Interview mit Prof. Reiner Tillmanns

Der religiös-weltanschaulich neutrale Staat und die Theologie

Viel wurde in den letzten Monaten über die Islamische Theologie spekuliert. Einige sehen die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr, andere sprechen von einem „Staatsislam“, der kreiert werden soll. Juristen betrachten die Probleme und Schwierigkeiten oft nüchterner. So auch Religionsverfassungsrechtler Prof. Reiner Tillmanns im Gespräch mit Eren Güvercin.

Herr Prof. Tillmanns, wie sieht eigentlich die historische Tradition hinsichtlich der Kooperation von Kirche und Theologie in Deutschland aus? Warum hat die Theologie eine Sonderstellung an Universitäten und welche Aufgaben haben Theologen an Universitäten?

Prof. Dr. Reiner Tillmanns: Theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten haben im deutschen Rechtsraum eine lange Tradition. Im Gegensatz zu anderen Fakultäten zeichnen sich theologische Fakultäten dadurch aus, dass in ihnen staatliche und kirchliche Rechtspositionen zusammentreffen. Die moderne Universität und ihre Fakultäten, auch die theologischen Fakultäten, sind Einrichtungen des Staates. Die in den theologischen Fakultäten gelehrte Theologie im Sinne von kirchlicher Lehre ist jedoch eine Funktion der Kirche, nicht des religiös-weltanschaulich neutralen Staates. Die theologischen Fakultäten dienen der Ausbildung von Lehrern für den Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach an staatlichen Schulen gemäß Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz (GG) und der Ausbildung von Geistlichen und anderen theologisch geschulten Mitarbeitern im Kirchendienst. Sie sind zudem Orte für die wissenschaftliche Durchdringung und Vertiefung religiöser Fragen.

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Welche grundgesetzlichen Voraussetzungen legitimieren dieses Mitspracherechte der Kirchen?

Zur Person: Reiner Tillmanns ist Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen (FHöV NRW). Zuvor war er Mitarbeiter am Institut für Kirchenrecht der Universität zu Köln. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört das Religionsrecht. Seit mehr als 20 Jahren befasst er sich mit den Rechtsproblemen der Muslime und islamischen Gemeinschaften in Deutschland, woraus etliche juristische Fachbeiträge hervorgegangen sind.

Tillmanns: Die Mitspracherechte der Kirche resultieren aus dem besonderen Charakter der theologischen Fakultäten als „gemeinsame Angelegenheit“ von Staat und Kirche. Soweit kirchliche Angelegenheiten betroffen sind, können diese nicht alleine und womöglich gegen den Willen der Kirche entschieden werden. Eine derartige Bevormundung des Staates wird als unvereinbar mit den kirchlichen Selbstbestimmungsrecht aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung (WRV) angesehen. Kirchliche Mitbestimmungsrechte bestehen dort, wo ihre eigenen Angelegenheiten betroffen sind, wie im Bereich der spezifisch geistlichen Aspekte. Diese sind von den Kirchen zu entscheiden. Der religiös-weltanschaulich neutrale Staat ist hierfür im Übrigen auch nicht kompetent. Er kann nicht entscheiden, ob die Lehre, Forschung und Ausbildung an der theologischen Fakultät bekenntnisgemäß erfolgt, also der Lehre der jeweiligen Kirche entspricht. Allein die Kirchen haben zu befinden, ob die an der theologischen Fakultät vertretene Lehre als kirchlich anzusehen ist. Sie allein haben zu beurteilen, ob die an der Fakultät lehrenden Dozenten in Forschung und Lehre die Identität des kirchlichen Bekenntnisses wahren. Prüfungen, deren Ablegung auch Qualifikationsnachweise für den innerkirchlichen Bereich darstellt, dürfen nur von kirchlich anerkannten Prüfern abgenommen werden. Schließlich bedarf es bei der Verleihung akademischer Grade, denen innerkirchliche Wirksamkeit zukommt, der kirchlichen Mitwirkung.

In den letzten Jahren gab es einige Fälle an Instituten für evangelische oder katholische Theologie, in denen Lehrererlaubnisse entzogen wurden wie im Fall von Gerd Lüdemann, der ja sogar bis vor das Bundesverfassungsgericht gegangen ist. Ab wann wäre ein Professor für katholische Theologie nicht mehr tragbar?

Tillmanns: Der Entzug der kirchlichen Lehrbefähigung und seine Folgen sind in den Staatskirchenverträgen, welche die Kirchen mit den deutschen Ländern geschlossen haben, im Detail unterschiedlich geregelt. Sowohl für die Versagung als auch für den späteren Entzug des nihil obstat gilt, dass sie nur auf die Lehre und den Lebenswandel des betroffenen Professors gestützt werden können und zu begründen sind. Das Schlussprotokoll zu Art. 12 Abs. 1 Satz 2 des preußischen Konkordates aus dem Jahr 1929 formuliert die diesbezüglichen Anforderungen beispielhaft: „Sollte ein einer katholisch-theologischen Fakultät angehöriger Lehrer in seiner Lehrtätigkeit oder in Schriften der katholischen Lehre zu nahe treten oder einen schweren oder ärgerlichen Verstoß gegen die Erfordernisse des priesterlichen Lebenswandels begehen, so ist der zuständige Bischof berechtigt, dem Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung hiervon Anzeige zu machen.“

Die Beanstandung muss hinreichend begründet werden; der Tatbestand (Lehre und/oder Lebenswandel) und die Tatsachen, auf welche sich die Beanstandung stützt, sind anzugeben. Die staatliche Seite muss die Beanstandung als schlüssig begründet erkennen können, ist allerdings darauf beschränkt, die vorgetragenen Tatsachen zu prüfen. Der religiös-weltanschaulich neutrale Staat kann nicht beurteilen, ob das inkriminierte Verhalten ein Verstoß gegen die kirchliche Lehre darstellt oder als Verstoß gegen die Pflichten des Lebenswandels anzusehen ist. Dies festzustellen, ist allein Sache der Kirche oder Religionsgemeinschaft.

Was wäre die Konsequenz für einen Professor, wenn die Kirche ihm die Lehrerlaubnis entziehen würde?

Tillmanns: Der religiös-weltanschaulich neutrale Staat kann nicht inhaltlich überprüfen, ob der geltend gemachte Verstoß gegen die Lehre oder den Lebenswandel vorliegt und wie gravierend er nach der Lehre der Kirche einzustufen ist. Die katholischen Staatskirchenverträge sehen daher vor, dass der Staat bei einem Entzug des nihil obstat Abhilfe leistet, insbesondere für einen dem Lehrbedürfnis entsprechenden Ersatz sorgt. Aus der Pflicht zur Ersatzgestellung wird überwiegend gefolgert, dass der Staat der Fakultät in der Regel umgehend im Rahmen des allgemeinen Haushaltsrechts eine Planstelle gleicher Art, wie der Beanstandete sie innehatte, zur Verfügung stellt.

Ein Professor, dessen nihil obstat widerrufen wurde, darf nicht mehr Theologie lehren und in theologischen Fächern keine Prüfungen mehr abnehmen. Das gilt für alle Studiengänge, an denen das Fach Theologie beteiligt ist. Nach überwiegender Ansicht darf der Betroffene auch nicht Mitglied der theologischen Fakultät bleiben. Sein beamtenrechtlicher Status bleibt von der Beanstandung indes unberührt. Im Regelfall wird der Beamte in eine andere Fakultät versetzt.

Die Diskussionen um das Verhältnis von Staat und Religion haben ja durch die Debatte um den islamischen Religionsunterricht und die Islamische Theologie an deutschen Universitäten eine neue Dimension erreicht. Es scheint, dass die Tradition der Mitspracherechte der Kirchen wieder in Frage gestellt werden. Muss man diese Tradition aufgeben oder überwinden?

Tillmanns: Nein. Die theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten haben sich bewährt. Die Theologie gehört seit jeher zu den grundlegenden wissenschaftlichen Fachbereichen und bildet mit ihrem wissenschaftlichen Beitrag und der Auseinandersetzung mit anderen Fakultäten einen wesentlichen Bestandteil der Volluniversität. Wollte der Staat die Theologie aus dem Kreis der universitären Wissenschaften abdrängen, verstieße er gegen seine Pflicht zu religiös-weltanschaulicher Neutralität, weil die Schaffung religionsfreier Räume antireligiös eingestellte Weltanschauungen begünstigte. Der Staat, der Religion ausgrenzt, ist nicht neutral, sondern laizistisch. Neutralität im Sinne des deutschen Verfassungsrechts meint positive Neutralität im Sinne einer unparteiischen Zulassung religiöser und weltanschaulicher Lehren. Dies schließt eine Förderung religiöser und weltanschaulicher Belange durch den Staat ein.

Da der Staat des Grundgesetzes zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichtet ist, darf er jedoch keine Religion oder Weltanschauung betreiben oder sich mit einer solchen identifizieren. Daher ist er bei der Einrichtung und dem Betrieb theologischer Fakultäten auf die Mitarbeit der Religionsgemeinschaften angewiesen, indem diese die religiösen Aspekte entscheiden, deren Regelung ihm versagt ist. Hier hat die Beteiligung der Kirchen u.a. in Personalangelegenheiten ihre Grundlage. Die damit verbundenen Rechte stellen keine Privilegierung dar. Sie sind die Folge staatlicher Neutralität in religiös-weltanschaulichen Angelegenheiten.

Der Wissenschaftsrat hat hinsichtlich der Islamischen Theologie ein Beiratsmodell empfohlen. Neben den organisierten Muslimen in Form der muslimischen Verbände sollen auch nicht-organisierte Muslime teilnehmen. Wie bewerten sie als Staatskirchenrechtler diese Konstellation?

Tillmanns: Theologische Fakultäten lassen sich ohne die Mitwirkung der betreffenden Religionsgemeinschaft an staatlichen Universitäten nicht betreiben. Da es „die“ islamische Religionsgemeinschaft nicht gibt, stellt sich die Frage, wer als Kooperationspartner des Staates bei der Einrichtung und dem Betrieb islamisch-theologischer Einrichtungen in Betracht kommt. Der Wissenschaftsrat hat das nun praktizierte Beiratsmodell empfohlen. Da einiges dafür spricht, dass die vier im Koordinationsrat der Muslime vertretenen Verbände als Religionsgemeinschaften angesehen werden können, liegt nahe, dass diese Verbände im Beirat vertreten sind. Über diese Verbände ist allerdings nur ein Teil der in Deutschland lebenden Muslime repräsentiert. Die nicht-organisierten Muslime sollen durch muslimische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und muslimische Religionsgelehrte vertreten sein.

Dieses Modell ist aus der Not geboren. Es stellt eine Behelfslösung dar und ist als solche nicht frei von verfassungsrechtlichen Bedenken. Verfassungsrechtlich nicht haltbar erscheinen Ausgestaltungen, in denen der Staat Mitglieder des Beirats alleine, d.h. ohne Zustimmung der muslimischen Verbände berufen könnte. Eine solche Regelung wäre mit dem Selbstbestimmungsrecht der muslimischen Verbände aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV – soweit sie Religionsgemeinschaften sind – nicht vereinbar.

Seit den Empfehlungen des Wissenschaftsrats von 2010 wurden in nur drei Jahren an über fünf Standorten zahlreiche Professoren berufen. Darunter u.a. Soziologen, Philosophen, Osmanisten, die Islamische Theologie lehren sollen. Wenn man sich die Berufungskommissionen näher betrachtet, dann stellt man auch fest, dass fast keine muslimischen Theologen bei der Berufung von Professoren für Islamische Theologie bzw. Religionspädagogik involviert waren. In NRW wurde 2010 bspw. eine Berufungskommission etabliert, der den Soziologen Mouhannad Khorchide zum Professor für Islamische Religionspädagogik berufen hat. Bei den anderen Mitgliedern der Berufungskommission handelte es sich um Erziehungswissenschaftler, christlich-orthodoxe Christen und auch Prof. Sven Kalisch war dabei. Sven Kalisch – der erst 2010 seine Lehrerlaubnis aufgrund der Stellungnahme des KRM verlor – hat also in der Berufungskommission seinen Nachfolger für den bekenntnisgebundenen Lehrstuhl mitbestimmt. KRM und viele Muslime beklagen diese Berufungskommission.

Tillmanns: Eine fachlich heterogene Besetzung von Berufungskommissionen ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Sie rechtfertigt sich zunächst durch das Berufsbild des Hochschullehrers, der häufig mehrere Fächer einer Fachwissenschaft vertritt, und zwar in der Wissenschaft und der Lehre. Als Lehrende müssen Hochschullehrer somit etwa auch über didaktische Fähigkeiten verfügen. Das Berufsbild des Hochschullehrers ist insgesamt komplex, das Anforderungsprofil vielschichtig. Um die unterschiedlichen Anforderungen an die Bewerber um eine Professur fachlich bewerten zu können, kann es sich daher anbieten, die Berufungskommission mit Vertretern verschiedener Fachlichkeiten zu besetzen. Hinzu kommt, dass nach Maßgabe der Berufungsordnungen neben der Gruppe der Dozenten auch die Gruppen der wissenschaftlichen Mitarbeiter und der Studierenden, teilweise auch externe Mitglieder, am Berufungsverfahren zu beteiligen sind. All dies hat zur Folge, dass Berufungskommissionen häufig „bunt“ besetzt sind.

Die Berufung von Hochschullehrern ist im Hochschulrecht, namentlich in den Berufungsordnungen, detailliert geregelt. Diese Vorschriften sind offen zu legen und selbstverständlich einzuhalten. Berufungsverfahren sind insbesondere transparent zu gestalten. Dies folgt schon aus allgemeinen rechtsstaatlichen Erwägungen und ist in zahlreichen Berufungsordnungen ausdrücklich vorgeschrieben. Dass ehemalige Lehrstuhlinhaber in der Berufungskommissionen zur Neubesetzung der Stelle mitwirken, ist – zumindest an rechtswissenschaftlichen Fakultäten – zu Recht verpönt.

In dem aktuellen Fall in Münster hat der KRM eine Idschaza erteilt. Nach Anfragen an den KRM wurde mitgeteilt, dass man davon ausging, die Universität habe die formalen Qualifikationen – also Vollstudium der Theologie/Religionspädagogik und dazugehöriger Promotion sowie habilitationsäquivalente Leistungen – berücksichtigt. Der KRM habe Prof. Khorchide eine selbstverpflichtende Erklärung unterschreiben lassen, dass er nach der Glaubensauffassung des KRM seine Professur bzw. seinen Lehr- und Forschungsauftrag ausrichten wird. Aufgrund der Publikationen zu seinem theologischen Denken und den zahlreichen Interviews dazu, hat jetzt der KRM ein theologisches Gutachten verfasst. Welche Konsequenzen könnte dies haben?

Tillmanns: Zuständig für die Beanstandung von Dozenten in Studiengängen der islamischen Theologie an der Universität Münster ist der konfessionelle Beirat. Nach der Rechtspraxis in theologischen Fakultäten müsste dieser die Lehre oder den Lebenswandel des betroffenen Dozenten gegenüber der Universität offiziell beanstanden und hierfür Gründe angeben. Die Universität wäre auf eine Schlüssigkeitskontrolle beschränkt. Eine inhaltliche Prüfung der vorgetragenen Gründe oder deren Gewichtung stünde ihr nicht zu.

Solange der Beirat sich noch nicht konstituiert hat, lässt sich dieses Verfahren nicht anwenden. Der KRM kann die Lehrerlaubnis freilich wieder entziehen, wenn die Voraussetzungen für ihre Erteilung nicht mehr vorliegen. In diesem Fall wäre zu prüfen, ob die Rechtsfolgen eines solchen Entzugs im Verhältnis zur Universität Münster geregelt worden sind. Rechtlich konsequent wäre, den Dozenten in diesem Fall zu versetzen.

In den Medien wurde das Gutachten des KRM so interpretiert, dass sie die Freiheit der Lehre beeinträchtige. Ebenso haben sich liberale Muslime, Aleviten sowie nicht-muslimische Organisationen mit dem Argument der Wissenschaftsfreiheit ihre Solidarität mit Herrn Khorchide bekundet. Wie sieht das Verhältnis von persönlicher Wissenschaftsfreiheit und Bekenntnismäßigkeit aus? Kann es aus juristischer Sicht eine Theologie geben, die abgekoppelt ist von den Religionsgemeinschaften und der Moscheegemeinden?

Tillmanns: Hochschullehrer sind Träger der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG. Dies berechtigt Professoren, die Universität auch im Falle einer Beanstandung weiter als Forum für die eigenverantwortliche Forschung und Lehre zu nutzen. Sie dürfen nach wie vor Vorlesungen halten, Seminare anbieten oder sonstige Lehrveranstaltungen durchführen. Auch ist ihnen ihre personelle und sachliche Grundausstattung zu erhalten. Die Wissenschaftsfreiheit gibt einem Hochschullehrer aber kein Recht, weiterhin die Theologie einer Kirche zu lehren, wenn die Kirche ihm die Lehrbefugnis entzogen hat, weil seine Lehre oder sein Lebenswandel gegen die kirchliche Lehre oder Sittenordnung verstößt.

Das Beanstandungsrecht der katholischen Kirche hat zur Folge, dass Hochschullehrer an katholisch-theologischen Fakultäten personell abhängig sind von der Übereinstimmung ihrer Lehre und ihres Lebenswandels mit den Anforderungen ihrer Kirche. An katholisch-theologischen Fakultäten kann somit keine von der kirchlichen Lehre abgekoppelte Theologie vertreten und gelehrt werden.

Die evangelischen Staatskirchenverträge sehen ein solches Beanstandungsrecht nicht ausdrücklich vor. Die Rechtslage ist damit unklar. Teilweise wird der evangelischen Kirche gleichwohl ein Recht zur nachträglichen Beanstandung aus ihrem Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 GG) zugesprochen, teilweise wird vertreten, dass nicht die Kirche, sondern die Fakultäten das berufenere Organ sind, um Konflikte in der Theologie zu entscheiden. Damit wird den evangelisch-theologischen Fakultäten aber nicht das Recht zugesprochen, eine von der kirchlichen Lehre abgekoppelte Theologie zu entwerfen und zu lehren; ihnen wird lediglich die Kompetenz zuerkannt, Konflikte um die kirchliche Lehre zu entscheiden.

In den aktuellen Debatten werden häufig die Begriffe Religionswissenschaft, Islamwissenschaft und Theologie synonym verwendet. Was ist der zentrale Unterschied zwischen diesen Disziplinen?

Tillmanns: Der Begriff der Religionswissenschaft liegt nicht fest. Innerhalb der deutschen Religionswissenschaften bestehen unterschiedliche Fachverständnisse. Im Kern lässt sich Religionswissenschaft beschreiben als Gesellschafts- und Kulturwissenschaft, die sich vergleichend mit Handlungen, Vorstellungen und Institutionen in Geschichte und Gegenwart beschäftigt, welche als „religiös“ betrachtet werden.

Auch der Begriff der Islamwissenschaft ist unscharf. In Deutschland steht die Islamwissenschaft tief in der Tradition der Orientalistik. Ein allgemein gültiges Begriffsverständnis existiert nicht. Allgemein formuliert, lässt sich die Islamwissenschaft als bekenntnisunabhängige Wissenschaft über die Religion des Islam verstehen.

Der Begriff „Theologie“ bezeichnet die „Lehre von Gott“ und vom Inhalt einer Religion. Die Religions- u. Islamwissenschaft und die Theologie überschneiden sich inhaltlich in weiten Bereichen. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass Religions- und Islamwissenschaft bekenntnisneutral sind und die Religion gleichsam aus einer Außenperspektive behandeln. Dem entgegen ist Theologie stets konfessionsgebunden und beleuchtet den jeweiligen Glauben quasi aus der Innenperspektive der Glaubenden.

Nach einer anfänglichen Aufbruchstimmung beim KRM und in der muslimischen Basis werden nach dem Fall Sven Kalisch und Mouhanad Khorchide die kritischen Stimmen hinsichtlich der Institute für Islamische Theologie stärker. Einige Muslime haben zunehmend das Gefühl, dass die Universitäten in Kooperation mit den Ministerien einen „Staatsislam“ konstruieren möchten. Was sind Ihrer Ansicht nach die zentralen Herausforderungen, um das Vertrauen des KRM mit seinen über 2000 Moscheegemeinden zu gewinnen? Oder sind die Befürchtungen nicht gerechtfertigt?

Tillmanns: Die islamische Theologie hat ihren Platz an den staatlichen Universitäten. Dies dient nicht nur der Pflege und wissenschaftlichen Durchdringung des Islam. Als Teil des universitären Fächerkanons kann die islamische Theologie zudem in befruchtenden Kontakt zu anderen Disziplinen, etwa der Islamwissenschaft oder den theologischen Fakultäten, treten. Zudem stellt der Islam mit mehr als vier Millionen Muslimen einen gewichtigen Kulturfaktor dar, so dass die Verortung der islamischen Theologie auch unter dem Aspekt der Gleichbehandlung mit den theologischen Fakultäten der christlichen Kirchen nahe liegt und unter dem Gesichtspunkt der Integration geboten erscheint. Nicht zuletzt ist der Staat für die wissenschaftliche Ausbildung von Lehrkräften für einen islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen auf islamisch-theologische Einrichtungen an seinen Universitäten angewiesen.

Der Wissenschaftsrat hat daher aus gutem Grunde empfohlen, die islamische Theologie an deutschen Hochschulen zu etablieren. In Ermangelung einer islamischen Religionsgemeinschaft, die für alle Muslime sprechen kann, rät der Wissenschaftsrat zur Einrichtung theologischer Beiräte. Hierbei lag nahe, den Koordinationsrat als Vertreter der verbandlich organisierten Muslime in das Beiratsmodell einzubeziehen und für die nicht organisierten Muslime weitere Repräsentanten im Beirat vorzusehen. Damit befindet sich der Koordinationsrat in einer schwierigen Situation. Als Vertreter der verbandlich-organisierten Muslime ist er verpflichtet, bei seiner Mitarbeit im Beirat das religiöse Verständnis seiner Mitgliedsverbände zugrunde zu legen. Anders als etwa der katholischen Kirche kommt es ihm aber nicht zu, bestimmen, welche religiösen Ansichten mit dem Islam vereinbar oder unvereinbar sind. Betreibt der Koordinationsrat nun die Entfernung eines Professors, weil dieser abweichende und für die islamischen Verbände nicht akzeptable theologische Auffassungen vertritt, setzt er sich dem Vorwurf aus, aus einer intoleranten Grundhaltung ein konservatives Islamverständnis durchsetzen zu wollen. Beanstandet er die religiösen Ansichten des Professors hingegen nicht, macht er sich bei seinen eigenen Verbänden und deren Mitgliedern unglaubwürdig.

In dieser Situation fordert der Charakter des Zentrums für islamische Theologie als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Verbänden eine partnerschaftliche Grundhaltung und wechselseitige Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen der jeweils anderen Seite. Hierbei darf vom Koordinierungsrat eine tolerante Grundhaltung und prinzipielle Duldsamkeit gegenüber abweichenden theologischen Auffassungen erwartet werden. Von ihm kann indes nicht erwartet werden, dass er eine theologische Ausbildung im Beirat mitträgt, die unter seinen Mitgliedern nicht nur theologisch umstritten ist, sondern von seinen Verbänden und deren Mitgliedern unter keinen Umständen akzeptiert werden kann. An diesem Punkte ist der Koordinationsrat zum Einschreiten verpflichtet. Dies nicht nur, um sich das Vertrauen der Muslime zu erhalten, die er im Beirat vertritt, sondern auch, um seiner Rolle im Beirat gerecht zu werden. Denn nach dem Willen des Wissenschaftsrates sollte durch die Einbindung des Koordinierungsrates gerade „sichergestellt werden, dass die an den Hochschulen gelehrten Islamischen Studien auch von den Studierenden, den Eltern bzw. den muslimischen Gemeinschaften insgesamt akzeptiert werden können“ (WR, Drs. 9678-10).