Österreichische Befindlichkeiten

Israelisches Kunstprojekt will Image-Kampagne über europäische Muslime

In Graz findet im Rahmen der Kunstaktionstage „steirischer herbst“ dieser Tage eine Gala zur Vorstellung des Kunstprojekts „Rebranding European Muslims“ statt. Die Ausrichtung des Projekts regt zum Hinterfragen an.

Am 28.9.2012 wird in Graz im Rahmen der Kunstaktion „steirischer herbst“ eine große Gala vom Stapel gelassen. Sie soll das Projekt „Rebranding European Muslims“ der israelischen Künstlergruppe „public movement“ vorstellen und wohl auch finanziell ausstatten. Ein großflächiges Plakat – es wurde in Berlin/Auguststrasse und jetzt in Graz/Lendplatz angebracht – wirbt für das Projekt. Auf ihm ist ein bärtiger Mann in Lederjacke zu sehen, der seine Hände nach islamischer Art zum Bittgebet erhebt. Darunter steht: „Der Ansatz für Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert“, eine Aussage der deutschen Bundeskanzlerin Merkel. Dana Yahalomi, Leiterin des Projekts dazu: Wir sollten ihr die Hände schütteln, und danke sagen, für was, was wir schon wussten.

Mit diesem „branding-Auftakt“ will Dana Yahalomi anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums der Anerkennung des Islams als offizielle Religion in Österreich eine Auseinandersetzung mit der Situation der Muslime in Europa anregen. Dazu wurden von ihr drei PR-Agenturen- bzw. Strategen ausgewählt, über deren Standorte es unterschiedliche Auskünfte im Internet gibt. Bei der Gala sollen die Vorschläge für die „branding Kampagne“ der drei bislang unbekannten Agenturen vorgestellt werden und durch Publikumsabstimmung die „Siegeridee“ ermittelt werden, mit der Yahalomi dann weiterarbeiten will. Wie, in welcher Form, hält sich die Künstlerin offen.

___STEADY_PAYWALL___

Man will eine Debatte inszenieren, sagt Yahalomi. Doch was soll damit erreicht werden? Einerseits liest man: damit Europa die Integration von Muslimen anerkennt, andererseits, dass die verschiedenen Definitionen Anregungen bekommen, um die Positionen zu erweitern, die wir haben. Wer ist hier mit „wir“ gemeint? Welche Anregungen, wenn verschiedene Aussagen (und welche?) einfach hingestellt werden, sodass dich jede/r erst recht bestätigt fühlen kann, in dem was er/sie sowieso denkt? Sie sei nämlich, so sagt sie gegenüber der österreichischen Tageszeitung der Standard, nicht daran interessiert, einen Konsens zu kreieren – Ziel sei, die agonistischen Beziehungen auf die Bühne zu bringen und im Mittelpunkt stehen zu lassen, ohne jemanden abzuweisen.

Es ist zu befürchten, dass damit auch die Positionen der rechtsgerichteten Freiheitlichen Partei gemeint sind, mit denen sich Yahalomi auch getroffen hat, um ihre Meinungen einzuholen, um ihre Ängste zu verstehen, wie sie sagt. Welche Ängste bitteschön? Muezzin statt Pummerin 1 oder Daham 2 statt Islam?

Welche weiteren großflächigen Plakatentwürfe sind mit so einem Zugang zu erwarten?

Branding ist ein Ausdruck aus dem Marketing-Repertoire der Werbewirtschaft, mit dem Images, und eben „Marken“ produziert werden. Auch Staaten bedienen sich solcher PR-Strategien. Die Frage ist, ob EU-BürgerInnen Bestätigungen und Wiederholungen von Vor- und Urteilen im Umgang mit MuslimInnen, die derzeit in medialen und politischen Diskursen kursieren, wirklich brauchen, um zu einer Identität zu kommen, die die MuslimInnen miteinschließt – wieder eine Position, die public movement gemäß Aussage ihrer Leiterin etablieren will.

Abseits der widersprüchlichen Aussagen zu Sinn, Zweck und Ausrichtung dieses Projekts lässt sie mit der Ankündigung aufhorchen, wer als Moderator bei der großen Gala auftreten soll. Yahalomi hat dafür den israelischen Diplomaten und ehemaligen Botschafter Israels in Deutschland, Avi Primor ausgewählt. Damit ist die offenkundige Frage auf dem Tisch: Was hat ein israelischer Diplomat mit den europäischen Muslimen zu tun?

Dana Yahalomi hat eine Antwort: Er sei der perfekte Repräsentant, wegen seiner Arbeit auf dem meeting-point zwischen Europa und dem Mittleren Osten. Nun bleibt offen, was mit meeting-point gemeint ist. Sollte damit Israel gemeint sein, stellt sich zuerst die große Frage nach dem Verhältnis Israels zu den Muslimen und muslimischen Gemeinschaften in Israel/Palästina selbst; – ein Verhältnis, das angesichts der Apartheid Politik Israels, gekennzeichnet ist durch Gewalt, Vertreibung, Menschenrechtsverletzungen. Man denke an die fortgesetzte Siedlungspolitik mit ihrem permanenten Landraub an den PalästinenserInnen, den Sperrwall, die Zerstörung ganzer arabischer Stadtviertel in Ost-Jerusalem, den Bau eines „Toleranz-Museums“ direkt auf einem muslimischen Friedhof, die Blockade und Aushungerung der Bevölkerung in Gaza.

Interessierte wissen, dass Ostjerusalem in der besetzten Westbank liegt, dass in Ostjerusalem die drittheiligste Stätte des Islam, die berühmte Al-Aqsa Moschee liegt. Der israelische Regierungschef Netanjahu hat verkündet, dass ganz Jerusalem, West- und Ost, Hauptstadt eines jüdischen Staates sein soll. Damit wiederholte er die israelische Proklamation Jerusalems zur „ewigen und unteilbaren“ Hauptstadt Israels von 1980, welche von der UNO-Vollversammlung mehrmals für illegal und „null und nichtig“ erklärt worden war. Auch die EU will keinen Status Jerusalems anerkennen, der nicht in direkten Verhandlungen zwischen israelischer und palästinensischer Seite festgelegt worden ist.

Avi Primor, als Stellvertreter Israels, soll also der richtige Mann sein, um das Verhältnis europäischer Muslime in Graz zu moderieren? Ein Mann, der sich – im Einklang mit der israelischen Regierung – gegen die Anerkennung eines palästinensischen Staates bei der UNO ausspricht.

Muss man sich angesichts dessen nicht vielmehr fragen, ob der steirische herbst in der „Menschenrechtshauptsstadt Graz“ hier Repräsentanten eines völker- und menschenrechtsverletzenden Staates ein Forum zur Selbstdarstellung bietet, zum eigenen „branding“ also, und zwar auf dem Rücken der Muslime in Europa?

Es bleibt zu hoffen, dass EU-ParlamentarierInnen und andere, die offenbar über den steirischen herbst zu einer weiteren Finanzierung der Kampagne gewonnen werden sollen, bessere Möglichkeiten finden, zivilgesellschaftliche Debatten zu fördern – solche, die ohne Kulturalisierungsklischees auskommen, partizipativ und mainstreamkritisch sind, vielfältig und parteiisch gegen Rechts.

Dafür lohnt es sich, einen Blick auf die Homepage dieser KünstlerInnengruppe zu werfen: www.gods-entertainment.org

  1. Name der Glocke im Stephansdom/Wien
  2. Dialektform für „daheim“