Interview mit Neco Çelik

„Wir sollten mehr an der Theater- und Filmkultur teilnehmen.“

Neco Çelik ist ein renommierter Film- und Theaterregisseur und laut Vanity Fair der „Spike Lee Deutschlands“. Für seine erste Opern-Inszenierung erhielt er den deutschen Theaterpreis „Der Faust“. MiGAZIN sprach mit ihm über die Film- und Theaterwelt in Deutschland.

MiGAZIN: An welchen Projekten arbeiten Sie zurzeit?

Neco Çelik: Momentan arbeite ich an einem Theaterstück im Ballhaus Naunynstraße. Das Stück heißt „Abseits“ und handelt von „Türkiyemspor“, dem lokalen Fussballclub in Berlin. Der Verein hat eine bewegende Geschichte und schaffte es in den 80er Jahren fast in die zweite Bundesliga. Sie ist ein Spiegelbild unserer gesellschaftlichen Entwicklung. Im Theaterstück geht es um Aufstieg und Fall und andere Leidenschaften. Die Premiere ist im Mai während des Theatertreffens. Des Weiteren wurde ich mit der Inszenierung eines Opernstücks von Ernst Krenek beauftragt. Ende September hat es an der Berliner Staatsoper Premiere.

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Wie sieht ihre Arbeit in einem Theater wie im Ballhaus Naunynstraße aus? Was zeichnet das Haus aus?

„Was hier hingegen besser laufen muss ist, dass Bürger mit nicht-deutscher Herkunft aktiver an der Theater- und Filmkultur teilnehmen müssen. Sie zahlen Steuern in Deutschland und subventionieren damit die Kultur mit. … Aber einfordern und nicht teilnehmen – das geht überhaupt nicht.“

Çelik: Das Ballhaus Naunynstraße (BN) hat es in kürzester Zeit geschafft, sich in der Theaterkultur zu etablieren. Dort zeigt sich, was für ein kreatives und kulturhungriges Potenzial es in diesem Land gibt. Das BN steht für etwas Neues. Deutsche Stadttheater sind meist unbeweglich und führen gerne Klassiker auf, was sicher seine Berechtigung hat. Das BN dagegen reagiert sofort auf aktuelle Ereignisse und entwickelt und inszeniert Stücke darüber. Es reagiert als Bühne fast so schnell wie das Internet. Solche Häuser sollte es in jedem Bundesland geben. Herkunftsunabhängig.

Welche Schwierigkeiten und Herausforderungen gilt es in der Film- und Theaterwelt für Sie zu meistern? Was läuft dabei im Vergleich zur Türkei anders, wo sie eine bekannte Größe sind und auch schon einen Kinohit gelandet haben?

Çelik: Ich denke man sollte keine Vergleiche zwischen Deutschland und Türkei ziehen. Das sind zwei verschiedene Kulturlandschaften. Was hier hingegen besser laufen muss ist, dass Bürger mit nicht-deutscher Herkunft aktiver an der Theater- und Filmkultur teilnehmen müssen. Sie zahlen Steuern in Deutschland und subventionieren damit die Kultur mit. Viele wissen das nicht einmal. Eltern sollten ihre Kinder schon früh dazu anregen, an kulturellen Aktivitäten teilzunehmen. Die kulturelle Früherziehung ist ein wichtiger Baustein im Leben eines Kindes. Das könnte die Grundlage für die spätere Teilhabe werden. Aber einfordern und nicht teilnehmen – das geht überhaupt nicht. Ansonsten kann ich zu der Frage nur anmerken, dass sich Kunst durch Qualität durchsetzen und auf sich aufmerksam machen muss. Es ist ein harter Wettbewerb. Dies wird sicher in der Türkei nicht anders sein.

Wann können wir wieder einen Film von Ihnen sehen?

Çelik: Sehr bald. Einen Film zu produzieren ist grundsätzlich eine viel komplexere Angelegenheit als ein Theaterstück zu inszenieren. Ich arbeite an meinem Comeback.

Möchten Sie mit Ihren Projekten eine besondere Message vermitteln? Verarbeiten Sie dabei ihre eigenen Erfahrungen?

Neco Çelik lebt und arbeitet als Film- und Theaterregisseur in Berlin. Ab 1997 entstanden erste Dokumentationen wie „36 m² Stoff“, sowie der Spielfilm „Alltag“ (2002). Für seinen Spielfilm „Urban Guerillas“ (2003) erhielt er 2004 den Publikumspreis bei der Nürnberger und Würzburger Filmwoche. 2006 drehte Çelik die TV-Dokumentation „Kreuzberger Nächte – Junge Türken in Berlin“ und 2007 „Ganz oben. Türkisch – Deutsch – Erfolgreich“. Mit der Filmkomödie „Kısık Ateşte 15 Dakika“ (2006) inszenierte Çelik seinen ersten Spielfilm in Istanbul. Aufsehen erregte auch Çeliks Theaterinszenierung „Schwarze Jungfrauen“ (2006), das unter die besten Stücke im Jahr 2007 gewählt wurde. Es folgten 2007 „Romeo und Julia“ sowie „Ausgegrenzt“. Im gleichen Jahr erhielt er ein Stipendium der Akademie der Künste. Für seine erste Oper „Gegen die Wand“ erhielt er den deutschen Theaterpreis. Zuletzt hat er an der Staatsoper Berlin die Operrette von Schostakowitsch „Moskau Tscherjomuschki“ inszeniert.

Çelik: Meine Film- und Theaterstücke weisen eine gesellschaftspolitische Relevanz auf. Meine Erfahrungen verarbeite ich dabei weniger, sondern mehr, was ich beobachte und aufspüre: was in der Gesellschaft gärt, was in der Politik passiert und worüber in den Medien wieder geblubbert wird.

Wo wir bei der Berichterstattung in den Medien sind: Wie bewerten Sie die Darstellung der Migranten in den Medien?

Çelik: Die Darstellung der Migranten in den Medien ist nach wie vor billiger Abklatsch der Realität und zudem herrscht eine hemmungslose Hysterie. Die Medien zeigen nur eins: ihre Medien-Inkompetenz. Das kann sich natürlich durch Partizipation an der Medienwelt verändern und verbessern, was teilweise auch geschieht. Mein Amt in der Angelegenheit ist: bewusst auf Wunden drücken und zum Dialog anregen. Das ist die Aufgabe eines Künstlers.

Verstehen Sie sich als eine Art „Sprachrohr“ für Migranten, die in den Medien sonst wenig zu Wort kommen, wie etwa in Ihrem Theaterstück „Schwarze Jungfrauen“, wo muslimische Frauen das Sagen haben?

Çelik: Meine Ambition ist es weniger Sprachrohr zu sein, sondern viel mehr durch Methode und Qualität sichtbar, fühlbar und hörbar zu werden. Sonst wäre ich Politiker geworden.

Vielen Dank für das Gespräch!