50 Jahre Assoziationsabkommen EWG/Türkei

EuGH kann erneut zum Motor des Beitrittsprozesses werden

Heute vor 50 Jahren unterzeichneten die Türkei und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft das Assoziationsabkommen. Ziel: Die Türkei soll vollberechtigtes Mitglied werden. Davon ist man aber heute noch weit entfernt. Dennoch könnte bald Schwung in den Prozess kommen – aus Luxemburg.

Am 12.09.1963 jährt sich das Assoziationsabkommen zwischen der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Türkei zum fünfzigsten Mal. Vermutlich das älteste noch bestehende Assoziationsabkommen der EU, dessen Ziele noch immer nicht vollständig realisiert wurden. Die Jubelschreie fallen aus. Die Jubilanten sind abgetaucht. Es ist nirgends eine Feierlichkeit geplant.

Nichts könnte besser unter Beweis stellen, welchen Tiefpunkt die Beziehungen des Beitrittskandidaten Türkei mit der EU im Moment erreicht haben. Auch ist die Türkei nicht einmal ein Randthema der bevorstehenden Bundestagswahlen. Eine neue Erfahrung für die Türkeistämmigen in Deutschland. Das sind sie nicht gewohnt.

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Doch ist dies weder politischen Sensibilitäten noch Einsichten geschuldet. Es gibt keinen akuten Bedarf, um damit auf Stimmenfang zu gehen. Mit gegenseitiger Ignoranz werden die Beitrittsverhandlungen geführt. Von den Zielen des Assoziationsabkommens EWG/Türkei scheinen sich beide Seiten verabschiedet zu haben.

Walter Hallstein, Präsident der EWG Kommission, formulierte anlässlich der Vertragsunterzeichnung am 12.09.1963 in der Nationalversammlung in Ankara: „Und eines Tages soll der letzte Schritt vollzogen werden. Die Türkei soll vollberechtigtes Mitglied der Gemeinschaft sein. Dieser Wunsch und die Tatsache, dass wir in ihm mit unseren türkischen Freunden einig sind, sind der stärkste Ausdruck unserer Gemeinsamkeiten“.

Obwohl sich beide Parteien von diesem Ziel entfernt zu haben scheinen und beiderseitige Lustlosigkeit dominiert, könnte der Beitrittsprozess dennoch bald an Dynamik gewinnen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) könnte erneut zum Motor des Beitrittsprozesses werden. Denn am 24.09.2013 wird über das Verfahren Demirkan verhandelt – ein juristisch und politisch höchst brisanter Fall, bei der entschieden wird, ob türkische Staatsbürger visumfrei in die EU einreisen können.

Das Gericht steht zwar unter enormen Druck der Mitgliedstaaten, die in ihren schriftlichen Stellungnahmen unverhohlen mit dem Untergang der Union drohen, sollte der EuGH die Visumspraxis der EU-Mitgliedstaaten gegenüber türkischen Staatsangehörigen kippen. Doch könnte dort, wo Politik aus scheinbar nationalen Interessen versagt, die Vertragstreue den EuGH dazu verleiten, den Mitgliedstaaten ihre Grenzen aufzuzeigen. Damit könnte eine neue Ära – und keinesfalls aber der Untergang der Union – eingeläutet werden.

Und das ist nicht einmal unwahrscheinlich: Sollte der EuGH seiner bisherigen Rechtssprechungslinie und Rechtstradition treu bleiben, wird er die Visafreiheit für touristische Aufenthalte von türkischen Staatsbürgern bejahen und für Besuchsaufenthalte verneinen. Allein das wäre ein viel größerer Schritt hin zum Vertragsziel, als das, was die Politik seit Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen im Jahre 2005 geleistet hat.