Deutschland/Syrien

Debatte um Flüchtlinge

Immer mehr Menschen fliehen aus Syrien. Fast eine halbe Million Menschen sind inzwischen auf der Flucht. Hilfsorganisationen befürchten eine humanitäre Katastrophe. In Deutschland wird diskutiert – auch heute, am „Tag des Flüchtlings“.

Die Kämpfe zwischen den Aufständischen und den Regierungstruppen des Assad-Regimes haben sich weiter verschärft. Bislang sind mindestens 26.000 Zivilisten bei den Auseinandersetzungen ums Leben gekommen, 5.000 davon allein im August. Der August war laut den Vereinten Nationen der blutigste Monat seit Ausbruch des Konflikts. Die Zahl der Flüchtlinge erhöhte sich in den vergangenen Wochen dramatisch. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) hat bislang rund 235.000 Flüchtlinge registriert, die Syrien verlassen haben. Ziel dieser Menschen waren die Nachbarländer Türkei, Jordanien, Libanon und Irak, sagte eine UNHCR-Sprecherin Ende August. Hinzu kämen weitere 200.000 Binnenflüchtlinge.

Jordanien: Rund 70.000 syrische Flüchtlinge befinden sich insgesamt schon in Jordanien. Hinzu dürften Tausende weitere kommen, die sich bislang nicht registrieren ließen. Die jordanische Regierung will offenbar Flüchtlinge nach Syrien zurückschieben, die sich über die Bedingungen ihrer Unterbringung beschwert hatten. Internationale Hilfsorganisationen wie der Rote Halbmond befürchten angesichts der Versorgungslage eine humanitäre Katastrophe. Von einem weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen sei auszugehen: „Wir glauben, dass dies der Beginn eines bedeutenden, noch viel größeren Zustroms nach Jordanien sein könnte“, sagte die UNHCR-Sprecherin. Tausend weitere Flüchtlinge seien wegen der anhaltenden Kämpfe an der syrisch-jordanischen Grenze bereits in Wartestellung.

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Türkei: Laut UNHCR kamen ab Mitte August bis zu 5.000 Flüchtlinge täglich in der Türkei an. Insgesamt befinden sich dort zur Zeit über 80.000 syrische Flüchtlinge, die meisten von ihnen leben in neun verschiedenen Zeltsiedlungen nahe der Grenze. Die Regierung lässt bereits weitere Aufnahmelager bauen. Zwischenzeitlich hatte die Türkei ihre Grenzen zu Syrien sogar geschlossen, um den Flüchtlingsstrom etwas zu drosseln.

Sicherheitszone: Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu (AKP, islamisch-konservativ) forderte Ende August den UN-Sicherheitsrat auf, die Einrichtung einer Sicherheitszone für Flüchtlinge voranzutreiben. Mit einer solchen Sicherheitszone würden grenznahe Gebiete ausgewiesen, in denen keine Kämpfe stattfinden dürfen. Die Anrainerstaaten und viele Staaten der Arabischen Liga befürworten eine solche Sicherheitszone. Syriens Präsident Baschar al-Assad (Baath-Partei) lehnt sie jedoch ab. Die internationale Gemeinschaft ist indes ratlos, wie man die Gewalt in Syrien beenden könnte. Bislang scheitern weitere Sanktionen gegen das Assad-Regime an der Blockadehaltung von Russland und China im UN-Sicherheitsrat.

Aufnahme in Deutschland: In der Bundesrepublik entwickelte sich im August eine politische Debatte über die Aufnahme syrischer Flüchtlinge, wobei es in allen Parteien Befürworter gab. Der Fraktionsvorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion Volker Kauder sagte, es müsse an einem Aufnahmeprogramm für syrische Flüchtlinge gearbeitet werden. Auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Maria Böhmer (CDU) schlossen dies nicht aus. Philipp Mißfelder (CDU) plädierte dafür, vor allem christliche Flüchtlinge ins Land zu lassen. Deutschland hat seit Ende 2008 bereits rund 2.500 Christen aus dem Irak aufgenommen. Auch Vertreter von FDP, SPD, Linken und Bündnis 90/Die Grünen befürworteten eine Aufnahme. Die außenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen Kerstin Müller sagte: „Deutschland sollte angesichts der dramatischen humanitären Lage auch anbieten, selbst Menschen aus Syrien aufzunehmen, um die Anrainerstaaten zu entlasten.“

Trotz der breiten Zustimmung haben die Bundesregierung und der zuständige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bislang keine Aufnahme von syrischen Flüchtlingen beschlossen. Auch gibt es keine konkreten Pläne hierfür. Es könne hier keinen deutschen Alleingang geben, so ein Regierungssprecher. Es sei wichtiger, den Flüchtlingen zunächst vor Ort zu helfen. Hierfür hat die Bundesregierung bereits 22 Mio. Euro bereitgestellt. Davon werden vor allem Nahrungsmittel, die Wasserversorgung und medizinische Hilfe für die Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens finanziert. Diese Mittel könnten bald aufgestockt werden, wie Außenminister Westerwelle ankündigte.

Asylbewerber: In den ersten sechs Monaten des Jahres 2012 stellten nach Angaben des Bundesinnenministeriums 1.623 syrische Flüchtlinge in Deutschland einen Asylantrag. Ihre Chancen auf eine Anerkennung als Flüchtlinge stehen gut, die Anerkennungsquote liegt derzeit bei 94,5 %. Zudem leben mehr als 3.400 Syrer mit einer Duldung in der Bundesrepublik. Sie waren größtenteils vor Ausbruch des Bürgerkriegs aus Syrien geflohen. Die Innenministerkonferenz beschloss bereits am 1. Juni eine halbjährige Verlängerung des Abschiebestopps für diese Personengruppe. Pro Asyl fordert vehement die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen statt der bisherigen Duldungen.

Schwierig ist auch die Lage von rund 2.000 syrischen Studierenden in Deutschland, weil keine Geldtransaktionen mehr aus ihrem Herkunftsland möglich sind. Den Studierenden müsse ebenfalls schnell und unbürokratisch mit finanzieller Unterstützung geholfen werden, sagte der Geschäftsführer von Pro Asyl Günter Burkhardt. (chw)