Partiziano

Eine Draghische Rolle

Wenn Flachköpfe und Dickschädel stumpfe Kegel aufsetzen, wird es Zeit, sich mit Wagenbach und Fuhrmann auf Achse zu machen, um der italienischen Tragödie samt sprechender Grille am Fuße des Schuldenberges etwas entgegenzusetzen und ihnen in Rom den Marsch zu blasen.

Eines meiner Lieblingsbücher an der Uni war die Poetik von Aristoteles, eine besondere Art der Anleitung zum Schreiben von Tragödien, Epos und Komödien. Die Übersetzung stammt vom legendären Altphilologen Manfred Fuhrmann, extra Ladung an sprachlichem Feingefühl und Akkuratesse beim Übersetzen inklusive. Eben eine zeit- und sinngemäße Übertragung einer Vorlesungsvorlage, die vor über 2300 Jahren entstand. Ich kann mich noch erinnern, wie ich mit zwei Kommilitoninnen im Hörsaal stand und versuchte, dieses Grundlagenbuch jedes Literaturwissenschaftlers in ein paar Folien zusammenzufassen: eleos, logos, phobos, katharsis und mimesis.

Das sind natürlich nicht die Namen der Kommilitoninnen, sondern Begriffe, mit denen man gut und gerne die damaligen Verhältnisse in der Mensa hätte beschreiben können: Jammer (eleos) und Schaudern (phobos) hervorgerufen durch schlecht gereinigtes Besteck (katharsis). Nachahmung (mimesis) der Handlung der anderen (Besteck unter den Tisch schmeißen und neues geben lassen) in logos (also in geformter Sprache): Mogu li imati novo jelo? Schließlich kamen die meisten Kassiererinnen der Mensa aus dem ehemaligen Jugoslawien. Und da ich meine Übertragungsfähigkeiten Deutsch-Serbokroatisch dem Google Translator überlassen musste, entstand dieser Satz.

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Apropos Übertragung, geformte Sprache und Essen auf Rädern: Irgendwie gelang es mir später nie, Manfred Fuhrmann und Klaus Wagenbach auseinander zu halten. Vielleicht, weil beide Vehikel der Sprache sind und sich dies in ihren Nachnamen manifestiert. Womöglich auch, weil beide Italien und ihrer Literatur sehr verbunden sind bzw. waren. Zugegeben, Manfred Fuhrmann Spezialgebiet war die eher etwas ältere „italienische“ Literatur – also beispielsweise die von Cicero. Klaus Wagenbach hingegen ist ein ausgewiesener Kenner der letteratura italiana der Gegenwart. Was aber verbindet Fuhrmann, Wagenbach, Cicero und Aristoteles miteinander und vor allem mit mir?

Natürlich der Schauder! Nicht vor ihren Texten, Übersetzungen und Büchern. Nein, vor der Expertise, die alle vier vorweisen. Nehmen wir Klaus Wagenbach: Seit über 50 Jahren bereist er Italien. Schon kurz nach Kriegsende war er dort mit seinem Fahrrad unterwegs. Und was er fand, waren Partisanen. Überall. Jeder einzelne, den er befragte, gehörte während des Krieges den eigenen Angaben zufolge der Resistenza italiana an. Keine Faschisten weit und breit. Alle vom Vesuv oder Ätna verschluckt oder im Olivenhain vergraben bzw. im Reisfeld ersoffen.

Nun aber weiß man ja mittlerweile, dass Vulkane keine Höllentore sind und doch hat man noch nicht gelernt, dem Himmel zu danken, dass zumindest viele Faschisten vom Erdboden verschluckt wurden. Leider tauchen sie aber immer wieder auf, weil jemand sie auf die Erde kotzt und vergisst, sauber zu machen. Also warten dumpfe Menschen in albernen Kostümen auf die Auferstehung des Duce in seinem Heimatort Predappio und vertreiben sich währenddessen die Zeit damit, den 90. Jahrestages des Marsches auf Rom zu feiern.

In Gang gesetzt hat dieses faschistische Revival unter anderem die Politik Silvio Berlusconis. Die Unverfrorenheit, mit welcher er und auch seine Vorgänger ihr Kabinett auf die parentale Art und Weise besetzten, treibt die Menschen gemeinsam mit der für Italiener unerträglich korrekten und technischen Regierung Montis auf die Palme.. pardon … auf den Gipfel des Schuldenbergs.Gerne würden sie il governo tecnico in die Wüste schicken.

Da genau kommt übrigens auch die lustige Kopfbedeckung der italienischen Faschisten her: Der Fes, Kopfbedeckung aus der gleichnamigen marokkanischen Stadt in Form eines Kegelstumpfes mit flachem Deckel und Quaste. Also bestens geeignet für Flachköpfe und Dickschädel. Und setzt man an Fes noch ein S (doppelte S passt ja bestens zu Faschisten) und ein O wie ottobre (also Oktober, als der Marsch auf Rom 1922 begann), hat man Fesso und das heißt so viel wie Idiot. Passt perfekt zu Mussolini, weil der sich zu einem solchen machte  und sich während des inszenierten Putsches in Mailand verkroch, um im Falle eines Scheiterns schnell mal Schweiz ohne Rückfahrt buchen zu können.

Nicht dumm, sondern intelligent und kühl-kalkulierend, löst Mario Monti sein Ticket aus dem Regierungspalast bereits jetzt, indem er seinen Rücktritt einreicht. Bühne frei für die Botox-Maske Berlusconi. Nein, sagte er in einem Interview, er habe das Amt zu keinem Zeitpunkt vermisst, aber die Situation Italiens fordere von ihm dieses Opfer der erneuten Kandidatur. Warum macht er es nicht der Bedeutung seines Vornamens gleich und verschwindet im Wald, am besten im menschenleeren Urwald mit natürlicher Dynamik ? Schließlich ist die Natur ja grausam und Grauenhaftes fällt dort nicht auf. Wer soll sich dem Silvio-Reloaded-Syndrom entgegenstellen? Gegen die Apokalypse hilft nur ein probates Gegenmittel. Und das erscheint genau dann, als ich mich im Klo verstecke, weil ich Angst habe, meinen eigenen TV-Auftritt im Fernsehen zu sehen.

Die Aufzeichnung eines WDR-Interviews mit mir über das MiGAZIN und mein Buch hat noch nicht begonnen und Dennis Gastmann bereist im WDR mit 80.000 Fragen Europa. Warum muss er unbedingt bei Beppe Grillo klingeln? Der ist ein aus dem italienischen Fernsehen verbannter Komiker, der mittlerweile ähnlich feudal wie Berlusconi residiert und mit seiner Bewegung 5 Stelle (M5S) jene italienische Politik rocken will, die er seit Jahren so vehement attackiert.

Doch mittlerweile scheint sich der ehemalige Schrecken der politischen Klasse nun selbst in ein solches populistisches und selbstgefälliges Monster zu verwandeln. Und wenn er nicht dasselbe Schicksal wie Pinocchios Grille erleidet (wird von Pinocchio erschlagen, begleitet ihn dann als Geist und Consiglieri und steht am Ende des Buches wieder von den Toten auf), wird er wohl der erste Internet-Präsident Italiens. Kein Bunga-Bunga-Berlusconi, sondern Balla-Balla -Beppe.

Sein Auftritt mit Dennis Gastmann ist in jedem Fall unterirdisch schlecht, Grillo vollkommen überdreht und ich fast schon wieder beruhigt: So schlecht wird man Erscheinen im TV auf jeden Fall nicht! Viel schwerer als mein leicht flatternder Magen wiegt aber die Tatsache, dass Beppe Grillo und seine Partei gewählt werden – von den Italienern. Als könnten sie es einfach nicht lassen, narzisstische Clowns an die Spitze des Staates zu wählen und die seriösen Macher den Löwen in der Arena vorzuwerfen.

Vorwürfe muss sich derweil auch Mario Draghi anhören, weil er Banken mit Strafzinsen droht, wenn diese ihr billig geliehenes Geld bei der EZB parken und nicht an Unternehmen verleihen. Außerdem geht die Angst um, dass er als EZB-Chef mit dem unbegrenzten Ankauf von Anleihen aus jenen Euro-Ländern, die unter dem Rettungsschirm schmoren, den Spekulanten den Boden entzieht.

Zudem ist der Achseln-Machtkampf zwischen Draghi und Weidmann nun so weit entwickelt, dass sie in nächster Zeit wohl nicht mehr a bracetto, also Arm in Arm,  die EZB-Zentrale verlassen werden. Vielmehr wird sich die Draghische Rolle immer weiter drehen. Denn, wie bereits Aristoteles in seiner Poetik bezüglich der Wichtigkeit der Handlung einer Tragödie sagte: „Denn die Tragödie ist nicht Nachahmung von Menschen, sondern von Handlung und Lebenswirklichkeit.“ Und egal, welcher Mensch gerade den Dreh nicht raus hat, am Ende zählt das, was Verwicklungen (aus)löst.