Anti-Islam-Film

Barmherzigkeit für alle Welten

In einem Gastbeitrag plädiert Publizistin Khola Maryam Hübsch dafür, muslimischen Fanatikern nicht auf den Leim zu gehen. Die Trennlinie, sagt sie, verläuft schon längst nicht mehr zwischen Gläubigen und Nicht-Gläubigen, sondern zwischen vernünftigen Humanisten und totalitär denkenden Radikalen.

Proteste gegen das Mohammed-Video eines Amerikaners in Malaysia: Proteste gegen das Mohammed-Video eines Amerikaners in Malaysia: „Die Freiheit der Meinung schließt nicht die Verbreitung von Hass-Botschaften ein“, steht auf Transparenten muslimischer Demonstranten. Foto: afpBrennende Flaggen, eine wütende Masse, die Parolen skandierend vor amerikanische Einrichtungen pöbelt und immer wieder beleidigte Muslime – diese Bilder aktivieren mittlerweile automatisch das Schema eines gewaltbereiten Islam, der keine Toleranz kennt. Sie gehen wieder um die Welt und suggerieren, die gesamte muslimische Welt sei in Aufruhr wegen eines Schmähfilms über den Propheten.

Den wenigsten dürfte bewusst sein, dass es sich trotz der Übermacht an Bildern nur um einen kleinen Ausschnitt einer komplexen Realität handelt. Die Bilder zeigen eine Minderheit von aufgestachelten Radikalen, nicht aber die Mehrheit der vernünftigen Muslime, die Gewalt ablehnt. Besonders grotesk ist, dass der Mob, der nun meint, die Ehre des Propheten im Namen des Islams verteidigen zu müssen, sich völlig entgegen der Lehre dieses Propheten verhält.

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Verspottet und beleidigt
Der Prophet Muhammad wurde so wie alle Propheten sein Leben lang verspottet, beleidigt und verfolgt. Es gibt unzählige Koranverse und Überlieferungen, die die Gläubigen immer wieder zur Geduld und Besonnenheit ermahnen, so heißt es etwa im Koran: „Wehre das Böse mit dem ab, was das Beste ist. Und siehe, der zwischen dem und dir Feindschaft war, wird wie ein warmer Freund werden“ (41:35).

Doch wie kommt es, dass es Muslime sind, die auf die Beleidigung ihrer Religion so empfindlich reagieren, und nicht etwa Christen? Sicherlich hat Religion in der sogenannten islamischen Welt einen anderen Stellenwert als im säkularen Europa. Viele Menschen lieben den Propheten des Islams mehr als ihre eigenen Eltern und Kinder. Er gilt als „Barmherzigkeit für alle Welten“, wie es im Koran heißt, als Mensch mit den höchsten moralischen Eigenschaften.

Muslime demonstrieren auch, wenn andere Propheten, wie Abraham, Noah, Moses oder Jesus, die für sie ebenfalls heilig sind, verunglimpft werden. Der Koran ermahnt Muslime, das Heilige anderer zu achten, es wird jedoch an keiner Stelle eine weltliche Strafe für Blasphemie erwähnt. Dennoch reagiert ein extremistischer Mob mit Gewalt. Die Ursache dafür ist jedoch nicht der Islam, sondern komplexe soziale und politische Rahmenbedingungen, die dazu führen, dass Scharfmacher jede Gelegenheit ausschlachten, um sich wichtig zu machen und von außen- oder innenpolitischen Problemen abzulenken. Fundamentalisten wie Salafisten oder die Hisbollah haben in den letzten Monaten an Einfluss verloren. Das Schmähvideo bietet einen willkommenen Anlass, sich in den Mittelpunkt zu rücken.

Ebenso hatte das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“, das jüngst auflagenstark neue Muhammad-Karikaturen druckte, in den vergangenen Jahren an Ansehen und Auflage eingebüßt, finanzielle Schwierigkeiten waren die Folge. Scharfmacher auf beiden Seiten bilden somit eine unheilige Allianz, in dem sie sich gegenseitig den Ball zuwerfen. Sie brauchen einander im Kampf um Einfluss, Aufmerksamkeit und nicht zuletzt aus marktwirtschaftlichem Kalkül heraus. Und das ist die große Gemeinsamkeit der Unfriedenstifter auf beiden Seiten: Während die radikalen Islamisten vorgeben, den Islam zu verteidigen, treten sie fundamental islamische Werte mit den Füßen und instrumentalisieren die Religion, um ihre eigenen egoistischen Interessen zu bedienen.

Während die radikalen Anti-Islamhetzer vorgeben, die Meinungsfreiheit zu verteidigen, nehmen sie es in Kauf, das Heiligste anderer Menschen zu beleidigen, um mit diesem billigen Marketingtrick Auflagen zu steigern, und konterkarieren damit die ursprüngliche Idee der Meinungsfreiheit. Denn welchen Zweck sollte der Abdruck provokanter Karikaturen und die Verbreitung geschmackloser Filme sonst haben? Ginge es um eine fundierte Kritik, wäre eine inhaltliche, konstruktive Auseinandersetzung zielführender als zusätzliches Öl ins Feuer zu gießen. Presse-, Kunst- und Meinungsfreiheit sind nicht in einem sinnfreien Raum entstanden. Die ursprüngliche Idee hinter der Stärkung des Individuums im Zuge der Aufklärung war die humanistische Idee, dass alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und Religion das Recht auf ein selbstbestimmtest, freies Leben haben müssen. Es ging darum, die Würde des Menschen und sein Recht auf ein integres Leben zu schützen.

Wenn genau diese Meinungsfreiheit dazu missbraucht wird, die Würde anderer Menschen zu verletzen und den öffentlichen Frieden zu gefährden, dann führt das die ursprüngliche Idee ad absurdum. Wir dürfen nicht vergessen, dass Muslime ihren Propheten derart lieben, dass seine Schmähung einer persönlichen Beleidigung gleichkommt.

Natürlich rechtfertigt dies nicht die gewaltsame Reaktion fanatischer Islamisten. Ideen widerlegt man nicht dadurch, dass man ihre Urheber tötet. Aber es ist falsch, wenn wir den Fanatikern auf beiden Seiten auf den Leim gehen, die sich zu Helden in einem vorgeblichen Kulturkampf stilisieren, den sie selbst inszeniert haben. Es geht nicht um einen Kampf der Kulturen. Die Trennlinie verläuft schon längst nicht mehr zwischen Gläubigen und Nicht-Gläubigen, sondern zwischen vernünftigen Humanisten und totalitär denkenden Radikalen.

Herablassender Ton
Es gibt auch die antireligiösen Fanatiker, die Säkularfundamentlisten, die vergessen haben, dass es eine wichtige Erkenntnis der Aufklärung ist, seine eigene begrenzte Sicht der Dinge in Frage zu stellen und zu relativieren. Der paternalistisch herablassende Ton, der nun wieder einmal die Debatte prägt, spielt den Spaltern in die Hände. Es gehörte schon immer zum anti-muslimischen Ressentiment, den Islam als irrational und unaufgeklärt zu stigmatisieren, um sich vor dieser Negativfolie seiner eigenen Überlegenheit zu versichern.

Wenn wir auf das Feindbild, das die Islamisten vom Westen pflegen mit dem Feindbild Islam antworten, waren die radikalen Agitatoren auf beiden Seiten erfolgreich. Im Koran heißt es dazu: „O die ihr glaubt! Lasset nicht ein Volk über das andere spotten, vielleicht sind diese besser als jene“. Und es heißt auch – und das wird sowohl von den Islamhetzern, als auch von den Islamisten häufig vergessen –: „Und hätte dein Herr Seinen Willen erzwungen, wahrlich, alle, die auf der Erde sind, würden geglaubt haben insgesamt. Willst du also die Menschen dazu zwingen, dass sie Gläubige werden?“ (Sure 10:100).

Der Friede wird deshalb nicht durch einen intoleranten Islam gefährdet, sondern durch den Egoismus von Menschen, die meinen Gott spielen zu müssen, weil ihnen die demütige Einsicht über die menschliche Begrenztheit abhandengekommen ist.