ADS-Studie

Die Ursache der Diskriminierung an Schulen liegt im System

Die Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) hat bestätigt: Diskriminierung steht in deutschen Schulen an der Tagesordnung. Die ADS empfiehlt daher die Einrichtung von unabhängigen Beschwerdestellen. Doch diese würden nur die Symptome und nicht die Ursachen der Diskriminierung bekämpfen. Nötig ist eine tiefgreifende Umstrukturierung des gesamten Bildungssystems.

Von Marcel Hopp Mittwoch, 21.08.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 25.08.2013, 17:42 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die ADS-Studie konnte erheben, dass sich ein Viertel der Schüler mit Zuwanderungsgeschichte in der Schule diskriminiert fühlen. Wenn von Diskriminierung in der Schule die Rede ist, so muss jedoch zwischen personenbezogener und institutioneller Diskriminierung unterschieden werden. Um die personenbezogene Diskriminierung (z.B. zwischen Lehrer und Schüler) einzudämmen, bieten die von der ADS geforderten externen Beratungsstellen einen vernünftigen und viel versprechenden Lösungsansatz. Doch bezogen auf die institutionelle Diskriminierung sind sie wirkungslos, da sie nur die Symptome, nicht aber die Ursachen für systematische Benachteiligungen im Unterricht bekämpfen würden.

Fauler Kompromiss: Bildungsgerechtigkeit und Selektion
Um das zu verstehen, müssen wir den Aufbau und die Aufgaben des deutschen Bildungssystems näher betrachten. Dieses hat zwei zentrale Zielsetzungen, die wohl gegensätzlicher nicht sein könnten: einerseits sollen alle Kinder gemäß ihren individuellen Fähigkeiten bestmöglich gefördert werden und andererseits werden sie systematisch und gezielt nach ihren Leistungen selektiert. Dieser „faule Kompromiss“ von Bildungsgerechtigkeit und Selektion wird zu einem sehr hohen Preis erkauft, nämlich durch die Tolerierung der institutionellen Diskriminierung.

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Normen der Mehrheitsgesellschaft diskriminieren Minderheiten
Besonders an den zentralen Übergangsstellen (wie der Einschulung oder dem Übergang zur Sekundarstufe I) wird diese Form der Diskriminierung vor allem für Kinder mit Zuwanderungsgeschichte spürbar. Wer hier nicht die erwartete Norm einhält, wird von den „starken“ Schülern getrennt und damit benachteiligt. Diese Normen werden von einer deutschsprachigen, weitestgehend christlichen, heterosexuellen und in der Mittelschicht sozialisierten Mehrheitsgesellschaft dominiert.

Deutschland verstößt gegen das Menschenrecht auf Bildung
Es kommt dadurch häufig vor, dass Kinder mit Zuwanderungsgeschichte trotz guter Noten keine Gymnasialempfehlung bekommen, da Lehrer aufgrund der ethnischen und/oder sozialen Herkunft der Familie von einer fehlenden Unterstützung durch die Eltern ausgehen. Kinder mit Zuwanderungsgeschichte sind in unserem Bildungssystem daher stark gefährdet, nicht die Art von Bildung zu erhalten, die ihnen zusteht. Nur wer die Normen erfüllt, darf zum Beispiel auf dem Gymnasium mit einer homogenen, leistungsstarken Klasse das Abitur absolvieren, doch diejenigen, die diese nicht erfüllen, werden auf Real- bzw. Gesamtschulen abgeschoben und sich selbst überlassen. In dieser defizitorientieren Selektion liegt die Ursache dafür, dass im deutschen Bildungssystem der Schulerfolg unserer Kindern weitestgehend von der ethnischen und/oder sozialen Herkunft abhängt – und damit verstößt Deutschland gegen das Menschenrecht auf Bildung.

Nötige Konsequenzen aus der ADS-Studie
Um diese Form der Diskriminierung zu verhindern, sind nicht etwa Beratungsstellen, sondern eine tiefgreifende Umstrukturierung des gesamten Bildungssystems nötig und dazu zählen vor allem:

Die Abschaffung des mehrgliedrigen Schulsystems:
Diskriminierende Selektionsmechanismen lassen sich nur dann verhindern, wenn es keine Mehrgliedrigkeit im Schulsystem gibt. Die Existenz von Schulen erster, zweiter und dritter Klasse (Real-, Gesamtschule und Gymnasium) kann gesellschaftlich und bildungspolitisch nicht ausreichend erklärt werden. Es dient letztlich der Festigung einer Ständegesellschaft und sozialer Ungleichheiten. Aus diesem Grund wäre die Umstrukturierung hin zu einem eingliedrigen Schulsystem die einzig zeitgemäße und verantwortungsvolle Konsequenz. Innerhalb einer „Schule für alle“ wäre eine selektions- und bruchlose Erziehung und Bildung unabhängig von der Herkunft und dem Geldbeutel der Eltern gewährleistet.

Notenfreie Primarstufen
Nach einem Übergang hin zu einem eingliedrigen Schulsystem wären Noten für die Primarstufe zumindest im Hinblick auf die Funktion der Selektion hinfällig. Diese Gelegenheit sollte genutzt werden, um Primarstufen zu leistungsdruckreduzierten Lernorten umzugestalten und den Fokus auf die individuelle Förderung des Kindes zu legen.

Natürlich wird mit diesen beiden Hauptforderungen kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Es wäre noch eine ganze Palette an weiteren Schritten nötig, um die institutionelle Diskriminierung an Schulen effektiv einzudämmen und Bildungsgerechtigkeit zu fördern.

Es ist ganz natürlich, dass Eltern tendenziell eher an das Wohl der eigenen Kinder statt an das Gemeinwohl denken. Aus diesem Grund sind Politik und Pädagogik zu gleicher Maßen gefordert. Sie haben die Aufgabe, die Gesellschaft als Ganzes zu stärken, statt das Interesse einzelner Schichten zu überhöhen und damit Selektion sowie Segregation zu unterstützen. Aktuell Meinung

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  1. Martin Riedl sagt:

    Ich bin sehr erfreut eine so hochwertige, d.h. sachliche Diskussion anzutreffen.

    Als Vorstand eines Studentenkollektivs möchte ich Ihnen eine weniger Institutionell geprägte Alternative aufzeigen.

    Der Bildungsbetrieb ist in seiner Organisationsform durch Annahmen bestimmt, welche neueren wissenschaftlichen Ergebnissen, aber auch bestehenden technischen Möglichkeiten nicht mehr entsprechen.

    Eine Diskussion politischer Verantwortlichkeit oder Veränderungen der Struktur lassen zwar in den bestehenden Institutionen Veränderungen bekannt werden lassen, dennoch – denn es geht nicht um die Verbesserung dieser Institutionen, sondern um Bildung als solches – bliebe in der Reduktion auf derartige Überlegungen ein Ideal aus, wie es heute zu erreichen ist.

    Der Bildungsbetrieb besteht aus drei Säulen. Der Zugang zu Wissen und Theorien, das kollektive Durchschreiten eines Lernprozesses um keiner falschen Interpretation zu erliegen und Prüfungsbelange.
    Angenommen es gäbe heute keine Schule, wie würde man diesen Prozess der Vermittlung von Fähigkeiten und Wissen am besten gestalten?

    Die Bevölkerung hat, auch wenn sie hierüber im persönlichen Erfahrungsbereich keine extrapolierende Statistik anlegen kann, durchaus eine Allgemeinbildung. Auch ist das Internet ein guter Zugang zu Information und darüber hinaus – heute unbemerkt – bietet das Internet auch die Möglichkeit nicht nur Information aufzufinden, sondern wie wir von der InterScienceGroup es anstreben zu verwirklichen: ideale Gesprächspartner.
    Vgl. Prof Sugata Mitra lässt sich der Bildungsbetrieb liberalisieren.
    Hierbei jedoch bedarf es einer kontrollierenden Instanz. Diese kann nichts anderes sein als die Wissenschaftstheorie selbst.

    Stellen Sie sich also vor aus jedem Interesse ihrerseits, sei es ein Beruf in 10 Jahren, den sie ergreifen wollen, oder nur eine kleine Frage in ihrem persönlichen Leben, gäbe es sofort einen kompetenten Gesprächspartner, oder eine kleine Anzahl davon. Dabei sind sie jedoch nicht nur in der Schülerperspektive eines Unwissenden, sondern ebenso in der Dozentenperspektive einer Person die ihren Gesprächspartnern ideal Antwort in deren Fragestellungen bieten kann.
    Darüber hinaus bietet das zur Vermittlung der Gesprächspartner verwendete interdisziplinäre Geflecht an Aspekten unter visueller Einsicht mathetische Orientierung, so dass alle Schritte zu einem gewünschten Ziel, wie z.B. Differenzielgleichungen in n-dimensionalen Räumen unmittelbar aufgezeigt werden können.
    Indes diese Nomenklatur der Gesamtwissenschaft metasprachlich, mehrsprachlich und dynamisch angelegt ist, befindet sich alles immer auf dem neusten kulturunabhängigen Stand und jegliche Kritik an einem Punkt löst sofort (oder immerhin bedeutend schneller als Heutzutage) einen Diskurs aus, bis das System wieder konsistent ist.
    Auch im jetzigen Bildungssystem ist es Schülern somit möglich zu jeder Zeit mit Schülern wqeltweit ihre Fragen zu rekapitulieren. Auf ihrer Muttersprache und so oft, bis der Aspekt ihnen selbst ausreichend klar erscheint UND sie ihrem Interesse nach weiterkommen.
    Selektion in der Schule spielt für dieses System (cluefabric) und damit das reale Wissen und den realen Verstand und damit das tatsächliche Potential keine Rolle mehr. Abschluss hin oder her, wer kann wird angestellt und wer nicht kann aber will, der muss sich eben infrormieren und diskutieren bis ihm kognitiv die benötigen Fähigkeiten zu Verfügung stehen und er eine passende Perspektive auf das Wissen entwickelt hat um zu können.
    Darüber hinaus wird logisches Denken gefördert, wie es in allen Bereichen gefragt ist und weiter gegriffen lässt sich aus der kollektiven Rationalität und ihrer kommunikativen Struktur das Gesamt der Probleme der moderne lösen.

    Nun, was sagen Sie dazu?
    Wir starten im November diesen Jahres (2013).
    Für mehr Information besuchen Sie cluefabric dot com.

  2. zu „kollektive Ideenschmiede“

    Nun, ein Kernaspekt Ihrer Perspektivenbildung scheint mir in dem Stichwort „Diskursivität“ zu liegen.Tatsächlich haben wir in unserer Zeit gerade auch durch die neuen Medien eine Möglichkeit „Diskursivität“ im Kontext von Bildung viel wirksamer werde zu lassen als bisher.
    Hier steckt sogar ein Ansatz zur „Revolution der schulischen Bildung“, welche Richard David Precht einklagt.

    Sie schreiben: „Abschluss hin oder her, wer kann wird angestellt und wer nicht kann aber will, der muss sich eben inforrmieren und diskutieren bis ihm kognitiv die benötigen Fähigkeiten zu Verfügung stehen und er eine passende Perspektive auf das Wissen entwickelt hat um zu können.“

    Sehr Zentral hierbei ist der Aspekt der „ENTWICKLUNG EINER PASSENDEN PERSPEKTIVE AUF DAS WISSEN“. Die Schüler scheitern oftmals an der Wissensaneignung, weil ihnen die „Perspektivenbildung“ auf den anzueignenden Wissensaspekt fehlt. Eines der Schlüsselwörter hierbei ist „Diskursivität“, da vor allem auch diese fehlt gelingt es vielen Schülern nicht „eine passende Perspektive“ auf das Wissen zu finden aber auch zu „erfinden“. Abstarktes Wissen muss verknüpft werden; personal, emotional, und vor allem intentional. All dies kann ein guter „Diskurs“ leisten.

    Viel Erfolg auf dem Weg zur Bildung einer selektionsfreien, autonomisierten und zugleich kollektivierten qualitativ hochwertigen „Selbst- und Fremdbildung“.

    Josef Özcan (Diplom Psychologe / Amnesty International / Kölner Appell e.V.)

  3. Ich danke Ihnen, für Ihre bestätigend-ermutigenden Worte.