Sexismus-Debatte

Das war abzusehen!

Die Sexismus-Debatte leidet an Kurzsichtigkeit. Es geht nicht darum, den Sexismus zu verurteilen, sondern darum, seine Ursachen zu ergründen. Ein Debattenbeitrag von muslimischer Seite.

Es heißt, die Sexismus-Debatte werde Deutschland verändern. Dabei ist auch vom Krieg die Rede. Von einem Kampf der Geschlechter. Und so wie ein Krieg neue Grenzen zieht, so wird der Machtkampf zwischen Mann und Frau das Verhältnis zwischen den Geschlechtern neu ordnen. Der Mann verlöre dabei an Land, heißt es. Seine Niederlage habe sich ja abgezeichnet. Er sei der Verlierer des neuen auf fortwährender Anpassung beruhenden Gesellschaftsmodells. Zu langsam für die halsbrecherischen Wendungen des globalen Turbokapitalismus. Zu unflexibel für die Anforderungen an das moderne heimatlose und traditionsentbundene Subjekt, das der Arbeitsmarkt fordert.

Frauen konnten, ausgelöst durch die feministischen Emanzipationsbewegungen des 20. Jhd., jahrzehntelang neue Rollen ausprobieren, sich an neue Lebensentwürfe herantasten, sich verbiegen und verformen, weswegen sie sich an die neue Herausforderung, Karriere und Kind unter einen Hut zu bringen, geschmeidig anschmiegen konnten. Der Mann hingegen, stur, träge und hart, wie sein Wesen nun mal ist, wird von der neuen Zeit wie ein hohles Stück Holz entzwei gerissen und treibt nun umher im weiten Ozean der postmodernen Orientierungslosigkeit.

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Natürlich ist diese dramatisch vorgetragene Zeitdiagnose quatsch. Frauen werden aus der Sexismus-Debatte nicht als Sieger hervorgehen und die Männer werden auch nicht vollends vor die Hunde gehen, weil sie es schon längst sind. Die Rhetorik vom Kampf der Geschlechter ist altfeministisches Gerede. Es ist nicht zeitgemäß, weil es mit der einfachen Unterscheidung zwischen handelnden Opfern und Tätern operiert, ohne zu berücksichtigen, welchen Einfluss andere Faktoren haben. Denn wenn berücksichtigt wird, welchen Einfluss Normen, Ideale und Menschenbilder haben, die im Laufe der letzten Jahrhunderte sich herausbildeten und unserer Gesellschaft jene Kontur gegeben haben, die sie momentan besitzt, dann erschließen sich einem die extremen Widersprüche, die unterhalb der Sexismus-Debatte zutage treten und dem hohlen Täter-Opfer-Denken des Feminismus den Wind aus den Segeln nehmen.

Das Feuer wird gelegt
Die Grenzen, so heißt es neuerdings in einem Update des Altfeminismus, verliefen nun nicht mehr zwischen den Geschlechtern. Es gebe Menschen, die einen anderen auf sein Geschlecht reduzieren, und Menschen, die sich dem Geschlecht einer anderen Person gegenüber neutral verhalten. Jetzt gebe es auch männliche Opfer und weibliche Täter. Geschenkt. Das alte Muster von respektlosen, ungehobelten Menschen auf der einen Seite und Opfern auf der anderen bleibt bestehen. Und nimmt man die neuesten Umfragen zu Hilfe, so bleibt das verdammenswerte Subjekt das gleiche. Der chauvinistische Mann, der mit Hilfe seiner Position, seiner Macht alles an sich zu reißen versucht, das nicht bei drei auf den Bäumen ist. Der unkontrollierbare Vertreter des männlichen Geschlechts, der nicht in der Lage ist, Frauen auf Augenhöhe zu begegnen, sondern sie per se auf ihr Geschlecht, das natürlich dem des Mannes nicht ebenbürtig ist, reduziert.

In Wahrheit verläuft der Krieg jedoch nicht zwischen Täter und Opfer, sondern innerhalb der Täter und Opfer. Und in dieser Perspektive ist es gerade der Mann, der einen tiefen Konflikt auszuhalten hat, der genährt wird von äußeren Umständen. Der Mann wird mit einer hypersexualisierten Gesellschaft konfrontiert, die in der Geschichte der menschlichen Zivilisation seinesgleichen sucht. Tagtäglich wird er bombardiert mit aufreizenden Bildern und Videos. In Werbung, Fernsehen und Internet ist die in lasziven Posen ausgestellte Frau, ein auf ihre Sexualität reduziertes Objekt, allgegenwärtig. Der Mann wird quasi dazu konditioniert, die Frau herabgesetzt auf ihr Geschlecht, ihre Sexualität wahrzunehmen. Die Frau dient dabei als Köder. Und es funktioniert und wird auch immer funktionieren, weil Mutter Natur dabei Schmiere steht. Der Mensch ist bis zu einem gewissen Grade seinen Instinkten unterworfen. Die tierische Natur des Mannes sorgt dafür, dass die Hormone verrücktspielen beim Anblick einer freizügig bekleideten Frau, die durch ihre Posen zu verstehen gibt, dass sie paarungswillig ist. Dies sind Reflexe, die den Mann ins Schwitzen bringen. Sie sollen dazu führen, so der hinterhältige wie altbackene Plan unkreativer Werbemenschen, dass die Region im Gehirn, die für vernünftige Entscheidungen zuständig ist, durch die subversiven Nebelbomben von Sexualhormonen angegriffen wird. Kurzum, der Mann lebt in einer ihn sexuell überreizenden Gesellschaft. Die User-Statistiken des Internets scheinen dies zu bestätigen. 60% aller Webseitenbesuche sind sexueller Natur und 40% aller Webseiten im Netz haben sexuellen Inhalt. Da scheint sich der Mann ein Ventil zu verschaffen.

Wie Öl ins Feuer gießen
Jetzt wäre es natürlich alles andere als originell, ja geradezu peinlich, wenn die Überreizung des Mannes als Ursache für den alltäglichen Sexismus herhalten muss. Er habe sich zu kontrollieren, solle sich nicht wie ein Tier gebärden. Recht haben sie, doch wie soll das konkret aussehen, bzw., wie realistisch ist das? Denn flankiert wird die Überstimulation des Mannes durch eine neue Form der Frauenemanzipation, die sich in so widersinnigen Erscheinungsformen wie den slut-walks manifestiert. Halbnackte Frauen stolzieren verkleidet durch die Straßen, um durch die zur Schau gestellte Frivolität ihr Recht auf die Unversehrtheit ihres Körpers einzufordern. Eine Frau, die freizügig auftritt, so der Tenor, wolle damit nicht bezwecken, dass der Mann sie als Freiwild zu betrachten hat. Da fragt man sich, weshalb sie sich dann so kleidet, wenn sie doch gar kein Interesse an den Anbandelungsversuchen von Männern, wie plump sie auch immer sein mögen, hat?

Frauen kleiden sich aufreizend und betonen ihre Geschlechtsmerkmale, weil sie sich dadurch gesellschaftliche Anerkennung erhoffen. Sie werden wahrgenommen, existieren im öffentlichen Raum, richten sich an Schönheitsidealen und unterwerfen sich demnach ästhetischen Normen, die ja gerade das Weibliche in den Vordergrund rücken. Der Fokus der äußeren Erscheinungsform liegt oftmals nicht auf das Wahrgenommenwerden als neutrales Subjekt, damit die geistigen Qualitäten in den Vordergrund rücken, sondern auf den Körper, die Hülle, das Sexuelle. Kurzum, sie spielen mit ihrem Geschlecht, regredieren sich dabei selbst auf ihren Sexus und wehren sich dann in slut-walks gegen den Sexismus, den sie doch selbst tagtäglich ausspielen, indem sie mit ihren weiblichen Reizen spielen, um sich Vorteile zu verschaffen. Sie fordern also für sich das Recht ein, sexistisch zu sein, während sie gleichzeitig gegen ihn zu Felde ziehen?

Es geht nicht darum, Männer in ihrem Machotum, in ihren Übergriffen zu verteidigen, sondern darum, die Ursache dieses männlichen Beutedenkens, das weiter verbreitet ist als Alice Schwarzer zu träumen wagt, zu erklären. Klar ist, dass der Mann sich zu zügeln hat. Er soll Frauen respektieren. Eine Selbstverständlichkeit, die jedoch auf breiter Basis zu bröckeln scheint, und kein gutes Licht auf die moralische Verfassung des männlichen Geschlechts wirft. Und dabei ist die Hypersexualisierung unserer Gesellschaft nicht Ursache, sondern die konsequente Folge eines Menschenbilds, das zwar auf die Vernunft im Menschen angewiesen ist, jedoch alles daran setzt, ebenjene auszuschalten.

Ein willfähriges Opfer der Gesellschaft
In einem voraufgeklärten Zeitalter erhielten moralische Normen ihre Gültigkeit durch ihre Beglaubigung in göttlich inspirierten Texten. Legitimität durch nicht zu hinterfragende Dogmen, die befolgt werden mussten, um nicht von Gott bestraft zu werden. Die Einbettung in einem kosmologischen Sinnzusammenhang war notwendig, um moralischem Handeln Sinn zu verleihen. Die Befreiung von diesem einfach gestrickten Schema, Aufklärung genannt, verlangte danach, dem moralischen Handeln einen neuen Sinn zu geben. Warum soll ich moralisch handeln, wenn kein Gott zürnt, wenn ich sündige? Der Mensch sollte nun nicht mehr einfacher Soldat, Befehlsempfänger sein, der tut, was man ihm befiehlt, sondern ein mündiger Bürger, der entweder kraft seiner Vernunft (Kant) oder seiner inneren Stimme (Rousseau) das rechte, moralische Handeln in die Tat umsetzt. Der Mensch selbst ersetzte Gott. Er hievte sich auf einen Thron, nur um in den Jahrhunderten danach alles daran zu setzen, sich selbst von diesem zu stürzen.

Man fand heraus, dass der Mensch nicht das Ebenbild Gottes sei, sondern vom Affen abstamme (Darwin), dass er eigentlich nur das Produkt der wirtschaftlichen, sozialen Umstände ist (Marx), und dass er eigentlich mehr oder weniger stark von seinem psychischen Apparat, den er selbst nie gänzlich kontrollieren kann, beherrscht wird (Freud). Es fand eine große Entmystifizierung des Menschen statt, jede Metaphysik wurde ihm abgesprochen, bis zu der konsequenten Schlussfolgerung, dass der Mensch eigentlich so etwas wie Identität nicht besitzt (Postmoderne).

Das Problem dieser Umwälzungen ist jetzt aber, dass die Einrichtung der Gesellschaft mit diesen Erkenntnissen nicht Schritt halten konnte. Man tut immer noch so, als wäre der Mensch ein vernünftiges Subjekt, das unabhängig der ihn beeinflussenden gesellschaftlichen Umstände in der Lage ist, absolut frei und autonom zu handeln. Genau das ist ja die bahnbrechende Forderung aller Feministinnen. Als würde das konstante Appellieren auf seine primitive Triebstruktur nicht dazu führen, dass er einseitig auf einfache Triebbefriedigung konditioniert wird.

Wenn dem Menschen jegliche Göttlichkeit abgesprochen wird, wie kommt man dann dazu, von ihm zu verlangen, seine aufs Äußerste erregten Sinne beisammen zu halten, wenn eine etwaige Übertretung von keinem Gott bestraft werden wird? Nicht nur, dass moralisches Handeln keine Motivation besitzt, vielmehr noch besitzt das von aller Metaphysik befreite Tier, diese aufs Materielle reduzierte Hülle ja eigentlich keine Kraft, um sich gegen die Überreizung zu wehren. Er ist Tier, Instinkten unterworfen und gesellschaftlichen Konditionen – also primär fokussiert auf Paarung. Alle gesellschaftlichen Beobachtungen hinsichtlich der Dominanz der Sexualität stützen diese These. Der Deutsche ist im Fitnesswahn, stählt sein Äußeres in Muckibuden, kümmert sich um seine Gesundheit und huldigt dem Körperkult, um im Großstadtdschungel als besonders werthaltiger Primat taxiert zu werden.

Das Blatt wendet sich
Interessant in diesem Kontext ist, dass die Freizügigkeit im Umgang der Geschlechter als Fortschritt verkauft wird. Als wäre diese Konditionierung des modernen Menschen auf Neandertaler-Instinkte eine Befreiung seines Ichs. Archaisch und weltfremd sind die Anderen. Muslime vor allem. Die trennen die Geschlechter und verhüllen die Frauen mit dem Hinweis, dass sie dadurch von den Belästigungen der wilden männlichen Horden verschont bleiben. Die Realität der freizügigen westlichen „Zivilisation“ straft dieser herablassenden Arroganz lügen. Was ist der #Aufschrei anderes als die Verifizierung des folgenden Koranverses?

„O Prophet! sprich zu deinen Frauen und deinen Töchtern und zu den Frauen der Gläubigen, sie sollen ihre Tücher tief über sich ziehen. Das ist besser, damit sie erkannt und nicht belästigt werden. Und Allah ist allverzeihend, barmherzig.“ (33:60)

Doch wer glaubt, dass es mit dem Verschleierungsgebot getan ist, der verkennt das Menschenbild des Islam. Der Islam reduziert den Menschen nicht auf eine instinktgesteuerte Hülle und erhebt ihn auch nicht auf einen realitätsfremden Thron der reinen Vernunft. Er schafft grundsätzliche Vorkehrungen für eine reizfreie Gesellschaft, damit es dem Menschen einfacher fällt, sich von seinen primitiven Triebbedürfnissen zu befreien, um auf eine höhere Stufe der menschlichen Existenz zu gelangen. Er will den Menschen nicht von seinen Trieben abtrennen, sondern erkennt alle seine natürlichen Bedürfnisse als gottgegeben an, die der Mensch zu kontrollieren, zu kanalisieren in der Lage sein soll, damit sie zu moralischen Eigenschaften werden. Sexualität wird nicht verdammt, sondern eingegrenzt, damit sie einem höheren Ziel nicht im Wege steht.

Das höhere Ziel ist das Ziel des Islam und der Sinn des Lebens. Der Mensch soll sich soweit mit Gottes Eigenschaften färben, sie annehmen, bis er dazu in der Lage ist, mit Gott eine mystische Vereinigung einzugehen. Der Mensch soll tatsächlich mit Gott kommunizieren, Ihn erfahren, von Ihm Wahrträume und Botschaften erhalten. Das gesamte Universum ist letztlich nur für diesen heiligen Zweck erschaffen worden. Für die Vereinigung von Mensch und Gott, der berühmten unio mystica. Doch um in diesen erhabenen Zustand zu gelangen, muss der Mensch sich von niederen Stufen seiner Existenz loslösen. Er soll sich nicht sein Gelüst zum Gott machen, wie es im Koran heißt (45:24), soll nicht morden, betrügen, stehlen, niederen Leidenschaften frönen, eitel, stolz und machtgierig sein.

Gott näher zu kommen heißt, Gott zu dienen. Gott zu dienen heißt, all jene Eigenschaften, die Gott auszeichnen, in sich aufzunehmen. Der Mensch soll gnädig und barmherzig sein. Er soll gerecht sein, mitfühlend und freigiebig. Er soll wahrhaftig sein und ehrlich, seinen Eltern dienen und den Mitmenschen stets Hilfe anbieten. Alle höchsten moralischen Eigenschaften, die wir Gott, dem Allmächtigen, zuweisen, soll der Mensch versuchen in die Tat umzusetzen.

Der Islam vertritt ein Menschenbild, das mehrstufig und deshalb realistisch ist. Der Mensch ist kein Heiliger, kann aber einer werden. Er besitzt eine feine Spiritualität, die ihn dazu befähigt, Erkenntnis von Gott zu erlangen, doch auch mächtige Triebe, die ihn in den tiefsten Höllenschlund stürzen lassen. Hölle bedeutet dann unkontrollierbare Gier, leidenschaftliches, brennendes Verlangen, das niemals wahrhaftig Erfüllung findet, sondern nur eine Leere und das besinnungslose Begehren nach Mehr.

Der Islam sieht im Mann nicht nur einen Wilden, den es mittels Verschleierungsgebote zu zähmen gilt. Der Mann kann, wie die Frau, die erhabensten und edelsten Stufen der Moral erklimmen, doch er kann auch, kraft der in ihm vorhandenen natürlichen Triebe, zu einem triebgesteuerten Widerling werden, einem testosterongeschwängerten Primitiven. Der Islam erkennt diese Realität an und versucht, den Menschen von dieser niedrigsten Stufe auf die Höchste zu heben. Der Islam versucht den Menschen nicht nur zu zivilisieren, der Islam versucht den Menschen zu Gott zu hieven. Auf einen Thron, der von Gott selbst gestützt wird, und den deshalb kein Mensch stürzen kann.