Bundestagswahl 2013

Der migrantische Blick in die Parteiprogramme – eine Analyse

Was sind die Kernpositionen der unterschiedlichen Parteien zu migrantischen Themen? Quasi die heiligen Grundfesten von CDU/CSU, SPD, FDP, Grüne, Linke und Piraten, wenn es um Belange von Menschen mit Migrationshintergrund geht?

Von Patricio Farrell Montag, 18.02.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 22.02.2013, 8:37 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Wir schreiben 2013, das Jahr der achtzehnten Bundestagswahl. Streckenweise dürfte es sich anfühlen wie ein Déjà-vu: Die Regierung preist sich selbst, die Opposition ätzt dagegen und der Wähler wechselt alle paar Monate seine Meinung – je nach medialer Charakterzeichnung der Protagonisten. Mutti, Raffzahn und Alt-Herren-Witzler sind jedenfalls schon vergeben. Viel Meinung, wenig Inhalt.

Doch was sind eigentlich die Kernpositionen der unterschiedlichen Parteien zu migrantischen Themen jenseits aller Wendehalsigkeit? Quasi die heiligen Grundfesten von CDU/CSU, SPD, FDP, Grüne, Linke und Piraten, wenn es um Belange von Menschen mit Migrationshintergrund geht?

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Nun könnte so mancher geneigt sein, alles auf die Formel Links ist hui, rechts ist pfui zu reduzieren. Doch lohnt es sich, anhand von ein paar Beispielen, einen Blick hinter oberflächliche Parolen in die unterschiedlichen Parteiseelen zu werfen. Denn manchmal sind die Fronten doch nicht so eindeutig verteilt, wie es den Anschein hat.

Natürlich macht es zunächst wenig Sinn von migrantischen Themen zu sprechen. Denn erstens wäre es vermessen zu behaupten, dass Migranten in Deutschland eine homogene Gruppe sind, ein Einheitsbrei, der zu jeder Position die gleiche Meinung hat. Noch ist es zweitens ausgeschlossen, dass sich auch Nicht-Migranten aus anderen (oder identischen) Gründen für dieselben Themen starkmachen. Deshalb und trotzdem sind folgende fünf Themengebiete so gewählt, dass sie einen möglichst großen Bereich der Lebenswirklichkeit von Migranten in Deutschland abdecken. Konkret geht es um: Doppelte Staatsbürgerschaft, Asylpolitik, Bundeswehreinsätze in Krisengebieten, Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Ausländer sowie religiöse Riten und Symbole.

Doppelte Staatsbürgerschaft
Berlin, zwei Tage nach der Niedersachsenwahl: Sigmar Gabriel strotzt vor Selbstbewusstsein. Das Bündnis von SPD und Grünen hat einen Landtagssitz mehr als das bürgerliche Lager erkämpft. Mag der Sieg auch knapp gewesen sein, so hat er doch weitreichende Konsequenzen: Nun werden voraussichtlich SPD, Grüne und Linke zum ersten Mal seit langer Zeit wieder eine linke Mehrheit im Bundesrat bilden. Eine Mehrheit, die unerlässlich ist, wenn die Regierung wichtige Vorhaben durchsetzen will. In der Regierung sitzt Sigmar Gabriel zwar noch nicht, doch Pläne für den Fall eines Wahlsiegs hat er schon.

Ein zentrales Versprechen: Gewinnt ein linkes Bündnis im Bundestag ebenfalls die Mehrheit, möchte er die doppelte Staatsbürgerschaft einführen. „Für diese Vorhaben brauchen wir die Mehrheit in Bundestag und Bundesrat“, sagt er vor versammelten Hauptstadt-Journalisten. Die Unterstützung von Grünen und Linke hat er sicher. Beide Parteien fordern schon seit Jahren die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft, etwa wenn mindestens einer der beiden Elternteile einen anderen Pass besitzt.

Auch die FDP setzt sich laut ihrem aktuellen Grundsatzprogramm für die „erweiterte Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft“ ein. De facto ist es nämlich jetzt schon möglich, zusätzlich zur deutschen die Staatsbürgerschaft eines anderen EU-Landes zu besitzen, wenn der andere Staat die doppelte Staatsbürgerschaft gestattet. Für Nicht-EU-Länder gibt es zwar die Möglichkeit, über sogenannte Beibehaltungsgenehmigungen eine zweite Staatsbürgerschaft zu erwerben. Diese Genehmigungen werden jedoch nur in seltenen Ausnahmefällen erteilt.

Die Forderungen der Piratenpartei begrenzen sich nur auf EU-Länder: Sofern ein EU-Staat die Staatsangehörigkeit noch nach Abstammung erteilt, setzen sich die Freibeuter dafür ein, dass in Deutschland geborene Kinder von Eltern jenes EU-Staates die andere Staatsangehörigkeit automatisch zugesprochen bekommen sollen.

Am restriktivsten geht die Union mit dem Thema um. Unvergessen ist Roland Kochs Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft aus dem Jahr 1998/1999, als die damalige rot-grüne Regierung den Versuch unternahm, die deutsche Staatsbürgerschaft zu reformieren. An dieser Position hat sich bis heute wenig geändert. Noch im vergangenen Sommer sprach sich Innenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU gegen eine Abschaffung der Optionspflicht aus, die Kinder von Migranten zwingt, sich mit 18 Jahren zwischen der deutschen oder der elterlichen Staatsangehörigkeit zu entscheiden.

Asylpolitik
An dem Thema Asyl entzünden sich in Deutschland immer wieder hitzige Debatten. So gipfelte die Asyldebatte der frühen 90er Jahre in den Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen (http://de.wikipedia.org/wiki/Ausschreitungen_von_Rostock-Lichtenhagen), bei denen rund hundert Menschen tagelang um ihr Leben fürchten mussten.

Damals wie heute steht die CDU/CSU für eine restriktive Asylpolitik. Nur „tatsächlich politisch“ Verfolgten, so steht es in dem Grundsatzprogramm der CSU, möge Zuflucht gewährt werden. Allerdings pickt sich die bayerische Union die Rosinen heraus: Zwar müsse der Staat den Zustrom von Zuwanderern begrenzen, doch ausländische Spitzenkräfte seien trotzdem willkommen. Die CDU und auch die FDP möchten eine gemeinsame europäische Asylpolitik vorantreiben.

Dagegen bekennen sich SPD, Grüne, Linke und Piraten deutlich zu einem weiter gefassten Asylrecht. Neben politischen Flüchtlingen wollen sie auch nicht-staatlich verfolgten Menschen Zuflucht gewähren. Das heißt auch Menschen, die aufgrund von Geschlecht, sexueller Identität oder sexueller Orientierung im Heimatland geächtet werden, soll die Bundesrepublik Asyl gewähren. Ferner möchte die Linke verhindern, dass die Asylpolitik als Abschottungsstrategie des reichen Deutschlands gegenüber ärmeren Staaten missbraucht wird.

Bundeswehreinsätze
Ob in Mali, Syrien oder Libyen: Wenn Despoten sich am eigenen Volk vergehen, machen sich nicht nur in Deutschland lebende Regimekritiker für einen militärischen Einsatz der Bundeswehr stark. Natürlich fällt es gerade Deutschland vor dem Hintergrund seiner eigenen blutigen Geschichte schwer, in ein fremdes Land zu marschieren. Dennoch rechtfertigen eklatante Menschenrechtsverletzungen für viele in Deutschland lebende Menschen – zugewandert oder nicht – einen Bundeswehreinsatz. So ist Außenminister Guido Westerwelle beispielsweise für seine zögerliche Haltung während des Libyen-Konflikts vielfach gescholten worden.

Die Bundeswehr als Krisenbewältiger – am deutlichsten bekennt sich die Union dazu. Beide Schwesterparteien machen sich stark dafür, dass die Bundeswehr die Demokratisierung in Afghanistan auch nach Ablauf des offiziellen ISAF-Einsatzes 2014 unterstützt – mit einem Schwerpunkt auf der Aus- und Fortbildung afghanischer Streitkräfte. CDU und CSU gehen sogar noch einen Schritt weiter und möchten Militärtechnik und Streitkräfte auch im Inland nutzen dürfen. Umso erstaunlicher, dass die Union die allgemeine Wehrpflicht in der aktuellen Legislaturperiode abgeschafft hat.

Bundeswehreinsätze im Inneren lehnen alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien strikt ab. Die Liberalen, die Sozialdemokraten und die Grünen sind zwar nicht grundsätzlich gegen militärische Interventionen, möchten diese jedoch so gut wie möglich in international-konzertierte Aktionen, etwa von UNO oder EU, einbetten.

Die radikalste Position vertritt die Linke. Die Linke fordert alle Auslandseinsätze der Bundeswehr sofort zu beenden, die Armee drastisch abzurüsten, und die Streitkräfte auf eine Verteidigungsarmee zu reduzieren. Mali, Syrien oder Libyen wären auf sich allein gestellt.

Gar keine erkennbare Meinung haben dagegen die Piraten. Das Parteiprogramm der Freibeuter erwähnt in dem Kapitel „Außen- und Sicherheitspolitik“ kein einziges Mal die Bundeswehr. Stattdessen setzen die Piraten eher auf zivile Konfliktlösungen.

Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Ausländer
Der EU-Ministerrat beschloss 1994, dass alle EU-Ausländer auf kommunaler Ebene das aktive wie passive Wahlrecht erhalten sollen. Dank dieser Richtlinie können heute rund 2,5 Millionen EU-Bürger ohne deutschen Pass die Politik im Kleinen mitbestimmen. Das bedeutet aber auch, dass rund 4,5 Millionen Ausländer nach wie vor keinen Einfluss auf die Kommunalpolitik nehmen dürfen.

SPD, Linke, Grüne und Piratenpartei wollen das ändern. Jeder, der seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland habe, solle das aktive und passive Kommunalwahlrecht erhalten. Die Unionsparteien haben sich in der Vergangenheit wiederholt gegen die Erweiterung des Kommunalwahlrechts ausgesprochen. Ein häufig genanntes Argument auf Unionsseite ist, dass länger in Deutschland lebende Migranten genauso gut die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen können.

Innerhalb der EU gibt es bereits eine Reihe von Ländern, die ein wesentlich liberales Wahlrecht eingeführt haben. Vor allem die skandinavischen Länder zählen hier zu den Vorreitern.

Religiöse Riten und Symbole
„Wir verstümmeln, wir beschneiden / Recht und Vorhaut; allen beiden / muss man hier den Garaus machen, / denn wir steh’n auf solche Sachen.“ So dichtete der Grüne Landtagskandidat Ulf Dunkel zum Höhepunkt der sogenannten Beschneidungsdebatte, die das Landgericht Köln am 7. Mai 2012 auslöste, indem es religiös-motivierte Beschneidungen bei Jungen als rechtswidrige Körperverletzung wertete. Im darauf folgenden medialen Aufschrei entschuldigte sich der Grünen-Politiker.

Trotzdem zeigt es, wie zerrissen die Grünen bei diesem Thema waren. Grünen-Politiker Renate Künast und Volker Beck hielten in der Berliner Zeitung die Beschneidung zwar für einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eines Jungens. Diese werde jedoch nur rechtswidrig „wenn bei minderjährigen Jungen keine Einwilligung der Eltern vorliegt oder diese gegen die guten Sitten verstößt.“ Dennoch stimmten nur die Hälfte der Grünen-Bundestagsabgeordneten für das Beschneidungsgesetz, das nach dem Kölner Urteil beschneidenden Ärzten wieder Rechtssicherheit geben sollte.

Bei der Links-Partei war die Ablehnung noch deutlicher: Eine Mehrheit stimmte gegen das Beschneidungsgesetz. Im Gegensatz dazu stimmten beide Regierungsparteien und (mit ein paar Abstrichen) auch die SPD mit großer Mehrheit für das Gesetz.

Weniger tolerant zeigten sich allerdings die Unionsparteien, wenn es um das Tragen von Kopftüchern im öffentlichen Dienst geht. Die Hälfte aller Bundesländer, darunter die traditionell eher konservativ geprägten Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, haben ein Kopftuchverbot eingeführt. Dieser Verbotseifer erstreckt sich interessanterweise jedoch nicht auf andere religiöse Symbole wie etwa das christliche Kreuz. Im Gegenteil: Als Aygül Özkan, Deutschlands erste türkischstämmige Landesministerin in Niedersachsen, sagte, man solle das Kopftuch für Beamte genauso wie das Kreuz aus staatlichen Schulen verbannen, ging ein Aufschrei durch die Union.

Fazit
Diese Analyse der Parteipositionen für fünf recht unterschiedliche Lebensbereiche zeigt: Ein Vergleich lohnt sich. Wer seine Wünsche nach der diesjährigen Bundestagswahl politisch verwirklicht sehen will, sollte die Parteiprogramme der Parteien genau studieren. Das gilt natürlich für jeden Bürger und jede Bürgerin – für Menschen mit Migrationshintergrund vielleicht aber ganz besonders. Leitartikel Politik

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MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. Nie wieder Krieg?! sagt:

    „CDU und CSU gehen sogar noch einen Schritt weiter und möchten Militärtechnik und Streitkräfte auch im Inland nutzen dürfen. Umso erstaunlicher, dass die Union die allgemeine Wehrpflicht in der aktuellen Legislaturperiode abgeschafft hat.“

    Den Widerspruch sehe ich nicht.
    Wehrpflichtableistende schießen nicht auf das eigene Volk. Dazu braucht es eine staatsnahe Berufsarmee.
    Und damit sieht man auch, wo die Reise hingeht – Tiān’ānmén lässt grüßen.

  2. Roman sagt:

    Vielen Dank für den Beitrag. Kurz zusammengefasst und doch sehr informativ. Gibt auf jeden Fall die Möglichkeit, sich genauer mit den Positionen zu befassen.
    (Schade, dass die Seite 2 – Kommunalwahlrecht, Religiöse Riten – nicht richtig verlinkt ist (?) )

  3. Lynx sagt:

    „Mali, Syrien oder Libyen wären auf sich allein gestellt.“ Diese Aussage ist schlichtweg Unsinn, da es genügend andere imperialistische Staaten mit ihren Vasallen gibt, die sich in die Angelegenheiten anderer Länder einmischen. Der BRD stünde es besser an, sich da nicht schmutzig zu machen. Die BRD liegt heute geographisch ringsum umgeben von befreundeten und verbündeten Staaten, weswegen die Umgestaltung der Bundeswehr in eine reine Verteidigungsarmee kleineren Maßes der Sicherheit der BRD keinen Abbruch täte.

  4. Haydar sagt:

    Die Positionen der Piraten wurden leider nur unvollständig wiedergegeben – was auch daran liegen mag, dass diese recht verstreut sind im Grundsatzprogramm, Wahlprogrammen, Positionspapieren und Liquid-Feeedback-Initiativen. So begrenzen sich die Forderungen der Piratenpartei nicht nur auf EU-Länder, sondern die Piraten setzen sich generell für eine gesetzliche Grundlage für dei Gewährung von multiplen Staatsbürgerschaften ein.

    In der Asylpolitik haben die Piraten sehr weitgehende Forderungen, z. B. nach der generellen Aussetzung von Abschiebung und Abschiebehaft (Wahlprogramm NRW).

  5. Johann Hartmann sagt:

    @ NIe wieder Krieg?!
    Das sehe ich auch so. Und darüber hinaus: Bei einer Allgemeinen Wehrpflicht, die auch konsequent durchgeführt würde, käme jeder junge Mann mindestens einmal in seinem Leben mit der Grundausbildung an der Waffe in Berührung. Für Herrschende ist nichts gefährlicher als die Tatsache, dass die Beherrschten wissen, wie geschossen wird …