Buchtipp zum Wochenende

John F. Kennedys: Eine Nation von Immigranten

Viel wurde anlässlich des 50. Todestages von John F. Kennedy geschrieben. Die wenigsten aber dürften sein Buch über Immigration erwähnt haben – eine großartige Abhandlung der Einwanderergeschichte, die nach wie vor aktuell ist.

John F. Kennedy fasziniert bis heute. Dafür sprechen die zahlreichen Dokumentationen und Artikel, die anlässlich seines 50. Todestages erschienen sind. Die wenigsten aber dürften das Buch über Immigration erwähnt haben, an dem der Präsident zum Zeitpunkt seines Todes geschrieben hatte. Es ist eine großartige, Mut machende Abhandlung der Einwanderergeschichte und damit auch des amerikanischen Traums. Sie zu lesen lohnt sich gerade jetzt, da über die bevorstehende Grenzöffnung für Bulgaren und Rumänen diskutiert wird.

„A Nation of Immigrants“ (Eine Nation von Immigranten) ist der Titel des Buchs. Herausgegeben wurde es 1964, posthum, von Robert F. Kennedy, dem Bruder und Wahlkampfhelfer des Präsidenten. Er kenne kein Anliegen, für das sich sein Bruder mehr eingesetzt habe, als die Verbesserung der Immigrationsgesetze, schreibt er im Vorwort.

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Mit der allgemeinen Verklärung der Kennedy Ära und den vielen Mythen, die sich um seinen Tod ranken, hat das Buch nichts zu tun. Doch wer das etwa 100 seitige Werk liest, erkennt in John F. einen Politiker, der bereit war, für seine Ideale zu streiten, und der auf die Kraft seiner Argumente vertraute.

Die USA, so Kennedy, seien ohne die positiven Impulse, die von der Einwanderung ausgingen, nicht zu verstehen. „Den Beitrag der Immigranten sehen wir in allen Bereichen unseres nationalen Lebens. Wir sehen ihn in der Religion, in der Politik, im Unternehmertum, den Künsten, der Bildung und sogar im Sport und in der Unterhaltung“ (S. 3).

„Sie ist eine der dramatischsten Erfolgsgeschichten aller Zeiten“, schreibt auch Robert in der Einleitung. Dem Präsidenten sei es darum gegangen, diesen Erfolg weiterzuführen. Tatsächlich endet das Buch mit konkreten Vorschlägen für eine Lockerung der Einwanderungsgesetze. Obwohl eine überzeugte antirassistische Haltung zur damaligen Zeit alles andere als selbstverständlich war, setzt sich der Präsident für die Abschaffung des damaligen Quotensystems ein. Dieses System diente dem Zweck, die Bevölkerungszusammensetzung so beizubehalten, wie sie 1920 gewesen war und basiere, so der Präsident, auf einer „nicht-legitimierbaren rassischen Präferenz“ (S. 77).

Die spezielle, diskriminierende Formel gegen Immigranten, deren Vorfahren aus Asien (Pakistaner, Chinesen oder Japaner) oder aus Südeuropa (Griechen) stammten, solle, so der Präsident (S. 81) durch eine „rationalere, weniger vorurteilsbelastete Einwanderungspolitik ersetzt“ werden. Auch die Familienzusammenführung sowie die Einreise kranker oder behinderter Familienmitglieder solle ermöglicht werden.

Quoten, so Kennedy stünden im Widerspruch zur amerikanischen Tradition und den Gründungsprinzipen des Landes, wonach alle Menschen gleich seien. Die Qualifikation eines Immigranten könne nicht vom Land seiner Geburt abhängig gemacht werden (S. 75). Im Hinblick auf den Versuch, Einwanderung durch Quoten zu regeln, erinnert er auch an seinen Vorgänger, Präsidenten Cleveland, der ein Veto einlegte, als der Kongress erstmals im Jahr 1897 Lese- und Schreibtests für Immigranten einführen wollte. Die späteren Präsidenten, Taft und Wilson, hätten ähnliche Gesetzesvorlagen abgelehnt, so Kennedy, da solche Tests lediglich Auskunft über die Bildungschancen der Einwanderer böten, aber nichts über deren Wert als Bürger aussagten.

Einwanderung, auch das geht aus dem Buch hervor, ist ein zweiseitiger Prozess, der sowohl die Immigranten als auch das aufnehmende Land verändert und nicht selten zu Spannungen führt. Nur zwei Generationen trennten den Präsidenten von seinen eingewanderten Vorfahren aus Irland. Diese Tatsache mag dazu beigetragen haben, dass er nicht nur die Chancen, sondern auch die Herausforderungen der Einwanderung so klar beschreiben konnte. Die Masseneinwanderung, die von Irland ausging, stellte die damalige Bevölkerung der USA vor eine große Probe. Die Iren waren nicht nur zahlreich, sondern auch arm und katholisch. So unbeliebt waren sie, dass Stellenausschreibungen nicht selten die Zusatzklausel enthielten „Iren brauchen sich nicht zu bewerben“ (S. 17 ff.). Die bereits ansässige Bevölkerung verband mit ihnen Slums, Kriminalität und Terrorismus.

„Die Iren“, so Kennedy, „sind vielleicht die Einzigen in unserer Geschichte, denen die Distinktion zukommt, dass sich eine politische Partei gegen sie formierte“. Es war die Partei der „Know Nothings“, die sich so nannte, weil ihre Mitglieder bei Verhaftungen immer angaben, nichts zu wissen). Sie duldete nur englische Protestanten in ihren Reihen und versuchte, die Einwanderung mit Gewalt zu unterbinden. Dennoch kamen zwischen 1820 und 1920 an die 4,5 Millionen Iren in die USA. Ihnen folgten weitere Eiwanderungswellen aus Italien, Deutschland, Skandinavien, Polen und Russland. Nicht selten, so Kennedy waren es Iren, die die nachfolgenden Gruppen ebenso vehement ablehnten, wie sie selbst einst abgelehnt worden waren.

Trotz dieser Rückschläge und Schwierigkeiten sei es eine erstaunliche Tatsache, dass die Immigration in die USA erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs per Gesetz eingeschränkt wurde und bis dahin der Grundsatz der freien, nicht-diskriminierenden Immigration galt (mit Ausnahme des „Oriental Acts“, der die Einwanderung aus China regelte). In dieser Offenheit sieht Kennedy einer der wichtigsten Gründe dafür, dass die Einwanderung so erfolgreich war.

Religiöse Verfolgung, politische Unterdrückung und wirtschaftliche Not seien die Hauptgründe, weshalb sich bis in die späten 50er Jahre über 42 Millionen Menschen nach Amerika aufgemacht hatten. Mit dieser Entscheidung habe jeder Einwanderer auf seine Art – und aus ganz individuellen Gründen – auf das Versprechen der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung (Declaration of Independence) reagiert, die ihm das Recht auf Leben, Freiheit und dem Streben nach Glück garantiert. Dieses Versprechen galt für alle, mit Ausnahme der schwarzen Bevölkerung, deren Weg von Anfang an, wie Kennedy schreibt, durch beschämende wirtschaftliche und politische Hürden begrenzt war. Die meisten anderen aber durften auf dieses Versprechen, trotz der z.T. unglaublichen Härten, die mit der Einwanderung einhergingen, hoffen – wenn nicht schon für die eigene Generation, dann zumindest für die Nachkommen.

Es ist dieser Optimismus, der auf der Überzeugung fußt, dass Menschen ihr Leben, wenn man sie lässt, selber aufbauen können, der uns auch heute noch inspirieren sollte. „Unsere Einstellung zur Immigration reflektiert unseren Glauben in das amerikanische Ideal. Wir haben immer daran geglaubt, dass es für Männer und Frauen, die ganz unten anfangen, möglich ist aufzusteigen – soweit es ihr Talent und ihre Energie zulassen“, schreibt Robert F. Kennedy im Vorwort. Er zitiert den Präsidenten, der bei seinem Besuch in Irland, im Juni 1963, gesagt hatte: „Als mein Urgroßvater sich auf den Weg machte, um in East Boston als Böttcher zu arbeiten, brachte er nichts mit, außer seinem tiefen, religiösen Glauben und einem starken Freiheitswillen. Hätte er es nicht getan, würde ich heute in der Fabrik hier gegenüber arbeiten“. In seinem letzten Kapitel, mit dem Titel „Wo wir stehen“ erinnert John F. Kennedy an die berühmten Worte von Emma Lazarus, die noch heute die Freiheitsstatue schmücken: „Gebt mir die Müden und die Schwachen, die Verworfenen, die nur nach Freiheit trachten (…) Schickt sie zu mir: Sie soll’n ihr Schicksal selber machen.“ Er beklagt die Tatsache, dass viele seiner Zeitgenossen den Worten dieses Gedichtes nur noch mit großen Einschränkungen zustimmen könnten, und erinnert daran, dass die Frage der Immigration auch eine Aussage darüber ist, wie die Welt die USA sieht und wie die USA sich selbst sehen.

In einer Zeit, da uns die Angst vor der „Einwanderung in die Sozialkassen“ umtreibt, stünde uns etwas von dem Optimismus, den Kennedy in die Politik brachte, gut an. Auch wir sollten, wie Kennedy es schon tat, über eine Einwanderungspolitik nachdenken, die auf Freiheit und Eigenverantwortung setzt. Über die Frage, wie die Einwanderung zu organisieren ist, können, in einem souveränen Staat, nur die Bürger selbst entscheiden. Weshalb aber sollten wir davon ausgehen, dass Menschen, die arm sind, immer arm bleiben und keine höheren Ambitionen haben können, als Sozialhilfe einzufordern? Einwanderung war und bleibt ein dynamischer Prozess. Ein Land, das sich abschottet, verfällt dem Stillstand.