Doppelpass-Debatte 2/12

„Sie wollen die deutsche Staatsbürgerschaft verramschen. Um nichts anderes geht es Ihnen.“

Politik ist langweilig und trocken? Die Bundestagsdebatte vom 5. Juni 2013 beweist das Gegenteil: Regierungs- und Oppositionspolitiker debattieren über die doppelte Staatsbürgerschaft. Das MiGAZIN dokumentiert die Reden im Wortlaut inklusive Zwischenrufe in einer 12-teiligen Serie. Heute Ole Schröder (CDU/CSU).

Ole Schröder, (CDU/CSU) Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Künast, als ich Ihre Rede gerade eben gehört habe, ist mir klar geworden, dass Sie von Ihrem Konzept, jedem voraussetzungslos die Staatsbürgerschaft zu geben, auch nicht mehr wirklich überzeugt sind.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie uns jetzt den finanziellen Teil erklären, oder was?)

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Ich finde es gut, dass wir gerade im Vorwahlkampf diese Anträge der Opposition zur Einbürgerung und zum Optionsmodell diskutieren.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können auch gerne über Miete diskutieren! Wir kriegen Sie am Ende doch!)

Es ist wichtig im Vorwahlkampf, weil dadurch die Unterschiede insbesondere zur Unionspolitik deutlich werden. Sie wollen die Voraussetzungen für die Einbürgerung deutlich absenken. Sie wollen das Optionsmodell abschaffen.

(Aydan Özoğuz [SPD]: Immerhin haben Sie das verstanden!)

Unabhängig davon, ob sich jemand integriert hat und bereit ist, sich für eine Staatsbürgerschaft zu entscheiden, will die linke Seite dieses Hauses die Staatsangehörigkeit vergeben.

(Aydan Özoğuz [SPD]: Namentlich die FDP!)

Ihre Vorschläge dazu lauten unter anderem: Sie wollen die Zeit, die man vor der Einbürgerung in Deutschland gelebt haben muss, reduzieren. Sie wollen auch diejenigen einbürgern, die weder Deutsch lesen noch schreiben können.

(Aydan Özoğuz [SPD]: Das ist bei Geburt auch schwer möglich! – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt auch Deutsche, die nicht lesen und schreiben können! Wollen Sie die ausbürgern, oder was?)

Nicht zuletzt wollen Sie auch diejenigen einbürgern, die in Deutschland von Sozialleistungen leben. Nach diesen Vorstellungen wäre es in Deutschland leichter, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erhalten als eine Niederlassungserlaubnis. Das ist mit Sicherheit nicht das richtige Konzept.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung!)

Sie wollen aus parteipolitischen Gründen – das ist hier eben deutlich geworden, als Sie die möglichen Wählerschichten angesprochen haben –

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und jetzt zu Merkels Mietrecht!)

die deutsche Staatsbürgerschaft verramschen; um nichts anderes geht es Ihnen.

(Beifall des Abg. Holger Krestel [FDP])

Für uns, die Union, steht die Einbürgerung am Ende eines gelungenen Integrationsprozesses, und nicht, wie Sie es eben gesagt haben, am Anfang,

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind doch alle integriert! Die machen exzellente Staatsexamen in Jura! Was wollen Sie da noch integrieren? Das ist doch Quatsch!)

nach dem Motto: Wenn ich jemandem die deutsche Staatsbürgerschaft schenke, dann ist er automatisch integriert. So funktioniert es eben nicht.

Lesen Sie auch die anderen Debattenbeiträge:
Renate Künast (GRÜNE)
Ole Schröder (CDU/CSU)
Thomas Oppermann (SPD)
Hartfrid Wolff (FDP)
Sevim Dağdelen (LINKE.)
Reinhard Grindel (CDU/CSU)
Daniela Kolbe (SPD)
Serkan Tören (FDP)
Memet Kılıç (GRÜNE)
Stephan Mayer (CDU/CSU)
Rüdiger Veit (SPD)
Ingo Wellenreuther (CDU/CSU)

Das geltende deutsche Staatsangehörigkeitsrecht eröffnet jedem, der sich wirklich integrieren will, seinen Weg zum deutschen Pass. Wer nach acht Jahren bei uns Deutscher werden will, kann sich nicht nur einbürgern lassen, nein, er hat sogar einen Anspruch darauf. Das ist im internationalen Vergleich die absolute Ausnahme. Voraussetzungen hierfür sind im Wesentlichen ausreichende Sprachkenntnisse, Integrationsbereitschaft und die Bereitschaft, selbst für den Lebensunterhalt aufzukommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist positiv, dass die Zahl der Einbürgerungen unter dieser Regierung deutlich gestiegen ist und heute 17 Prozent über dem Niveau von 2008 liegt,

(Rüdiger Veit [SPD]: Wenn überhaupt, dann trotz dieser Regierung!)

und das eben ohne eine Absenkung der Einbürgerungsvoraussetzungen. Denn es zeigt sich, dass diese Voraussetzungen akzeptiert sind, gerade bei denjenigen, die sie betreffen.

Jetzt komme ich zum Optionsmodell. Aufgrund des Jus Soli bekommen in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern bereits in der ersten Generation mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit.

(Aydan Özoğuz [SPD]: Das ist eigentlich die zweite Generation! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Die erste Geburtsgeneration!)

Das geht deutlich weiter als die Regelungen in den vielen Ländern, die Sie als vermeintlich glorreiche Vorbilder hinstellen. Über 450 000 Kinder ausländischer Eltern haben auf diesem Wege die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Sie müssen sich allerdings nach Erreichen der Volljährigkeit zwischen der deutschen und der ausländischen Staatsangehörigkeit entscheiden.

(Aydan Özoğuz [SPD]: Aber nicht alle!)

Jeder junge Mensch, der sich dabei für Deutschland entscheidet, kann seinen deutschen Pass behalten.

(Aydan Özoğuz [SPD]: Das ist ja eine Gnade!)

Die jungen Menschen entscheiden sich für Deutschland: Über 98 Prozent der jungen Menschen, die ihr Optionsrecht bisher ausgeübt haben,

(Aydan Özoğuz [SPD]: Das sind ja noch gar nicht die!)

sprechen sich für die deutsche Staatsangehörigkeit aus. Dieser Trend sollte uns doch optimistisch stimmen. Denn wir sehen: Wer sich jahrelang in Deutschland aufhält, wer hier geboren ist, wer Deutschland kennt, der hält unser Land für so attraktiv, dass er hier seine Zukunft sieht und sich für Deutschland entscheidet.

Vor diesem Hintergrund ist es umso bedauerlicher, dass Sie von der Opposition gerade jetzt das Optionsmodell abschaffen wollen, das wir quasi in einer Großen Koalition beschlossen haben.

(Rüdiger Veit [SPD]: Nee, nee, nee! Wir haben es leider nicht abschaffen können! – Mechthild Rawert [SPD]: Nein, nein, nein! Ich nicht! Ich habe nicht zugestimmt!)

Sie wollen das Optionsmodell ohne fundierte Sachgrundlage abschaffen. Lassen Sie uns doch, bevor wir diesen Diskurs starten, zumindest den ersten Optionsjahrgang abwarten. Dann können wir uns gerne darüber unterhalten. Aber momentan sieht es so aus, dass dieses Optionsmodell eher ein Erfolgsmodell ist.

Meine Damen und Herren, Sie wollen aber nicht nur das Optionsmodell abschaffen; Sie wollen Mehrstaatigkeit generell zulassen

(Mechthild Rawert [SPD]: Sehr gut!)

und es dem Einzelnen überlassen, wie viele Staatsangehörigkeiten er denn nun sammelt. Wir lehnen diese generelle Hinnahme der Mehrstaatigkeit ab,

(Aydan Özoğuz [SPD]: Aber auch nicht bei allen!)

da sie zu großen Problemen führen kann. Für uns ist es Ausdruck gelungener Integration, dass sich ein Mensch positiv für Deutschland entscheidet und sich zu diesem Land bekennt. Dies geschieht eben auch ganz wesentlich durch die Aufgabe der alten Staatsbürgerschaft,

(Aydan Özoğuz [SPD]: Ach so! Die anderen sind alle nicht loyal?)

wenn dies für den Betroffenen zumutbar ist. Wir müssen doch der Realität ins Auge sehen: Durch die Mehrstaatigkeit wird eben auch die Gefahr erhöht, dass andere

Vizepräsident Eduard Oswald:
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Ich möchte diesen Satz noch zu Ende führen. – Durch die Mehrstaatigkeit wird gerade die Gefahr erhöht, dass sich andere Staaten als eine Art Nebenregierung für Menschen mit mehreren Staatsangehörigkeiten sehen.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)

In der Vergangenheit haben wir Versuche gerade vonseiten der türkischen Regierung erlebt, sich in interne deutsche Angelegenheiten einzumischen,

(Mechthild Rawert [SPD]: Wo denn?)

und sich geradezu als Parallelregierung für die Menschen mit türkischer Staatsangehörigkeit in Deutschland zu gerieren.

(Mechthild Rawert [SPD]: So ein Kappes!)

Vizepräsident Eduard Oswald:
Herr Kollege Volker Beck, bitte schön.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege Schröder, Sie haben eben gesagt, die Optionspflicht richte sich vor allen Dingen gegen die Menschen, die aus der Türkei stammen. Das ist folgerichtig. Wir dagegen sind wie die USA und andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Polen!)

der Auffassung, dass das Bekenntnis zu Deutschland nicht dadurch infrage gestellt wird, dass die Menschen ihren alten Pass, den ihrer Eltern und Großeltern, einfach behalten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Warum muten wir den Menschen, die aus der Türkei zu uns eingewandert sind, und ihren Kindern, die hier geboren sind, diese Entscheidung zwischen der Tradition ihrer Familie und dem Land, in dem sie leben und leben wollen und das sie als einziges richtig kennen, zu? Warum spalten Sie Familien und treiben die Kinder zu dieser Entscheidung?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt bin ich gespannt!)

Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Lieber Kollege Beck, das Optionsmodell richtet sich überhaupt nicht gegen ein bestimmtes Land oder gegen Menschen mit einem bestimmten Migrationshintergrund.

(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Aydan Özoğuz [SPD]: Das klang aber bei Ihnen anders!)

Das ist schlichtweg falsch. Es ist doch so: Innerhalb Europas, mit den gemeinsamen Institutionen, mit der Idee der gemeinsamen europäischen Staatsbürgerschaft, die sich entwickelt,

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: USA! Japan! Iran!)

gibt es weniger Loyalitätskonflikte als beispielsweise mit einer Regierung eines Drittstaates, insbesondere mit der türkischen Regierung.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind die Vereinigten Staaten nicht auch irgendwo so ein Drittstaat?)

Es ist auch zu beobachten, dass sich Doppelstaatler zum Beispiel durch Flucht in das entsprechende Herkunftsland einer Strafverfolgung entziehen.

(Aydan Özoğuz [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Totaler Blödsinn! – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Alle Steuerflüchtlinge sind jetzt also Optionsmodelle! So ein Blödsinn!)

Diese Probleme müssen wir im Blick behalten.

Die Betroffenen, die einen deutschen Pass haben, entscheiden sich nicht gegen ihre soziale und kulturelle Herkunft, wie Sie ihnen das immer einreden wollen, sondern für eine Zukunft in Deutschland. Sie können weiterhin ihre Muttersprache pflegen, Kontakt zu ihrer Familie halten, und sie können immer wieder in das Herkunftsland ihrer Eltern reisen. Durch die Einführung des Optionsmodells ändert sich das doch nicht. Kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt ist nicht abhängig von Mehrstaatigkeit.

Die Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hat auch ganz deutlich gemacht – anders als Sie es immer darstellen –, dass sich kein Riss durch die Familien zieht, wenn sich die Kinder für Deutschland entscheiden. Im Gegenteil: Das wird akzeptiert, weil es als Ausdruck der Integration gesehen wird.

Vizepräsident Eduard Oswald:
Sie achten auf Ihre Redezeit?

Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Die Fakten zeigen: Wir sind ein weltoffenes Land. Wir haben eine Willkommenskultur.

(Mechthild Rawert [SPD]: Wir wollen eine Anerkennungskultur!)

Ein solches erfolgreiches System muss man nicht ändern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)