Plädoyer für Türkischunterricht

Die Sprache ist der Schlüssel zur Teilhabe

Baden-Württemberg wagt sich in der Integrationspolitik einen Schritt nach vorne: Türkisch soll Schulfach werden. Doch die sogenannte Mehrheitsgesellschaft fürchtet sich. Weshalb das so ist, beschreibt Marcel Hopp in einem Gastkommentar für das MiGAZIN.

Die Skepsis und Abneigung ist in weiten Teilen der Bevölkerung enorm. Auf den Internetseiten sämtlicher Zeitungen, die über den Vorstoß aus Stuttgart berichteten, lassen sich zahlreiche Kommentare finden, die gegen die Einführung von Türkisch in Schulen wettern. Kommentare wie die eines Lesers der Stuttgarter Zeitung sind keine Seltenheit: „Wozu brauchen Türken diese Sprache als dritte Fremdsprache? Eigentlich wäre es ja sinnvoll, dass türkische Landsleute erst einmal richtig Deutsch lernen, denn immerhin leben sie ja in Deutschland.“

Wieder einmal geht die Angst vor dem Untergang des Abendlandes von Stammtisch zu Stammtisch. Und genau an diesen sitzen die eigentlichen „Integrationsverweigerer“, denn das ewige Mantra „Bringt euren Kindern Deutsch bei“ führt in vielen türkischstämmigen Familien eben nicht zu besseren Deutschkenntnissen. Von Eltern zu verlangen, sie sollten die von ihnen erlernte deutsche Fremdsprache ihren Kindern als Muttersprache vermitteln, wäre ebenso unsinnig wie aus integrativer Sicht kontraproduktiv. Die Zahl derjenigen Kinder und Jugendlichen, die sowohl in ihrer Muttersprache (Türkisch) als auch in der Fremdsprache (Deutsch) gravierende Mängel aufweisen, würde dadurch noch weiter steigen.

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Zweitsprache: Ja oder Nein?
Für die Zweitspracherwerbsforschung ist die Erkenntnis keine neue, dass diejenigen die ihre Muttersprache kompetent erlernt haben, sich eine Fremdsprache nicht nur sehr viel schneller, sondern eben auch um einiges erfolgreicher aneignen können. Der Grund dafür ist einfach: je besser die Muttersprache gelernt wurde, desto gefestigter ist die kognitive Basis, auf der die Zweitsprache aufbauen kann. Andersrum bedeutet das eben auch, dass Defizite in der Muttersprache durch mangelnde Sprachvermittlung zu gravierenden Problemen beim Erlernen der Fremdsprache nach sich ziehen können. Von türkischstämmigen Eltern, die die deutsche Sprache selbst als Fremdsprache erlernt haben, zu verlangen, sie sollten ihren Kindern „erst einmal richtig Deutsch“ beibringen, würde das Kommunikationsproblem daher nur verschärfen. Folgt man dieser Erkenntnis, so muss diesen Kindern erst richtig Türkisch beigebracht werden – und zwar sowohl der mündliche Gebrauch als auch die Grammatik und Lexik. Und genau an diesem Punkt kann und sollte die Schule die türkeistämmigen Eltern unterstützen.

Aus diesem Grund ist der Vorstoß der SPD ein Schritt in die richtige Richtung, allerdings reicht er bei Weitem nicht aus. Ja, er könnte den Kritikern letztlich sogar in die Hände spielen. Denn wollte man die Sprachkenntnisse türkeistämmiger Schüler entscheidend verbessern, so wäre die Einführung des Türkischunterrichts ab der 8. Klassenstufe viel zu spät. Richtig und wichtig wäre die Einführung des türkischen Fremdsprachenunterrichts so früh wie möglich – also mindestens ab der Grundschule. Je später die Vermittlung der Muttersprache stattfindet, desto weniger wirksam ist sie. Ebenso inkonsequent ist die Beschränkung des Türkischunterrichts auf das Gymnasium. Die Mehrheit der türkeistämmigen Schüler würde nicht von der Einführung profitieren, daher wäre einzig allein die Ausweitung des Türkischunterrichts auf alle Schulformen sinnvoll.

Kein Untergang des Abendlandes
Wenn die sogenannte Mehrheitsgesellschaft tatsächlich ein Interesse daran hat, dass türkeistämmige Kinder die deutsche Sprache kompetent beherrschen, so muss sie lernen, die Lebenswelten dieser Kinder anzuerkennen. Türkisch im Unterricht führt nicht zum Untergang des Abendlandes, sondern zu mehr Teilhabe und einer besseren Verständigung untereinander. Neben den rationalen und wissenschaftlich fundierten Gründen, wäre die Einführung des Türkischunterrichts also auch eine längst überfällige Geste der Anerkennung der türkischstämmigen Community in unserer „Einwanderungsgesellschaft“.

Der Türkischunterricht wäre außerdem nicht nur für türkeistämmige Kinder, sondern eben für alle offen. Auch ethnisch deutsche Kinder können und sollen Türkisch erlernen können – sie würden die „Völkerverständigung“ entscheidend voranbringen. Integration bedeutet nicht, dass sich ausschließlich die Minderheiten an die Mehrheitsgesellschaft „anzupassen“ haben, sondern, dass wir alle lernen aufeinander zuzugehen. Das ist keine Sozialromantik, sondern schlichtweg unumgänglich, wenn wir miteinander wachsen wollen.