Bonn. Gleich mehrere spannende Referenten hatte die Evangelische Akademie im Rheinland angekündigt, vor allem durch die Vorträge von Frank W. Horst und Aladdin Sarhan hielt sie ihr Versprechen auch. Mit 70 Teilnehmern war die Veranstaltung nach Aussage der Gastgeber dementsprechend auch gut besucht. Wie aktuell die Tagung durch die Debatte um das Mohammed-Video „Unschuld der Muslime“ sein würde, ahnte die Akademie bei der Planung wohl noch nicht.
Dass der Veranstaltungsort mit Bonn exzellent gewählt war, zeigte sich auch schnell: Kein Vortrag kam ohne die Nennung der ehemals provisorischen Hauptstadt aus. „Insbesondere gemessen an der Größe der Stadt kann man von Bonn als Zentrum des Salafismus in Deutschland sprechen“, betonte Frank W. Horst vom Interdisciplinary Center Herzliya in Israel.
Bonn: Zentrum des Islamismus in Deutschland
„Was verspricht sich die ev. Kirche von dem Dunstkreis der Salafisten?“, lautete eine der ersten Fragen aus dem Auditorium. Die Antwort: „Aufklärung!“ Aufgeklärt wurde im Rahmen der zweitägigen Veranstaltung durchaus, wie hoch der Bedarf an Aufklärung zeigte sich aber auch. Vor allem im Rahmen der Podiumsdiskussion wurde deutlich, dass Thema „Salafismus“ in der Betrachtung vieler Menschen nur schwer von den Debatten Zuwanderung, Kriminalität und Muslime in Deutschland zu trennen ist.
Umfassend wurde auch die Begrifflichkeit „Salafist“ thematisiert. Der Eindruck, mit ihm hätte ein neues Synonym für „Islamist“ oder „islamischer Fundamentalist“ die Medienwelt erobert, erwies sich dabei als richtig. Denn, trotz der medialen, mittlerweile inflationären Nutzung dieses Titels für jeden konservativ gekleideten Muslim, ist die Realität nicht ganz so einfach. Dass die Einordnung dennoch taugt, beispielsweise im Falle eines Pierre Vogel, der die Bezeichnung für sich ablehnt, verdeutlichte Aladdin Sarhan, Islamwissenschaftler an der Universität Witten/Herdecke: „Der Begriff Salafist ist durchaus richtig. Unabhängig davon ob jemand sich selbst so nennen mag. Die Bezeichnung richtet sich nach den Handlungen, Aussagen und der Weltanschauung der entsprechenden Personen.“
Salafismus, ein Scheinriese
Die vielleicht wichtigste Einschätzung der Tagung lieferte ebenfalls Sarhan. „Der Salafismus ist – bei aller notwendigen Beschäftigung mit ihm – ein Scheinriese“. Viele in der Szene aktive, gerade junge Menschen seien sehr eloquent in der Verbreitung von hetzerischem Material im Internet, die Medienaufmerksamkeit, die Radikale genießen, trüge außerdem dazu bei, dass der Salafismus in Deutschland so deutlich wahrgenommen wird. Dennoch: „Die Strömung hat nicht so viele Anhänger, wie der Eindruck suggeriert“, so der Wissenschaftler.
Diese Aussage bestätige auch Elmar Theveßen. Der stellvertretende Chefredakteur des ZDF, der an der anschließenden Podiumsdiskussion teilnahm, stellte dazu fest: „Nach Schätzungen, gibt es in Deutschland ca. 3000 Salafisten. Davon sind einige gewaltbereit.“ (In der Bundesrepublik leben derzeit zwischen 3,8 und 4,3 Millionen Muslime.)
Auch auf die omnipräsente Debatte um eine Überfremdung ging der TV-Journalist deutlich ein: „Eine Islamisierung gibt es nicht, die Zuwanderung nach Deutschland ist rückläufig. Die Moscheen sind etwas größer als früher, aber es sind weniger, da sie nicht mehr in den Hinterhöfen stehen.“
Was an beiden Tagen auf der Strecke blieb, waren konkrete Lösungsansätze. Nicht, weil das Thema ausgespart wurde, sondern weil offenbar niemandem welche einfielen. Außer ehrlichen Beteuerungen zu noch mehr Kooperation und Offenheit, fehlten dazu sowohl Bekir Alboga von der DITIB in Köln, als auch Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats des Muslime in Deutschland die Ideen. Mazyek nahm zwar Bezug auf das Grundgesetz und seinen erster Artikel, der – so konnte man ihn verstehen – eine öffentliche Vorführung des Mohammed-Videos eigentlich verböte, zeigte sich ansonsten aber vor allem realistisch: „Man wird immer Extremisten haben. Abschaffen kann man sie nicht.“
Natürlich verlief die Tagung nicht ohne einige bedenkliche Eingebungen, beispielsweise über die „Objektivität“ von PI-News. Auffallender war aber das ehrliche Interesse der Teilnehmer, die größtenteils die Generation Ü60 vertraten, an Dialog mit und Interesse an der für viele weiterhin fremden Kultur.