Rechtspopulismus in Europa

Die dritte Volkspartei?

Wieso sind Rechtspopulisten in ganz Europa derart auf dem Vormarsch? Und wird die AfD in Deutschland ähnlich erfolgreich werden? Timo Lochocki geht diesen Fragen nach und meint, dass das vom Profil der CDU/CSU und SPD abhängt.

Geert Wilders Partij voor de Vrijheid (PVV) und Marine Le Pens Front National (FN) sind laut aktuellen Umfragen stärkste Partei in den Niederlanden und Frankreich, die norwegische Fremskrittspartiet (FRP) seit einigen Wochen Teil der Regierungskoalition. Wieso sind Rechtspopulisten in ganz Europa derart auf dem Vormarsch? Und wird die AfD in Deutschland ähnlich erfolgreich werden?

Bis auf Irland und Spanien sind rechtspopulistische Parteien integraler Bestandteil der politischen Landschaft Westeuropas. Die jüngsten Erfolge der Alternative für Deutschland (AfD) – deren abschließende politische Verortung aber zur Zeit nicht möglich ist – weisen erstmals seit den letzten Erfolgen der Republikaner (REP) in den frühen 1990ern auch in Deutschland auf ein substanzielles Wählerreservoir rechts der CDU/CSU hin.

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Dieses Potenzial wird im Rest Europas bereits seit Jahren auf beeindruckende Weise ausgeschöpft: Welche Sogwirkung von Rechtspopulisten ausgeht, wird im vermeintlich liberalen Schweden deutlich sichtbar; hier erleben die Sverigedemokraterna seit ihrem Parlamentseinzug 2010 mit 5,6 % einen rasanten Aufstieg und schwanken in aktuellen Umfragen zwischen neun und 13 %.

Noch größere Erfolge feiern Rechtspopulisten in den Alpenrepubliken, den Niederlanden, Frankreich und Skandinavien; dort konkurrieren sie nach deren Aufstiegen in den 1980er/1990er Jahren mittlerweile mit den etablierten, moderaten Konservativen um die Pole-Position im „bürgerlichen Lager“ – aktuell besonders gut sichtbar in den Niederlanden und Frankreich. In der Schweiz haben die Rechtspopulisten diesen Wettbewerb schon vor Jahren für sich entschieden.

Diese Daten decken sich mit den Ergebnissen der internationalen Wahlforschung, die das Wählerpotential von rechtspopulistischen Parteien im Schnitt zwischen 10 und 20 % verortet. Es ist hierbei zentral zu betonen, dass diese Nachfrage unabhängig von Zeit und Land stabil bleibt – mindestens 10 % aller europäischen Wähler sind jederzeit bereit, für eine solche Partei zu stimmen. Der Spielraum „nach oben“ scheint allerdings bis an die 30 %-Grenze zu reichen (siehe Grafik).

Grafik: Bedeutung rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa

Die „dritte Volkspartei“?
Nicht nur von ihrem beachtlichen Wählerzuspruch her, sondern vor allem wegen ihres Wählerprofils, kann man rechtspopulistischen Parteien mittlerweile fast als ‚dritte Volkspartei’ betrachten: Zwar sind Männer mit niedrigeren Bildungsabschlüssen in ihrer Wählerschaft überrepräsentiert; dennoch reicht ihre Anziehungskraft weit in alle Wählerschichten hinein – weitestgehend unabhängig von Einkommen, Ausbildungsstand oder Alter ihrer Wähler.

Jene Parteien sollte man also nicht mit rechtsextremistischen Parteien vom Schlage der NPD oder der DVU verwechseln: Im Gegensatz zu rechtsextremistischen Parteien bewegen sich rechtspopulistische Parteien eindeutig im demokratischen Spektrum und treten gar zuweilen als vermeintlicher Lordsiegelbewahrer der demokratischen Ordnung auf. Im Kontrast zur NPD oder DVU sind deren Wahlprogramme auch nicht offen rassistisch, sondern sehr bemüht, nationalistische Standpunkte in ein konservatives Kleid zu verpacken, um sie salonfähiger erscheinen lassen.

So mag die NPD „Muslime raus!“ plakatieren, während sich Marine Le Pens Front National eher subtil um die Bewahrung der Trennung zwischen Staat und Kirche (Laïcité) „sorgt“, die sie durch die Einwanderung von muslimischen Mitbürgern bedroht sieht. Rechtspopulistische Rhetorik ist daher auf den ersten Blick weniger aggressiv, da sie seltener betont, wer nicht zur nationalen Gemeinschaft gehört, sondern eher unterstreicht, was deren vermeintlichen Kern ausmacht – und auf diesem Wege freilich einen ähnlichen Ausgrenzungsmechanismus betreibt.

Aggressive Nostalgie
Die zentrale Programmatik jener Parteien besteht ergo aus einem „Nationalismus light“, der sich vor allem gegenüber vermeintlichen Eindringlingen von außen definiert. Auf diesem Wege ist es möglich, eine vermeintlich schützende, nationale Gemeinschaft diskursiv zu konstruieren, nach der sich viele Europäer in einer hyperkomplexen und globalisierten Welt sehnen.

Heimatverbundenheit und Nostalgie wird durch eine Ablehnung aller Symbole betont, die mit dem Verlust „der guten alten Zeit“ in Verbindung gebracht werden: Wertewandel, Globalisierung (symbolisiert durch die EU) und vor allem Einwanderung, die das soziale Gefüge europäischer Gesellschaften verändert. Alle drei stehen für den sozialen Wandel der letzen 30 Jahre, gegenüber dem rechtspopulistische Parteien einen vermeintlichen Ausweg anbieten: eine nationalistische Nostalgie, die sich aggressiv gegen Symbole dieses sozialen Wandels positioniert.

Das Hochhalten von Heimatverbundenheit und eine Ablehnung sozialen Wandels erscheinen allerdings auf den ersten Blick als klassisch konservative Positionen, die eigentlich bei den etablierten, moderaten Christdemokraten oder Konservativen gut aufgehoben sein könnten. Es wundert daher nicht, dass renommierte Parteienforscher wie der schwedische Professor Jens Rydgren, die Wähler rechtspopulistischer Parteien als „eigentlich klassische konservative Wählerklientel“ bezeichnen.

Enttäuschte Konservative
Die Gründe für das Erstarken, bzw. Scheitern rechtspopulistischer Parteien ist auch daher sehr eng mit dem Verhalten der etablierten Parteien verwoben. Zwar spielen der Medienzugang und die Organisationsstruktur rechtspopulistischer Parteien ebenfalls eine Rolle; jüngste Studien von Antonis Ellinas an der Princeton Universität belegen aber, dass die ersten Erfolge jener Parteien fast allein vom Verhalten etablierter politischer Kräfte abhängen. Ein großes Forschungsprojekt an der Universität Zürich unter Leitung von Professor Hans-Peter Kriesi zeigt ferner, dass die Fähigkeit, sich nach ersten Wahlerfolgen im Parteiensystem zu etablieren, ebenfalls stark vom Verhalten der etablierten konservativen und sozialdemokratischen Parteien beeinflusst wird.

Rechtspopulistische Parteien feiern stets dann Erfolge, wenn große Debatten über nationale Symbole ohne eine klar konservative Position einer etablierten Partei von statten gehen.

Diese Nationalsymbole treten stets auf das politische Parkett, wenn sich eine Nation gegenüber Veränderungen „von Außen“ neu definiert; die beiden entscheidenden Themengebiete sind daher die Europäischen Union und Fragen der Einwanderung und Integration.

Man kann dies am deutschen Fall schön nachzeichnen: Der einzige Zeitpunkt, an dem Zuwanderungsfragen in Deutschland hoch kontrovers diskutiert wurden und alle etablierten Parteien liberale Positionen bezogen, waren die späten 1980er, die zum Aufkommen der Republikaner (REP) führten. Da aber die CDU/CSU als auch die SPD in beiden großen integrationspolitischen Debatten der Berliner Republik – der Asyldebatte 1992/93 und der Leitkulturdebatte 2000/2001 – klar konservative Positionen bezogen, konnten sich keine rechtspopulistische Partei rechts der CDU/CSU etablieren; die beiden deutschen Volksparteien banden das konservative Wählerpotenzial wieder an sich.

Wird Bernd Lucke der deutsche Geert Wilders?
Europafragen waren in Deutschland hingegen nie Bestandteil einer substanziellen politischen Auseinandersetzung, da sich alle deutschen Parteien in ihrem pro-europäischen Kurs weitestgehend einig waren. Dies änderte sich zum ersten Mal in den letzen Jahren: Angela Merkel nahm erstmals Abkehr vom klar pro-europäischen Kurs der CDU/CSU und verwandte in der jüngsten Krise zum Teil nationalistische Parolen. Da sie diese aber wieder sichtbar relativierte und auch die SPD auf europäische Solidarität pochte, ging eine elektorale Nische für die AfD auf.

Die konservativ-nationalistischen Geister, die sich nun in der AfD sammeln, hat Angela Merkel also zu einem Gutteil selbst gerufen; es aber vermieden, sie durch ein Durchhalten einer nationalistischen Agenda weiter an die CDU/CSU zu binden.

Ob die etablierten Parteien einen substanziellen Teil der (möglichen) AfD-Wählerschaft wieder an sich wird binden können, wird daher zu einem Großteil von den europa- und zuwanderungspolitischen Debatten der nächsten Jahre abhängen. Wenn die beiden Volksparteien CDU/CSU und SPD hier ein konservatives Profil wahren, würde dies der AfD ihren entscheidenden Programmpunkt rauben: die konservative Position in Debatten um deutsche Nationalsymbole, die sich vor allem in großen politischen Auseinandersetzungen um die Europaeischen Union und Einwanderung, bzw. Integration zeigen.