NSU Prozess

„Die Opfer kommen meistens zu kurz“

Strafrechtler Bernd Behnke vertritt beim NSU-Prozess den Bruder des 2004 in Rostock getöteten Imbissverkäufers Mehmet Turgut. Die Opfer-Angehörigen seien nach den ersten Wochen schon ziemlich frustriert, sagt Behnke im Interview: Die Genugtuung, die sich viele Familen der Getöteten vom Prozess erwartet hätten, stelle sich nicht ein. Stattdessen spielt sich ein juristisches Schaulaufen vor dem Münchner Oberlandesgericht ab.

Von Lena Müssigmann Montag, 08.07.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 11.07.2013, 0:12 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Lena Müssigmann: Herr Behnke, Sie sitzen im Gerichtssaal unter den Opfer-Angehörigen. Welche Erwartungen bringen die Nebenkläger mit in den Gerichtssaal?

Bernd Behnke: Dass ein fairer Prozess stattfindet und am Ende eine Verurteilung zu einer Art Genugtuung führt. Aber das ist ein Punkt, der in einem Strafprozess nie eintritt. Da stellt sich immer eine gewisse Frustration ein. Der deutsche Strafprozess ist ein Täterprozess, kein Opferprozess. Die Opfer kommen meistens zu kurz.

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Bereiten Sie Ihre Mandanten für gewöhnlich auf diese Enttäuschung vor?

Behnke: Ja, wenn sie danach fragen. Sonst deute ich es nur vorsichtig an. Der Prozess selbst wird vom Senat sehr vorsichtig und sachgerecht geführt. Ich habe den Eindruck, dass hier reife Richter am Werk sind, die diesen Prozess durchstehen können.

Bernd Behnke: Aufgewachsen in Berlin, Jurastudium in Gießen. Seit 30 Jahren niedergelassener Rechtsanwalt im baden-württembergischen Löffingen. Als Strafverteidiger hat er sich in den vergangenen Jahren intensiv mit der Sicherungsverwahrung von Sexualstraftäter beschäftigt. Die Entscheidung, dass er das Mandat im NSU-Prozess annimmt, hat er mit einem guten Freund bei einem Glas Rotwein getroffen.

Sie sprechen von „Durchstehen“ – das klingt nach einem Kraftakt für alle Seiten. Welche Stimmung nehmen Sie im Gerichtssaal wahr?

Behnke: Gelockert. Nicht verkrampft. Allerdings sind viele der Opferanwälte mit dem Strafprozess nur am Rande vertraut und treten immer wieder ins Fettnäpfchen. Zum Beispiel werden viele Erklärungen abgegeben, die eigentlich ins Plädoyer gehören. Zwischendurch mal Dampf abzulassen, sieht der Strafprozess ebenfalls nicht vor. Kürzlich hat der Richter zu einer etwas zu ausführlichen Nebenkläger-Frage gesagt: Ich habe den Eindruck, Sie wollen sich profilieren. Da hat der ganze Saal gelacht.

Das klingt doch auch sehr nach juristischem Schaulaufen.

Behnke: Ja, wenn man als Anwalt da die Medien auf dem Balkon über sich hat und am nächsten Tag Wortbeiträge mit Namen in der Zeitung erscheinen, ist die Versuchung da, alles etwas mehr auszuführen. Es ist aber auch ein Schaulaufen vor den eigenen Mandanten, die ein scharfes Auftreten erwarten. Obwohl das nichts bringt, aber erzählen Sie das Mal der Frau oder dem Bruder eines Opfers.

Wie groß ist die aktive Rolle der Nebenkläger in diesem Mammutprozess aus Ihrer Sicht?

Behnke: Eher klein.

Aber die Befragung von Carsten S. Durch die Nebenkläger hat alleine mehrere Tage beansprucht.

Behnke: Das liegt daran, dass alles doppelt und dreifach gefragt wird. Aber der Richter darf keine Revisionsgründe produzieren, er lässt die Kollegen deshalb lieber zu viel reden als zu wenig. Stellen Sie sich mal vor, man verhandelt jahrelang und dann wird das Urteil kassiert. Um Himmelswillen.

Zuletzt gab es die von Tränen begleitete Aussage von Carsten S. Wie nehmen die Nebenkläger so etwas auf und welche Emotionen löst das Geschehen im Gerichtssaal bei diesen Personen aus?

Behnke: Ich habe keine Reaktionen gesehen. Ich messe den Tränen auch nicht besonders großen Wert bei. Sie dürfen nicht glauben, dass die Angeklagten da immer echte Gefühle offenbaren, der Zeitpunkt ist noch nicht da. Ob es ehrliche Tränen oder Krokodilstränen sind, muss das Gericht entscheiden. Die Aussage von Carsten S. ist aber schon von gewisser Signalwirkung. Ich rechne damit, dass die anderen daraufhin auch irgendwann aussagen. Er hat sich zwar nicht „nackt“ gezeigt, also nicht alles ausgepackt, wie er angekündigt hatte. Aber er hat ein bisschen was gesagt, dann sagt der Nächste ein bisschen was und irgendwann entsteht ein Bild. Das Gericht muss eigentlich nur abwarten.

Wie können Sie sich da so sicher sein?

Behnke: Das sagt mir meine Erfahrung. Ich bin sogar überzeugt, dass Frau Zschäpe irgendwann was sagt, eben dann, wenn es ins Konzept passt, in Absprache mit ihren Verteidigern. Vielleicht ergeht es den anderen Angeklagten dabei dann schlecht. Denn bisher schonen sie Beate Zschäpe ein bisschen. Vor allem bei den Fragen zur Gruppendynamik im NSU hat Carsten S. bisher nur sehr ausweichend geantwortet. Entsprechende Fragen wurden sowohl von seinen als auch von Zschäpes Verteidigern abgeblockt. Ich erlebe da ein sehr taktisches Vorgehen seitens der Juristen.

Welche juristische Bedeutung messen Sie denn dem gesamten Prozess bei?

Behnke: So einen Prozess gibt es nur alle 30, 40 Jahre. Die letzten Verfahren dieser Art waren die RAF-Prozesse. Richter und Gerichte haben dabei viel gelernt und in der Folge umgesetzt. Der Rechtsstaat ist damals erstarkt aus der Situation herausgegangen. Das wird jetzt auch passieren. Der NSU-Prozess wird eine nachhaltige Wirkung haben.

Der Rechtsstaat erstarkte damals, sagen Sie, warum konnte eine Terrorgruppe dann jetzt wieder Angst und Schrecken verbreiten?

Behnke: Es wird immer neue Entwicklungen geben, auf die muss der Rechtsstaat dann reagieren. Dabei lernen seine Institutionen auch stets dazu.

Wie wirkt Beate Zschäpe auf Sie?

Behnke: Wie eine junge Dame aus der Nachbarschaft. Sie ist gepflegt, unterhält sich angeregt mit ihren Anwälten. Ich vermute auch, dass hin und wieder gescherzt wird. Das sieht nach einem sehr vertrauensvollen Verhältnis aus. Mir fiel da zuletzt auch immer wieder Hannah Arendt ein, die ja von der Banalität des Bösen geschrieben. Das erkennt man nicht am Äußeren. Sie lächelt, allerdings nicht unangemessen. Sie stellt sich der Presse anfangs zum Fotografieren und steht den Prozess mit mehr Stabilität durch als die anderen Angeklagten. Das nötigt mir gewissen Respekt ab. Ohne dass ich ihre Ziele damit verteidige. Ich sehe sie als Mensch.

Sind Sie erschreckt über Ihre menschliche Sympathie?

Behnke: Symphatie kann man das nicht nennen. Respekt vor jedem Menschen zu haben, ohne ihn vorzuverurteilen, das ist Recht. Aber wenn der Senat bei Zschäpe Mittäterschaft oder Beihilfe zu den Taten nachweist, oder die Täterschaft bei der Bildung einer terroristischen Vereinigung, dann gehört ihr eine entsprechende Strafe. Dennoch würde sie als Täterin nicht Bestie, sondern bliebe Mensch. Das so zu sehen, bedarf einer gewissen Eigendisziplinierung.

Die Eigendisziplinierung funktioniert bei Ihnen als erfahrenem Juristen. Wie geht es den Opferangehörigen?

Behnke: Viele verstehen schon nicht, warum Frau Zschäpe nicht mit Hand- und Fußfesseln in den Saal geführt wird. Aber das ist normal, bei jedem Prozess werden in der Verhandlung die Handschellen abgenommen. Fußfesseln trägt sie meiner Meinung nach, man sieht die nur nicht.

Der Prozess dauert lange, hat viele Verhandlungstage – fast ein Fulltime-Job. Können die Nebenkläger persönlich überhaupt dabei sein?

Behnke: Die Nebenkläger werden immer weniger. Das liegt sicher an der zeitlichen Belastung. Viele können nicht drei Tage pro Woche nach München reisen. Und das juristische Vorgehen ist für viele von ihnen nicht so durchsichtig. Die Nebenkläger fragen sich dann irgendwann: Was mach ich da?, und schicken nur noch ihre Anwälte. Aktuell Interview

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