Parallelgesellschaft

Vom Sprung über das Mittelmeer

Libanon gilt als eine Ansammlung von Parallelgesellschaften. Hier leben unterschiedliche ethnische und religiöse Bevölkerungsgruppen, welche sich in kultureller, sozialer und räumlicher Hinsicht voneinander abschotten und nicht mehr wegzudenken sind.

Von Susanne Rieper Mittwoch, 20.02.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 22.02.2013, 8:42 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Spaziert man durch die Straßen Beiruts, vorbei an Cafés, Imbissen und Pups, stechen sie hervor. Ohne auch nur ein einziges Wort zu wechseln, weiß man, dass man gerade einem Franzosen begegnet ist. Als Erstes fällt einem die ausgefallene und dennoch schlichte Kleidung auf. Dann bemerkt man das elegante, ja anmutige, vielleicht sogar etwas selbstverliebte Auftreten. Will man einen zweiten Blick auf diese Person erhaschen und dreht sich deshalb nach ihr um, so läuft in diesem Moment bestimmt auch schon der nächste Franzose an einem vorbei.

Der Libanon gilt als eine Ansammlung von Parallelgesellschaften, leben doch innerhalb dieses Staates unterschiedliche ethnische und religiöse Bevölkerungsgruppen, welche sich in kultureller, sozialer und räumlicher Hinsicht voneinander abschotten. Der libanesische Bürgerkrieg legt trauriges Zeugnis davon ab, wie schwierig so ein Zusammenleben sein kann. Die Gegenwart kündet von einem bis auf einige Ausnahmen friedvollen, jedoch äußerst misstrauischen Miteinander dieser Parallelgesellschaften. Neben Arabern, Maroniten, Griechisch-Orthodoxen, Kurden, Alawiten, Drusen, Armeniern und Palästinensern, um nur einige Bevölkerungsgruppen des heutigen Libanons zu nennen, wird eine bestimmte Parallelgesellschaft häufig vergessen. Gemeint sind die im Libanon lebenden Franzosen. Diese Community ist, nach der in Kanada, die größte französische Community außerhalb Frankreichs. Manchmal nur für eine bestimmte Zeit, manchmal auch ein Leben lang, halten sich Franzosen im Libanon auf, am liebsten in Beirut.

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Es kommt nicht von ungefähr, dass ausgerechnet im Libanon die französische Community sich anzusiedeln beschloss. Nachdem der Erste Weltkrieg von den Mittelmächten verloren worden war, besetzten die Ententemächte in den Jahren 1918 und 1919 den Libanon. Frankreich und Großbritannien, beides Mächte der Entente, wollten ihre Einflusssphären im Nahen Osten abgesteckt wissen und so bemühten sie den neu gegründeten Völkerbund dieses Anliegen umzusetzen. Lang lebe die Fremdbestimmtheit und lang leben Institutionen wie der Völkerbund, der eigentlich für Gerechtigkeit sorgen sollte. Auf der Konferenz von San Remo im Jahre 1920 erteilte der Völkerbund Frankreich das Völkerbundmandat für Syrien und Libanon. Auf diese Weise war der französische Einfluss im Libanon bis 1943, das Jahr der Unabhängigkeit des Libanons, besiegelt. Die eine Hand wäscht die andere und schon war auch die Liaison zwischen den bekanntlich katholischen Franzosen und der christlichen Bevölkerung des damals so genannten Großlibanons beschlossene Sache. Diese Liaison hält bis heute an.

So lässt sich auch erklären, warum die Franzosen in Beirut ausgerechnet in den christlichen Stadtteilen wie Gemmayzeh und Ashrafieh wohnen. Die Architektur vieler Häuser, so sie nicht während des libanesischen Bürgerkriegs zerstört worden sind, ist den Franzosen meist sehr vertraut. Waren es doch ihre Vorfahren, die diese Häuser während des französischen Mandats errichtet hatten. Sprachlich haben es die Franzosen im Libanon nicht schwer. Die dort lebenden christlichen Libanesen kommen den Franzosen sogar so weit entgegen, als dass sie sich mit ihnen auf Französisch unterhalten. Seit dem französischen Mandat gilt das Französisch als anerkannte Verkehrs- und Elitensprache, womit der Libanon zum französischen Sprachraum, auch Frankophonie genannt, zählt. Ihren großen Eroberern nachempfunden, verschmähen christliche Libanesen oft die arabische Sprache. Vielmehr ziehen sie es vor, sich untereinander ebenfalls auf Französisch zu unterhalten.

Die im Libanon lebenden Franzosen sind im Durchschnitt recht jung. Etwas mehr als die Hälfte der französischen Bevölkerung des Libanons ist unter 40 Jahre alt. Die meisten Franzosen arbeiten im Dienstleistungssektor. Die französische Botschaft, die Mission Culturelle Française, das Institut Français, verschiedene französische Firmen wie Accor, Air France und viele mehr wie auch die renommierte französischsprachige Universität Saint-Joseph in Ashrafieh bieten den Franzosen Arbeits- und Studienplätze. Besonders en vogue ist es im Moment, beispielsweise als Politikstudent der Science Po in Paris, ein Praktikum bei der libanesischen Tageszeitung in französischer Sprache L’Orient-Le Jour zu machen.

Sollte man als Franzose in Beirut erkranken, so geht man geradewegs in das französische Krankenhaus Hôtel-Dieu de France, welches sich selbstverständlich auch in Achrafieh befindet. Selbst sein Geld muss man nicht in fremde Hände geben. Um das liebe Geld der Franzosen kümmern sich diverse französische Banken wie Crédit Agricole Indosuez, Crédit Lyonnais, Société Générale und BNP Paribas. Dank der kulturellen Arbeit des Institut Français und der Mission Culturelle Française mangelt es den Franzosen auch nicht an französischem Kulturangebot. Egal ob Kino, Theater oder Kunst, die Franzosen werden kulturell bestens unterhalten. Sollte es den Franzosen in den lauten und stickigen Straßen Beiruts mal zu heiß werden, so setzt man sich in ein Service-Taxi, ein für französische Verhältnisse äußerst billiges Taxi, da man es mit anderen Mitfahrern teilt. Dieses Taxi bringt einen dann in einen Beach Club, vorzugsweise in den Sporting Club, der als einer der ältesten Beach Clubs Beiruts gilt. Jenseits von Frankreich darf die Côte d’Azur selbstverständlich nicht fehlen.

Nicht nur bei der Arbeit und im Studium bleiben die Franzosen gerne unter sich. Wenn man sich Sonntagvormittag auf eine vorzügliche Tarte au citron im noblen wie auch traditionsreichen Café Chez Paul trifft, kann man sich sicher sein, dass man dort als Franzose nicht alleine ist. Genauso verhält es sich bei einem gemütlichen Abendessen mit verschiedenen arabischen Vorspeisen, so genannten Mezze, im Café Em Nazih. Zwischen Muttabal, Taboulé, Hummus, Kibbeh, Falafel, Fatousch und Muhammara ist immer wieder ein „Salut, ça va?“ zu hören. Etwas später und einige Stockwerke höher in der Bar Coop d’Etat bei einem Bier dann die Antwort: „Merci. Ça va très bien“. Der Hafen Beiruts liegt einem dabei zu Füßen. Wo so eine Nacht endet weiß jeder in Beirut, egal welcher ethnischen bzw. religiösen Bevölkerungsgruppe man angehört. Ziemlich sicher nämlich findet man sich früher oder später im Club BO18 ein, wo dann gemeinsam bis in die frühen Morgenstunden getanzt wird.

Ohne Zweifel hat die französische Community im Libanon ihre eigenen Orte und Gepflogenheiten. So anders diese auch sein mögen, so selbstverständlich fügen sich die Franzosen als eine zusätzliche Parallelgesellschaft in die libanesische Gesellschaft ein und sind als solche von dort nicht mehr wegzudenken. Aktuell Feuilleton

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  1. Lynx sagt:

    Seit 1905 definiert sich die Französische Republik als säkularistischer Staat; trotzdem hat sie für die mit der römisch-katholischen Kirche unierten maronitischen Christen den Libanon als eigenen Staat von Syrien abgetrennt. Doch wenn es darum geht, die freie Religionsausübung der Muslime im eigenen Land, in Frankreich selbst, zu achten, pochen die Franzosen auf ihrem angeblich zu wahrenden Säkularismus und verabschieden Gesetze, die das Tragen von Kopfbedeckungen an Schulen und Gesichtsbedeckungen in der Öffentlichkeit verbieten.

  2. Kolcek sagt:

    @Lynx
    Andere Länder, andere Sitten!

  3. Mathis sagt:

    Frankreich ist aber kein säkularer, sondern ein laizistischer Staat.Die Trennung von Staat und Religion ist eine sehr viel striktere, als z.B. in Deutschland.
    Für die Christen im muslimischen Umfeld stellt sich die Situation ganz anders dar. Also ist das Vorgehen der Franzosen im Libanon eigentlich aus dieser Perspektive folgerichtig: Eigener Staat, mit eigenen Regeln.

  4. Korbinian sagt:

    Kann man den Libanon überhaupt noch als funktionierenden Staat bezeichnen? In den 60ern galt der Libanon mal als orientalische Schweiz. Muss toll dort gewesen sein!

    @Lynx
    Was stellen Sie da für seltsame Vergleiche an?

  5. Mathis sagt:

    Libanons Gegenwart ist wohl eher „chaotisch“ und fragil.