Der Ruf des Geächteten

Bombenzirkus in Bonn

Am 10. Dezember des vergangenen Jahres wurde am Bonner Hauptbahnhof eine herrenlose blaue Tasche gefunden, die auch heute noch viele Fragen aufwirft: Wie gefährlich war ihr Inhalt? Wer hat sie mit welcher Motivation dort abgestellt? In welche Richtungen ermitteln die Behörden? Welche Form von Berichterstattung gibt es? Innerhalb einiger Tage überschlagen sich die Meldungen.

Die Bundespolizei spricht nach ihren Ermittlungen von einer ungefährlichen Attrappe. Nach Aussage des zuständigen Sprengstoffmeisters kann nicht die Rede von einer Bombe sein und die in der Tasche befindlichen Chemikalien sind von niedriger Gefährlichkeit. Auch von der Essener Polizeibehörde, die für die Sprengung der Tasche zuständig war, ist zu vernehmen, dass es sich bei der Zusammensetzung um einen ungefährlichen Inhalt handelt. Der für eine Bombe notwendige Zünder wird nicht gefunden. Selbst wenn sich ein funktionsfähiger Zünder in der Tasche befunden hätte, so das LKA Nordrhein-Westfalen, wäre der Sprengsatz in Bonn wohl nicht explodiert und die Zündung hätte lediglich eine Stichflamme verursacht.

Trotz der entwarnenden Hinweise der Experten vor Ort und den vielen Untersuchungen mit gleichlautendem Ergebnis beschreibt die Bundesanwaltschaft den Sprengsatz als höchst gefährlich. Auch der leitende Kriminaldirektor Norbert Wagner kommt zu eigenen Ergebnissen, wobei unklar bleibt, auf welchen Erkenntnissen diese beruhen: „Die Bombe ist von der Bauart nicht zu unterschätzen, sondern sehr professionell. Wäre die Bombe detoniert, hätte es eine sehr, sehr große Explosion mit einem großen Feuerball gegeben.“

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Was war geschehen?
Über den möglichen Tathergang kann bisher nur spekuliert werden. Die Überwachungskameras der Deutschen Bundesbahn waren defekt, es liegen daher lediglich vereinzelte Zeugenaussagen und Aufnahmen der Kameras eines Fastfood Restaurants vor. Auf diesen Videoaufzeichnungen ist ein Mann mit der später gefundenen blauen Tasche zu sehen, der in den öffentlichen Beschreibungen als „Mann mit Bart“ dargestellt wird. Diesem soll die Tasche von einem weiteren Mann (als „dunkelhäutiger Mann“ bezeichnet) entwendet worden sein. Laut Zeugenaussagen hat der „dunkelhäutige Mann“ die Tasche zwei Jugendlichen, die an Gleis 1 auf ihren Zug warteten, vor die Füße geschoben und ist anschließend davongelaufen. Den Aussagen zufolge soll er sich dabei mehrmals umgedreht und auf die Tasche geblickt haben.

Das ungewöhnliche Verhalten des Mannes sorgte für Irritationen bei den Jugendlichen, die verwundert waren über den Inhalt der Tasche: Aus dieser ragten blaue Drähte sowie Kabel heraus und ihr Blick in das Innere der offenstehenden Tasche fiel auf Kartuschen und einen Wecker.

Wer waren die unbekannten Personen?
Bereits kurz nach dem Vorfall schien das Tatmotiv festzustehen: „Wir nehmen den Sachverhalt sehr ernst. Er unterstreicht unsere Einschätzung, dass Deutschland im Fadenkreuz des dschihadistischen Terrorismus steht.“ so Innenminister Friedrich in einer Pressemitteilung.

Auch quer durch die Medienlandschaft werden Muslime für den vermeintlichen Anschlagsversuch verantwortlich gemacht. Die vermeintlichen Beweise dafür, wenn überhaupt Nachweise aufgeführt werden, sind die folgenden: Die Eskalation bei der proNRW Demo in Lannesdorf wird als mögliche Vorstufe bezeichnet (Bonner Express), zudem passe der Sprengsatz von der Machart her zu einer Bombenbauanleitung des Internet-Magazins „Inspire“, das die Al-Kaida im Jemen produziere (Bild), und auch der versuchte Anschlag der sogenannten „Kölner Kofferbomber“ soll den Beweis für einen Zusammenhang liefern: „Auch das würde ins Bild eines radikal-islamistischen Hintergrunds passen, denn auch der Anschlag der Kölner Kofferbomber misslang 2006 nur aufgrund eines Baufehlers.“ (General-Anzeiger).

Bei den Verdächtigen handelt es sich ausschließlich um Muslime, denen ein extremistischer Hintergrund zugeschrieben wird: Einer der Verdächtigen aus Langenfeld soll ein „Al-Kaida-Verbindungsmann“ sein. Bei dem „Mann mit Bart“ soll es sich um einen deutschen Konvertiten handeln, der über Verbindungen zu „radikalislamischen“ Milizen in Somalia verfügt und der „dunkelhäutige Mann“ sei ein Mann aus der „islamistischen Szene“, ebenfalls mit Verbindungen zu Al-Kaida, heißt es in der Presse.

Ein vierter Verdächtiger wird als „Salafist der Islamistenszene“ bezeichnet. Die Durchsuchung der Wohnung dieses Verdächtigen erfolgte mit einem Dutzend Einsatzkräften des SEK, die mit Schutzmontur und Schutzschildern das Wohnhaus des Verdächtigen öffentlichkeitswirksam stürmten. Der Bonner hatte ihnen vorab freiwillig die Schlüssel seiner Wohnung übergeben mit der Bitte, nichts zu zerstören. Die Straße wurde für die Maßnahme durch das SEK gesperrt. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass sich der Verdacht nicht erhärten ließ.

An dem Beispiel dieses Mannes wird deutlich, zu welchen Konsequenzen diese Form der Kriminalisierung und Vorverurteilung führt. Vorab wurde darüber berichtet, dass bei der Hausdurchsuchung Amphetamine und Bargeld gefunden worden seien: Der Mann wurde des Drogenhandels verdächtigt. Die Amphetamine stellten sich jedoch später als handelsübliche Tabletten aus dem Supermarkt heraus. Seinen Arbeitsplatz hat der zuvor Tatverdächtige inzwischen verloren, der Druck auf den Arbeitgeber schien zu groß gewesen zu sein. Eine Entschuldigung der Behörden steht noch aus. Auch die Medien lassen bis auf eine einzelne Ausnahme eine Richtigstellung vermissen. Wie sich der Tatverdacht überhaupt begründen ließ, erkundigte sich der Anwalt. Eine Antwort wird er wohl nie erhalten. Der Ruf des Geächteten ist ruiniert.