Empirische Evidenz

Rechtsextreme Tendenzen in den krisengebeutelten EU-Ländern manifestieren sich

Die EU scheint sich zunehmend von ihrer öffentlich gepredigten und humanistisch ausgerichteten Grundhaltung zu distanzieren. Milliarden Euro, die für die Militarisierung der Grenzen verpulvert werden, könnten durchaus für sinnvollere Zwecke Verwendung finden.

Tötest du einen Menschen, tötest du die gesamte Menschheit. Wer einen Menschen tötet, für den soll es sein, als habe er die ganze Welt getötet, so heißt es.

Diese ubiquitären, weisen Worte sind zentrales Element, ein Grundpfeiler der monotheistischen Glaubensrichtungen. Diese Kernbotschaft zieht keine Grenzen und spricht eine universell gültige Sprache. Sie adressiert sich an die gesamte Weltbevölkerung und ermöglicht dadurch Menschen, sich über nationale, soziale, kulturelle, religiöse und ethnische Grenzen hinweg miteinander zu verbinden und sich mit Respekt zu begegnen.

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Die Europäische Union, die geprägt ist von der christlich-abendländischen Kultur, widerspricht sich in ihrer Eigenschaft und Verhaltensweise, die ethisch-moralisch begründet ist, wenn sie gezielt Grenzen zieht, indem sie eine restriktive Einwanderungspolitik betreibt und humanitäre Hilfeleistungen verweigert.

Konstitutionelle Normen wie die Achtung der Menschenwürde, die freiheitlich-demokratische Grundordnung sowie Chancengerechtigkeit sind fester Bestandteil eines unteilbaren und unerlässlichen Werteverständnisses der EU. Diese Normen und elementaren Wertvorstellungen bilden das Fundament des friedlichen Zusammenlebens in einer pluralen, zivilisierten Gesellschaft.

Die EU scheint sich zunehmend von ihrer öffentlich gepredigten und humanistisch ausgerichteten Grundhaltung zu distanzieren. Insbesondere werden ethnische Minderheiten, aber auch Flüchtlinge, die aus humanitären Gründen Zuflucht suchen, aufgrund spezifischer Zuschreibungen abgewertet und diskriminiert. Dies entspricht nicht dem Grundprinzip moderner Gesellschaften, dass alle Menschen gleich und gleichwertig sind.

Insbesondere EU-Mitgliedsstaaten, die wirtschaftlich stagnieren oder sogar einer Wirtschaftskrise mit hoher Arbeitslosenquote unterliegen, attestieren die zunehmende Tendenz, ethnische Minderheiten dafür verantwortlich zu machen. Diese Entwicklung scheint empirisch evident zu sein. Rechtsradikale Parteien finden eine steigende Zustimmung. Inhalt und Methode der rechtspopulistischen Parteien erreichen oftmals den Gipfel der Geschmacklosigkeit, den sie offensiv und provokant bezwingen.

So fordern sie, die Grenzen, von wo aus viele Einwanderer und Flüchtlinge ins Land kommen, mit Minen zu sichern und Arbeitslager für kriminelle Ausländer auszuweiten. Damit warb eine rechtspopulistische Partei in Griechenland kurz vor den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr.

Griechenland ist Mitglied der Europäischen Union und erleidet eine Rezession, die sich festgebissen zu haben scheint. Nach gegenwärtig vorliegenden Daten der Statistikbehörde des Landes stieg die saisonbereinigte Arbeitslosenquote auf das Rekordniveau von 27,9 Prozent und rangiert in der Euro-Zone weiterhin an der Spitze. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt derzeit bei 64,9 Prozent und ein Wirtschaftswachstum ist nicht zu verzeichnen.

Analog dazu erreichte Spanien im August 2013, eine saisonbereinigte Jugendarbeitslosenquote von 56 Prozent, Kroatien eine Quote von 52 Prozent und in Italien lag die Jugendarbeitslosenquote bei 40,1 Prozent. Diese Angaben beziehen sich auf die Altersgruppe der unter 25-Jährigen und gehen einer Studie des Statistischen Amtes der Europäischen Union (Eurostat) hervor.

EU-Mitgliedsstaaten, die besonders von der Wirtschaftskrise betroffen sind, zeigen zunehmend soziale Unruhen sowie erhöhte Gewaltbereitschaft gegen ethnische Minderheiten auf und werfen einen großen Schatten auf die menschenrechtlichen Grundpfeiler. Es werden gezielt Vorurteile gegen Einwanderer und Flüchtlinge, die für ihr Wanderungsmotiv vielfältige Ursachen begründen, geschürt.

Klischeebeladene und salonfähige Diskurse dominieren den Alltag. Man könnte meinen, es vollzieht sich ein flächendeckender, politischer sowie journalistischer Kreuzzug innerhalb der Euro-Zone, der sich manifestiert.

Für verbale Entgleisungen sorgen diverse Medienkonzerne, unter anderem Axel Springer und Funke Mediengruppe. In der Berliner Morgenpost hieß es auf der Titelseite: „Pflegebedürftige müssen Platz für Asylbewerber machen“. Anwohner seien empört und 75 Menschen müssen ausziehen. Dieser Sachverhalt unterliegt verzerrten Informationen und erzeugt xenophobische Assoziationen.

In Frankreich kündigte man drastische Maßnahmen gegen kriminelle „Zigeuner“ an, die hart bestraft und abgeschoben werden müssen. In Österreich und in den Niederlanden wettert man gegen Armutseinwanderer aus Bulgarien und Rumänien.

Negative Konnotationen werden bewusst inszeniert. Ein Feindbild wird kreiert und die öffentliche Meinungsbildung beeinflusst. Zu solchen Mitteln greifen gerne populistische Politiker zurück und instrumentalisieren diese für Wahlkampagnen, um die Zustimmung zu erhöhen.

Einwanderer sind in den krisengebeutelten Ländern besonders gefährdet, weil sie durchschnittlich über weniger Qualifikation, Erfahrung und Ausbildung verfügen. Wenn die ökonomischen Bedingungen sich verschlechtern, wird die öffentliche Meinung über sie negativer. Einwanderern wird zur Last gelegt, Arbeitsplätze wegzunehmen, Reservationslöhne in Kauf zu nehmen und knappe Ressourcen, hauptsächlich in Form von Sozialwohnungen und anderen Sozialleistungen, zu verbrauchen.

Inzwischen erzielen Rechtsextremisten und Rechtspopulisten in ganz Europa Erfolge. Die Rahmenbedingen begünstigen diesen wachsenden Trend. Die Finanzkrise und der drohende Staatsbankrott verhelfen dem Nationalismus zu einem Comeback und immer mehr Europäer schenken ihr Vertrauen den Akteuren, die im hohen Maße gegen Roma und Sinti, Juden und Muslime hetzen.

Diese Rechtsextremisten sind gewaltbereit und streben den Versuch an, das politische System zu stürzen und tarnen sich als Demokraten. Ihre Strategie ist dabei perfide und gehässig. Sie spielen mit der Angst der Menschen. Der Angst um den Job, die Rente und die Gesundheit, der Angst vor der Globalisierung und der ansteigenden Entfremdung. Die Grenzen zwischen Extremismus und Populismus sind fließend. Das methodische Vorgehen dieser Parteien ist ähnlich und unterscheidet sich lediglich in puncto Feindbilder.

Die Auswirkungen von wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf gesellschafts- und integrationspolitische Zustände sind enorm. Das stabile Konstrukt der EU scheint marode zu werden. Das Netzwerk der rechtsextremistischen und rechtspopulistischen Parteien dehnt sich in der Euro-Zone weiter aus und gefährdet das ganze europäische Projekt. Es ist wie das Damoklesschwert, das über Europa schwebt. Das sprichwörtlich für die im Glück stets drohende Gefahr. Der europäische Rechtsdruck ist besorgniserregend und es bedarf mehr an Anstrengungen und Bemühungen. Diese gefährliche Entwicklung darf nicht aus den Augen verloren werden.

Das EU-Projekt muss sich zum einem Zukunftsprojekt entwickeln. Ein Projekt, das nicht Milliarden Euro in den Schutz der europäischen Grenze investiert, um sich vor einer vermeintlichen Invasion krimineller Menschen zu schützen. Ein Projekt, das nicht das Ziel verfolgt, mit Gewalt EU-Außengrenzen gegen Flüchtlingsströme abzusichern.

Die EU braucht ein nachhaltiges Projekt, das in einer globalisierten Welt und angesichts des demografischen Wandels, Vielfalt als Motor gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung versteht. In einer globalisierten Welt kennen Technologie und Kapital weder Grenzen noch Staatsbürgerschaft. Jeder Mensch bringt Talente und Kompetenzen mit, die gefördert werden müssen. Investitionen in Humankapital müssen getätigt werden, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben.

In Zeiten der Rezession nehmen rechtsextremistische Tendenzen zu. Aus diesem Grund ist es essentiell, ein „just-in-time“ Politikansatz zu vermeiden und präventiv mehr in Migrations- und Integrationspolitik zu investieren. Vielfalt in der Politik und in den Medien muss sichtbar gemacht und als wertvolle Ressource anerkannt werden. Anstatt Unterschiede müssen positive Beispiele und Gemeinsamkeiten hervorgehoben werden, um den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.

Darüber hinaus ist es notwendig, Einwanderern und Flüchtlingen ein realistisches Bild über das Sozialsystem, die Chancen, aber Herausforderungen zu geben und bereits vorbeugend im Ausland hinreichend zu informieren. Willkommenszentren müssen im Ausland etabliert werden, nicht nur im Inland.

Milliarden Euro, die für die Militarisierung der Grenzen verpulvert werden, könnten durchaus für sinnvollere Zwecke Verwendung finden. Anstatt Gewalt und Kriege zu finanzieren, sollte man armen Menschen in Hungersnot helfen und das Geld in hilfsbedürftige Menschen investieren.

Im Oktober stimmte die EU für den Einsatz des Grenzschutzsystems Eurosur. Radare, Drohnen und Satelliten sollen die Überwachung des Mittelmeeres gewährleisten. Diese Entscheidung spielt in die Hände der Rüstungsindustrie. Wenn man dieser Entscheidung genauer nachgeht, wird man feststellen, dass diese nicht einmal eine Symptombekämpfung darstellt. Wenn die Grenzen militarisiert werden, werden die Routen, die Flüchtlinge nehmen, gefährlicher und risikoreicher.

Die Europäische Union hat die größte politische Erfolgsgeschichte der vergangenen Jahrzehnte nachzuweisen und wurde für den Beitrag zur friedlichen Entwicklung in Europa mit dem Friedensnobelpreis 2012 ausgezeichnet. Der erfolgreiche Kampf für den Frieden und die Demokratie. Zurzeit wird die EU von einem dichten Nebel umhüllt, der den vorwärtsgewandten und weitsichtigen Blick in die Zukunft erschwert.

Da könnte gerade Deutschland in der europäischen Landschaft als Leuchtturm fungieren. Wer das Grundgesetz aufschlägt, der findet die Präambel vor. Sie ist die Einleitung zum Grundgesetz und beinhaltet folgende Worte, die womöglich wegweisend sein können:

„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.[…]“

Rettest du einen Menschen, rettest du die gesamte Menschheit. Wer einen Menschen rettet, für den soll es sein, als habe er die ganze Welt gerettet, so heißt es.