierungserfahrungen als erprobte Überlebenskünstler dargestellt, zu denen „der traditionell hermetische Zusammenschluss von Großfamilien“ ebenso wie eine „hohe Flexibilität im Wohnungswechsel und im räumlichen Zusammenrücken“ gehöre (S. 10).

Eine perfide Behauptung. Denn statt „Diskriminierungserfahrung“ sollte vielmehr von einer europaweiten Verfolgung, Vertreibung und Verachtung der Sinti und Roma gesprochen werden. Besonders in Westeuropa verbreitet sich derzeit die Stimmungsmache gegen Roma und Sinti, aber auch gegen Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien im Allgemeinen.  Großbritannien: Mitte November forderten der stellvertretende Premierminister Nick Clegg sowie David Blankett, MP für die Labour Partei Roma dazu auf, sich an die Standards, Kultur und Lebensweise in Großbritannien anzupassen, wenn sie in Großbritannien leben wollen. Ihre auf die Bevölkerung einschüchternde und angriffslustige Art könnten ansonsten soziale Unruhen und Aufstände entfachen.

Im Jahr 2010 wurde in Frankreich unter Sarkozy die sogenannte „Freiwillige Rückführung“ von Roma eingeführt. Jedem Roma, der das Land „freiwillig“ verlässt, zahlt die Regierung 300€ für die Rückkehr ins Herkunftsland. Zuletzt sorgte dort der Fall von Leonarda Dibrani, einer 15-jährigen Schülerin für große Empörung. Während eines Schulausfluges wurde das Mädchen vor den Augen ihrer Mitschülern von der Polizei festgenommen. Sie und ihre Familie wurden anschließend aus Frankreich abgeschoben mit der Begründung vor Jahren illegal aus dem Kosovo eingewandert zu sein.

Angesichts dieser in Europa grassierenden Xenophobie, die sich im Speziellen gegen Roma und Sinti, im Allgemeinen gegen Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien richtet, verwundert es bedauerlicherweise kaum, dass auch die administrativen Ebenen deutscher Kommunen von eben solchen Rassismen und Stereotypen durchwachsen sind. Der vorliegende Bericht der Stadt Gelsenkirchen verdeutlicht dies auf klare Art und Weise:

Bulgarische und rumänische Staatsbürger werden beispielsweise nicht als Teil der städtischen Bevölkerung anerkannt, denn, so der Bericht, leben sie „mehr oder weniger isoliert in den Stadtteilen“. Das Bild der Innenstadt hingegen werde aber immer sichtbarer von rumänischen und bulgarischen Menschen geprägt, wo „wir sie als Käuferschaft [treffen], aber auch beim Sichern des Lebensunterhalts: Verkauf der Straßenzeitung, Betteln, Wahrsagen, Sammeln von Sperrmüll und Schrott bestimmen ihre Aktivitäten immer mehr das Alltagsbild.“ (S. 11). Die Abgrenzung in ein „Wir“ und „die Anderen“ ist unübersehbar – eine der Grundmechanismen, auf denen Rassismus beruht. Darüber hinaus bleibt völlig unklar, woher diese Informationen bezogen werden und ob es sich nicht nur um Einzelfälle handelt.

Mit Blick auf die gesetzlichen Anpassungen zum 01.01.2014 wird darauf verwiesen, dass Personen aus Bulgarien und Rumänien nur in wenigen Fällen über eine Berufsausbildung oder einen Berufsabschluss verfügen würden (S. 11). Vor allem „die zugewanderten Roma weisen unterdurchschnittliche schulische und berufliche Qualifikationen auf. Die Analphabetismusquote ist signifikant hoch.“ (S. 12). Mit anderen Worten dürfte dies heißen: nicht die so erwünschten hochqualifizierten Arbeitskräfte kommen, sondern potentielle Sozialleistungsbezieher.

Die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien wird allerdings nicht ausschließlich als finanzielles und den Arbeitsmarkt betreffendes Problem dargestellt, sondern auch als gesellschaftliches: „Die Unkenntnis hiesiger Sitten und Gebräuche sowie der geltenden Ordnungsregeln rufen vielfach soziale Spannungen in Wohnquartieren hervor. In einigen Nachbarschaften führt die Situation mittlerweile zu großen Unruhen. Dies wiegt umso schwerer, als die Zuwanderer aus Südosteuropa gerade in solche Quartiere ziehen, die ohnehin durch eine prekäre soziale Lage mit vergleichsweiser hoher Arbeitslosen- und Sozialleistungsquote gekennzeichnet sind. Der soziale Frieden ist in den betroffenen Sozialräumen akut bedroht.“ (S. 12)

Die Warnung vor einer Bedrohung des „sozialen Friedens“ durch die Zuwanderung zeigt, wie sehr die Kommune Gelsenkirchen, wohl aber auch andere Städte in Deutschland, in perfiden rassistischen Denkstrukturen verfestigt sind, denen Migranten in ihrem Alltag und Umgang mit den Behörden tagtäglich ausgesetzt sind. Sie ähnelt zudem in unmissverständlicher Weise den oben angesprochenen Äußerungen, die wir momentan immer wieder auch aus anderen europäischen Staaten zu hören bekommen.

Die Wahrung des „sozialen Friedens“ wurde in der Agenda der Stadtverwaltung höchste Priorität eingeräumt: Neben der „möglichst schnellen Eingliederung der Zielgruppe in die Stadtgesellschaft“ wurde „[d]ie Wahrung des sozialen Friedens durch Erhöhung der Normbindung“ zum „[s]trategischen Ziel“ der Stadt Gelsenkirchen erklärt.

Des weiteren wird den Zugewanderten der Aufbau illegaler Strukturen unterstellt, die durch ein Null-Toleranz-Prinzip eingedämmt werden sollen. Zudem soll der Aufbau eines „Beschwerdemanagements“ dafür Sorge tragen, dass Beschwerden gegen die rumänische und bulgarische Bevölkerung effektiv bearbeitet und eine Sortierung und Kategorisierung der Beschwerden vorgenommen werden kann. Es sollte erwähnt werden, dass es sich bei den bislang eingegangenen Beschwerden beispielsweise um den „Aufenthalt kleinerer und größerer Gruppen der Zuwanderer auf den Gehwegen und vor den Wohnhäusern [handelt], was zu einer Lärmbelästigung der Nachbarschaft führt, sowie der Vermüllung der Umgebung“ sowie um „das vermehrte Auftreten von Transportern i.d.R. rumänischer und bulgarischer Herkunft“, die „oftmals keine Umweltzonen-Plakette vorweisen“ und „nicht ordnungsgemäß geparkt werden“ (S. 22).

Wahrhaftig eine Gefahr für den „sozialen Frieden!“ Die Frage ist nur: Gefährden tatsächlich die fehlenden Umweltplaketten und die „Gruppen der Zuwanderer auf den Gehwegen“ den „sozialen Frieden“ oder die Reproduktion gängiger rassistischer Klischees, wie sie im Handlungskonzept der Stadtverwaltung zu finden sind?

Die öffentlichen Angestellten wurden mit diesem Dokument jedenfalls „bestens“ auf den 01.01.2014 eingestimmt: Unzählige neue Zuwanderer mit minderen beruflichen Qualifikationen, ohne Krankenversicherungen und Deutschkenntnisse würden nach Deutschland kommen, von denen – wie Herr Friedrich bemerkte – eine bestimmte Zahl nur hierher komme, um Sozialleistungen zu beziehen. Also aufgepasst, liebe Mitarbeiter im öffentlichen Dienst! Leitartikel Politik

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  1. H.P.Barkam sagt:

    Ein Beitrag, auf den ich hätte verzichten können.

    Es ist nun einmal so, dass einige Städte Probleme mit einem heftigen Zuzug gerade auch von Menschen haben, die auf dem begrenzten Märkten kaum eine Chance bekommen. Hier sind Arbeitsplätze immer noch Mangelware und menschenwürdige Wohnungen nicht bezahlbar.
    Polemische Schriftsätze, die keine Lösungsvorschläge für die betroffenen Menschen und für die Kommunen zumindest in Denkanstößen anbieten. helfen niemanden.

    In diesem Sinne.

  2. Honk sagt:

    @ H.P.Barkham: ja, an Ihrer Einschätzung ist was dran. Zuzug kann tatsächlich aufwendig und ressourcenintensiv für Städte werden. Die Erarbeitung von Perspektiven für Menschen ohne oder mit veralteter Berufsausbildung, mangelnden Sprachkenntnissen und Unkenntnis über das Bildungsystem und den regionalen Arbeitsmarkt ist eine Angelegenheit, die viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Kommunen durchaus eine Herzensangelegenheit ist. Aber das kostet Geld und das haben viele Kommunen leider nicht. Statt dessen wird versucht, irgendwo ein paar Projektgelder herzubekommen, um iregendein Qualifizierungsprojekt aufzutun, das 3 Jahre läuft und dann wieder in der Versenkung verschwindet. Die Kommunen müssen zur Bewältigung der Integrationsaufgaben endlich finanziell ordentlich ausgestattet werden! Dann werden in den Kommunen auch keine Arbeitskreise mehr damit beauftragt, Konzepte für das Abwimmeln von Zuwanderern und übrigens auch hier lebenden Arbeitlosen auszubrüten.

  3. Matthias sagt:

    Der Artikel verdreht die Tatsachen. Es tauchen kaum Rumänen und Bulgaren in den Statistiken der Jobcenter auf, da diese bislang keine SGB-II Leistungen erhalten durften. Nur in einigen Konstellationen ist dies möglich gewesen.

    Sofern also der geringe Anteil an rumänischen Leistungsbeziehern als Beleg für irgendwas genommen wird, ist das hier nicht aussagekräftig.

    Darüber hinaus empfehle ich dem Autor, vor Ort, also in den Kommunen mal nachzuhören und nachzusehen, welche Probleme entstehen.

    Selbstverständlich stehen EU-Bürgern die Freizügigkeitsrechte zu. Es ist auch schon seit 2005 möglich, den Aufenthalt zu beenden, wenn das Sozialsystem unangemessen stark in Anspruch genommen wird. Was also unsere Politiker machen und fordern, besteht bereits.Insofern ist das tatsächlich als Polemik zu verstehen und geht genauso an der Lebensrealtiät vorbei wie dieser Artikel.

  4. Martin sagt:

    Liebe Frau Illaw,

    können Sie mir bitte sagen, wo ich das interne Papier der Stadt Gelsenkirchen „Handlungskonzept der Stadt Gelsenkirchen ‚Zuwanderung im Rahmen der EU-Osterweiterung: Bulgarien und Rumänien“ finden kann?

  5. Mr Right sagt:

    Ich liebe die Plusdeutschen und ihre Liberalen Freunde! Immer her damit!