Islam eingebürgert

Bremen unterschreibt Staatsvertrag mit Muslimen

Bremen unterschreibt Staatsvertrag mit den islamischen Religionsgemeinschaften. Damit gehört der Islam zu Bremen. Es bleiben aber offene Fragen – vor allem im Bereich der Finanzen. Da wird sich zeigen, wie ernst es die Beteiligten meinen.

Von Mittwoch, 16.01.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 01.12.2015, 9:27 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Nach der Hansestadt Hamburg unterschreibt ein zweiter Stadtstaat einen Vertrag mit den islamischen Religionsgemeinschaften. In Bremen und Bremerhaven sind von nun an islamische Feiertage, die Besetzung einiger öffentlich-rechtlicher Gremien, Bestattungsrituale oder der Bau von Moscheen vertraglich geregelt. Mit diesem Staatsvertrag gehört der Islam nun auch zu Bremen.

Zu den Unterzeichnern des Bremer Staatsvertrags gehören neben der Schura Bremen auch der Landesverband der islamischen Religionsgemeinschaften Niedersachsen und Bremen (DİTİB), unter dem erfolgreichen Vorsitzenden Yılmaz Kılıç aus Melle und der Verband der islamischen Kulturzentren (VIKZ). Alle Beteiligten, angefangen vom Bremer Senat über Kirchen, Moscheen und weiterer zivilgesellschaftlicher Organisationen, bewerten den Staatsvertrag als einen Meilenstein und wichtige Anerkennung der muslimischen Religionsgemeinschaften sowie ihrer langjährigen, ehrenamtlichen Arbeit.

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Den islamischen Religionsgemeinschaften ist es nun gesetzlich erlaubt, Moscheen mit Kuppeln und Minarette zu bauen, sofern diese sich mit den geltenden Baugesetzen vertragen. Außerdem bekennen sich beide Seiten ausdrücklich zur Gleichstellung von Mann und Frau. Dass dieser Punkt in dem Vertragstext ausdrückliche Erwähnung findet, weist auf eine offene Wunde in der Einwanderergesellschaft hin: Noch immer gibt es in den patriarchalischen Familienstrukturen nicht weniger Muslime, Araber und Türken Defizite bei der geschlechtlichen Gleichstellung. Dies hat aber im Gegensatz zur allgemeinen Auffassung in der Mehrheitsgesellschaft, keine Grundlage in der islamischen Religion. Patriarchalische Gesellschaftsstrukturen und geschlechtliche Diskriminierung haben vorislamische Zusammenhänge, die öffentlich auch klar benannt werden müssen. Kulturelle Eigenschaften mit pseudoreligiösen Merkmalen zu vermischen, bringt die Migrantencommunity nicht voran. Bei der Geschlechtergleichstellung müssen sich viele Muslime noch weiter anstrengen. Der kulturelle, soziale und wirtschaftliche Erfolg der muslimischen Frau sollte die Männer nicht irritieren.

In dem Bremer Vertragstext ist auch die Bestattung auf öffentlichen Friedhöfen, die Beteiligung in öffentlich-rechtlichen Institutionen, so beispielsweise in den Rundfunkräten, sowie die Achtung islamischer Speisevorschriften für die Bremer Muslime geregelt. Des Weiteren können sich die Muslime, zu denen auch die alevitischen Glaubensgeschwister fest dazugehören, an drei islamischen Feiertagen (Ramadan, Opferfest und Aschurafest) unbezahlten Urlaub nehmen und die Kinder vom Schulunterricht befreien lassen. Muslimische Schüler bekommen grundsätzlich frei an den Feiertagen und müssen nicht, wie früher, um Erlaubnis bei der Schulleitung fragen. Daneben müssen Betriebe ihrem Personal an diesen Tagen die Teilnahme an dem Gebet erlauben, falls seitens des Arbeitgebers keine ernst zu nehmenden Gründe dagegensprechen. Weitere wichtige Fragen, wie etwa der Schwimm- und Religionsunterricht oder die Speisevorschriften auf Klassenfahrten, finden in dem Staatsvertrag keine Erwähnung. Diese müssen aber ebenso schnell geklärt werden.

In Bremen und Bremerhaven leben etwa 50.000 Muslime. Diese bekommen durch den Vertrag zwar mehr Rechte aber auch mehr Pflichten im Alltag. Dennoch bedeutet dieser Staatsvertrag noch nicht die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Erst dadurch wäre es aber möglich, auf „Augenhöhe“ zu diskutieren, wie sie so oft von Integrationsexperten gefordert wird. Erst durch einen Körperschaftsstatus können wichtige Mitspracherechte und nötige Finanzmittel für eine qualitativ wertvolle Arbeit beansprucht werden.

Deshalb müssen die islamischen Religionsgemeinschaften auch ohne den Körperschaftsstatus mehr Finanzmittel bekommen, um die ehrenamtliche Arbeit zu professionalisieren und geeignete sowie dringend benötigte Fachkräfte einzustellen. Bei der Finanzmittelvergabe und der zukünftigen Einstellungspraxis des Landes Bremen wird sich herausstellen, ob sich Wohlfahrtsverbände, Kirchen und andere öffentlich-rechtliche und zivile Organisationen wirklich über diesen Staatsvertrag freuen und es ernst meinen oder ob dies nur eine Politik mit Symbolcharakter ist.

Man muss sich nichts vormachen: Es geht hier auch um die Verteilung von knappen Ressourcen. Wo Geld und Macht geteilt werden müssen, muss auch jeder zu Kompromissen bereit sein. Mit der Anerkennung der islamischen Religionsgemeinschaften und der Unterzeichnung des Staatsvertrags kommt ein weiterer „Spieler“ ins Feld, den die etablierten Kräfte als Konkurrenz ansehen könnten. Es ist zu hoffen, dass diese neue Situation zu neuen Kooperationen und gegenseitigem Nutzen führen wird. Ein Nutzen für die gesamte Gesellschaft. Eine „Win-win-Situation“, in der alle Seiten profitieren und keiner verliert. Aktuell Politik

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  1. Wesse sagt:

    Wer das zu verantworten hat, kennt weder den Islam, noch seine Ziele. Wer behauptet, Defizite in der geschlechtlichen Gleichstellung habe keine Grundlage im Islam, sollte Quran und Sunnah lesen.

  2. Nese Tüfekciler sagt:

    Wer behauptet, Defizite in der geschlechtlichen Gleichstellung haben keine Grundlage in einer Demokratie, der sollte sich nur die miserable Familien- und Frauenpolitik und die hohe Arbeitslosigkeit von Frauen und Müttern anschauen!

  3. Recorded sagt:

    „In Bremen und Bremerhaven leben etwa 50.000 Muslime. Diese bekommen durch den Vertrag zwar mehr Rechte aber auch mehr Pflichten im Alltag. “

    Mehr Pflichten ? Mußte man der isl. Community, den Verbänden die in Deutschland völlig unstrittige, und ges. festgeschriebene völlige Gleichstellung von Mann und Frau quasi „abkaufen“ ? Im Gegenzug zu anderen „Vorzügen“ wie Moschee- und Minarettbau ?

    Galt dies also bisher für die Verbände als nicht verpflichtend ?

    Es ist ungeheuerlich, was da geschieht.

    Auch in einem Artikel von Radio Bremen „fordert
    der Osnabrücker Islamwissenschaftler Bülent Ucar volle Gleichberechtigung für Muslime in Deutschland anlässlich der Unterzeichnung eines Vertrages zwischen dem Land Bremen und Muslimen.

    http://www.radiobremen.de/politik/nachrichten/politikbremenislamvertrag100.html

    Hier :
    “ Im Gegenzug verpflichten sich die muslimischen Verbände, im Grundgesetz festgelegte Werte wie die Gleichberechtigung der Geschlechter anzuerkennen.“

    Im Gegenzug ! Ein Basar-Feilschen um ein gesetzlich verbrieftes Recht
    für Frauen, das also bisher für die Verbände SO NICHT galt ???

    Man könnte zynisch sagen, der Bremer Senat hat, wenn man die Vereinbarung mal betrachtet, erin wirklich „schlechtes Geschäft“ gemacht.
    Zumal ( wie im MIGAZIN Artikel zu lesen ist) „weitere wichtige Fragen, wie etwa der Schwimm- und Religionsunterricht oder die Speisevorschriften auf Klassenfahrten, finden in dem Staatsvertrag keine Erwähnung.“

    Was wird der Bremer Senat den Verbänden dafür anbieten ? Den lautsprecher-verstärkten Muezzin-Ruf über das ges. Stadtgebiet ?

    Unfassbar diese Naivität. Ein Kuhhandel über bestehende Gesetzgebungen, die offensichtlich für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe bisher NICHT gelten.

    Auch den Ausführungen von @Wesse in Bezug auf den Islam ist voll zuzustimmen.

  4. Jörg Hahn sagt:

    Also ich denke, diese rassistisch gefärbten Kommentare , die den Staub des letzten Jahrhunderts tragen, braucht nun wirklich kein Mensch. Deutschland ist heute multiethnisch und multikulturell, eine bunte Gesellschaft– und nicht mehr die braun-graue Tristesse der 30er bis 50er Jahre! Wer das will sollte sich andere Staaten als Wohnort aussuchen. Und wer 4,5 Millionen Muslime in Deutschland ignoriert oder rechtlich ausklammern will, der betreibt Realitätsverkennung. Der Islam ist ein Teil Deutschlands und wird es immer mehr werden (nicht nur durch Einwanderung, sondern auch durch deutsche Konvertiten!!). Beschämend ist es im Gegenteil, dass nicht bezahlter Urlaub gegeben wird für die erwähnten Feiertage. Und ja warum sollte der Muezzinruf in Deutschland denn nicht ertönen?? Ist das Glockengeschepper der christlichen Kirchen etwa schöner? Der Ruf des Muezzins an einem lauen Sommerabend – wer koennte sich dieser Stimmung entziehen? Und bitte, bevor hier stammtischmässig über den Quran palavert wird.. erstmal den Quran lesen, und zwar ganz!!

  5. Pingback: Bremen: Staatsvertrag mit den Muslimen unterzeichnet « BlogIG – Migrationsblog der InitiativGruppe

  6. Lynx sagt:

    Immer wieder findet sich in den Kommentaren von nichtmuslimischen Lesern die Aufforderung, doch „erst einmal den Qur’ān (Koran) zu lesen“, bevor man den Muslimen irgendwelche Rechte zugesteht. Damit meinen sie vermutlich einige Stellen im Qur’ān, die ohne Kommentar und ohne den nötigen Hintergrund der qur’ānischen Ausdrucksweise zu Fehlinterpretationen führen, wie bspw. die Anweisung: „Tötet die Ungläubigen, wo immer ihr auf sie trefft“. Hierzu sei bemerkt, daß sich diese und ähnliche Stellen auf die arabischen Götzendiener der damaligen Zeit beziehen, die mit den Muslimen einen Waffenstillstand geschlossen und dann gebrochen hatten, also ausschließlich um einen Kriegszustand unter heute nicht mehr gegebenen Bedingungen, und nicht um Christen, Juden oder Angehörigen anderer Religionen, die mit den Muslimen in Frieden zusammenleben.
    Es ist daher zu bedauern, daß auch Qur’ān-Übersetzungen Verbreitung finden, in denen diese „gefährlichen“ Stellen überhaupt nicht oder nicht ausreichend kommentiert sind.
    Bezüglich der Gleichberechtigung der Frau hat in zahlreichen islamisch geprägten Ländern bereits ein Umdenken eingesetzt, was sich u. a. in der großen Zahl von Studentinnen, Akademikerinnen, Polizistinnen, Soldatinnen und anderen weiblichen Berufstätigen in Berufen zeigt, die bisher Männern vorbehalten waren, oder in Frauenquoten bei Wahlen.
    Anscheinend haben sich die Bremer Verantwortungsträger beim Abschluß ihres Vertrages mit den Muslimen nicht von den aus der Lektüre des Qur’āns möglicherweise entstehenden Mißverständnissen leiten lassen, sondern durch das in Jahrzehnten aufgebaute Vertrauen zu den Bremer Muslimen von deren Qur’ān-Interpretation.

  7. Werner sagt:

    Vertrag mit den Muslimen? Das wäre ja schön. Aber Unterzeichner sind laut Bericht neben der Stadt Bremen die DITIB und VIKZ! ZMD (Zentralrat der Muslime), Milli Görus und Aleviten, die noch an der Islamkonferenz teilnahmen, sind nicht vertreten.

    Und DITIB ist (leider) nur die Türkei – eine von Ankara kontrollierte Organisation, was wir leider in aller Deutlichkeit in Köln erleben müssen. DITIB steht für die Schaffung exterritorialer Gebiete in Deutschland.

    Ich reagiere etwas empfindlich, wenn gerade diese Organisation von Augenhöhe spricht. Da wird an allen Fronten „attackiert“ – über Staatsgäste aus der Türkei, über DITIB, über die türkischen Einwanderer … So kann das nicht weitergehen.

    Auch stößt sauer auf, dass hier gleich behauptet, es sei noch viel zu tun. „Zum Bespiel im Bereich der Finanzen“. Hier soll sich zeigen, wie ernst es die Beteiligten meinen!! Dieser Hinweis richtet sich wohl nicht an DITIB oder VKZ.

    Weiter irritiert, dass Aleviten als fester Bestandteil der Muslime gesehen wird. Schreibt hier auch DITIB? Wer behauptet das? Wer kann das behaupten? Die Aleviten in der Türkei (!) kämpfen für eine Anerkennung als eigenständige Religionsgemeinschaft. Wie kommt jemand in Deutschland dazu, so etwas zu behaupten?

    Vielleicht sollten die Einwohnermeldeämter selber Befragungen durchführen, von welcher islamischen Organisation unsere Muslime vertreten werden. Dem anmaßenden Auftreten der DITIB ist endlich Einhalt zu gebieten.

    Also, es ist ein Vertrag im wesentlichen zwischen Bremen und der Türkei (vertreten durch die Tarnorganisation DITIB) mit dem VKZ als Feigenblatt. So sehe ich das.

  8. Gero sagt:

    @ J. Hahn: …Und ja warum sollte der Muezzinruf in Deutschland denn nicht ertönen?? Ist das Glockengeschepper der christlichen Kirchen etwa schöner? Der Ruf des Muezzins an einem lauen Sommerabend – wer koennte sich dieser Stimmung entziehen?
    _____________

    Reine Geschmackfrage, lieber J. Hahn. Für mich ist Glockengeläut wie Balsam in den Ohren.

    Sie diffamieren mit Ihrer Sprache. Wundern sie sich also nicht, wenn andere dies ebenso tun…

    Gero

  9. A. Degner sagt:

    Jörg Hahn

    „Und ja warum sollte der Muezzinruf in Deutschland denn nicht ertönen?? Ist das Glockengeschepper der christlichen Kirchen etwa schöner?“

    Hierbei geht es ja nicht um schön oder nicht schön. Der Muezzin-Ruf ist auch eine politische Aussage, das Glockengeläut lediglich eine akustische Einladung zum Gebet. Und das ist durchaus ein Argument.

  10. Johann Hartmann sagt:

    „Patriarchalische Gesellschaftsstrukturen und geschlechtliche Diskriminierung haben vorislamische Zusammenhänge, die öffentlich auch klar benannt werden müssen.“

    Verlogene Argumente werden nicht wahrer, wenn sie, zum Ermüden oft, wiederholt werden. Die geschlechtliche Diskriminierung habe keine Ursache im Islam wird behauptet. Aber: wenn der Islam bei seinen Gläubigen eine so nachhaltige, lebenslange, generationsübergreifende ethische Wirkung in allen Lebenslagen ausübt, dann frage ich mich, wie es dieser Islam innerhalb von 1400 Jahren nicht fertig gebracht hat, diese archaischen Ansichten, die angeblich unislamisch sind, verschwinden zu lassen.