CDU/CSU gescheitert

Regierung muss Sprachhürden beim Ehegattennachzug kippen

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Regelung der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug korrigiert. Jetzt ist ist die Bundesregierung an der Reihe, schreibt Sevim Dağdelen. Das ausländerrechtliche Projekt von CDU/CSU sei „im Kern“ gescheitert.

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 4. September 2012 zu den Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug muss nach meiner Ansicht zwangsläufig zu der Forderung führen, diese gesetzliche Hürde endlich in Gänze zurückzunehmen. Mit der vom BVerwG vorgeschriebenen Zumutbarkeitsprüfung beim Ehegattennachzug zu Deutschen ist das maßgebliche ausländerrechtliche Projekt von CDU/CSU der letzten Jahre im Kern gescheitert.

Auch wenn die SPD inzwischen in der Opposition ihre Haltung geändert hat, verhalf sie im Jahr 2007 einer offenkundig menschenrechtswidrigen Beschränkung des Rechts auf Familienzusammenleben zur Geltung. Das Menschenrecht auf Familienzusammenleben wurde unter den Vorbehalt deutscher Sprachkenntnisse gestellt und damit indirekt von der sozialen Herkunft, dem Vermögen, dem Bildungs- und Familienstand und dem Alter der Betroffenen abhängig gemacht. Zwar ist es Menschen auch im Ausland möglich, einfache deutsche Sprachkenntnisse in einem überschaubaren Zeitraum zu erwerben – wenn sie zum Beispiel Zugang zu einem Sprachkurs des Goethe-Instituts haben und sich diesen auch leisten können, wenn sie nicht Vollzeit arbeiten und / oder sich um kleine Kinder kümmern müssen, wenn sie alphabetisiert und einigermaßen sprach- und lernbegabt sind. Dies ist aber gerade nicht der Regelfall, wie alleine der Umstand zeigt, dass weltweit mehr als drei Viertel aller Prüfungsteilnehmenden zuvor keinen Sprachkurs eines Goethe-Instituts besuchen konnten. Für unzählige Betroffene ist deshalb der Zwang zum Spracherwerb und –nachweis bereits im Ausland eine nur schwer oder sogar unüberwindbare Hürde und pure Schikane.

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Das Urteil des BVerwG ist für die betroffene Personengruppe deshalb durchaus eine Erleichterung. Zu kritisieren bleibt aber, dass das Bundesverwaltungsgericht die Regelung der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug nicht gänzlich gekippt hat.

„Art. 6 GG ist bekanntlich kein ‚Deutschen-Recht‘, und so frage ich mich, wieso das BVerwG der Auffassung ist, dass bei hier langjährig lebenden Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit ein solcher ’schonender Ausgleich‘ nicht erforderlich sein soll, um der Schutzverpflichtung nach Art. 6 GG nachzukommen.“

Dies hätte sich schon aus Gründen der Gleichbehandlung aufgedrängt, denn die unterschiedlichen Regelungen beim Ehegattennachzug werden immer unüberschaubarer und sind überdies kaum noch nachzuvollziehen. So ist ein Deutsch-Test im Ausland nicht erforderlich, wenn der Nachzug zu hier lebenden Unionsbürgerinnen und –bürgern stattfindet. Wenn der Nachzug zu Staatsangehörigen der Länder USA, Neuseeland, Australien, Israel, Japan, Kanada und die Republik Korea erfolgen soll, ist wiederum grundsätzlich kein Deutsch-Nachweis zu erbringen – die Staatsangehörigkeit der nachzugswilligen Person spielt dabei ausdrücklich keine Rolle. Bei einem Nachzug zu Deutschen ist dagegen weiterhin grundsätzlich der Deutsch-Nachweis im Ausland zu erbringen. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Sprachkenntnisse nicht innerhalb eines Jahres in zumutbarer Weise erworben werden können. Diese höchst auslegungsbedürftige Minimalvorgabe des BVerwG wird absehbar zu unzähligen Rechtsstreitverfahren und weiteren Härtefällen führen, denn die Behörden werden diese Ausnahme wie gewöhnlich höchst restriktiv handhaben. Beim Nachzug zu Selbständigen, Forschern und Hochqualifizierten ist genau so wenig ein Nachweis erforderlich wie bei „erkennbar geringem Integrationsbedarf“ – was auch immer dies bedeuten mag. Berücksichtigung finden auch Erkrankungen und Behinderungen, sofern sie einem Spracherwerb dauerhaft entgegen stehen; allerdings auch nur dann. Für Analphabetismus, Lernschwächen, hohes Alter und Gebrechlichkeit, die Betreuung kleiner Kinder usw. gilt das hingegen nicht.

Die obengenannte Privilegierung bestimmter Länder kann nicht mit engen wirtschaftlichen Beziehungen erklärt werden, weil das Handelsvolumen Deutschlands beispielsweise mit der Türkei oder Russland weitaus größer ist als bei zumindest einigen der genannten Länder. Immer wieder muss betont werden, dass auf die größte Gruppe beim Familiennachzug nach Deutschland, den türkischen Staatsangehörigen, die Regelung der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug wegen des EWG-Türkei-Assoziationsrechts eigentlich ohnehin nicht anwendbar ist. Das aber leugnet die Bundesregierung nach wie vor; ganz im Gegensatz zu Österreich und den Niederlanden.

„Schließlich hätte das BVerwG die Regelung mit Verweis auf die Unvereinbarkeit mit Europarecht kippen können bzw. müssen. Denn sowohl mit der EU-Familienzusammen- führungs-Richtlinie als auch mit der EU-Grundrechte-Charta ist eine Vorschrift unvereinbar, die das Zusammenleben von Ehegatten derart massiv behindert und erschwert.“

Die vom BVerwG für Deutsche ersonnene Ausnahmeregelung ist noch in anderer Beziehung unbefriedigend und ungenügend. In der Pressemitteilung heißt es (auf die genaue Begründung darf man gespannt sein), dass der Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Grundgesetz (GG) zu einem „schonenden Ausgleich“ von „öffentlichen Interessen mit dem privaten Interesse der Betroffenen an einem ehelichen und familiären Zusammenleben im Bundesgebiet“ verpflichte. Art. 6 GG ist bekanntlich kein „Deutschen-Recht“, und so frage ich mich, wieso das BVerwG der Auffassung ist, dass bei hier langjährig lebenden Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit ein solcher „schonender Ausgleich“ nicht erforderlich sein soll, um der Schutzverpflichtung nach Art. 6 GG nachzukommen. Denn erinnern wir uns: Im skandalösen ersten Urteil zu den Sprachanforderungen vom März 2010 hatte das BVerwG es für zumutbar erachtet, einem hier mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis und festem Einkommen lebenden Ausländer die dauerhafte Ausreise anzutragen, d.h. seine gesamte bisherige Existenz aufzugeben, um mit seiner Frau und den Kindern im Ausland zusammenleben zu können, wenn es der Frau unverschuldet (!) nicht möglich sei, die geforderten Deutsch-Sprachkenntnisse zu erwerben. Von einer Grundrechtegeltung und Verhältnismäßigkeitsprüfung wollte das BVerwG im Umgang mit ausländischen Staatsangehörigen damals (wie heute) nichts wissen – und das ist inakzeptabel.

Schließlich hätte das BVerwG die Regelung mit Verweis auf die Unvereinbarkeit mit Europarecht kippen können bzw. müssen. Denn sowohl mit der EU-Familienzusammenführungs-Richtlinie als auch mit der EU-Grundrechte-Charta ist eine Vorschrift unvereinbar, die – statt die Familienzusammenführung zu fördern, wie es der ausgewiesene Zweck des EU-Rechts in diesem Bereich ist –, das Zusammenleben von Ehegatten derart massiv behindert und erschwert. Erst im letzten Jahr musste das Gericht angesichts einer eindeutigen Stellungnahme der EU-Kommission gegenüber dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einräumen, dass seine ursprüngliche Einschätzung, die Sprachanforderungen seien offenkundig mit EU-Recht vereinbar, falsch war. Es kann meines Erachtens gar kein Zweifel daran bestehen, dass der EuGH die starre deutsche Regelung als unionsrechtswidrig kassieren wird, wenn es denn einmal die Gelegenheit erhält, hierüber anhand eines Einzelfalls zu entscheiden.

„Immer wieder muss betont werden, dass auf die größte Gruppe beim Familiennachzug nach Deutschland, den türkischen Staatsangehörigen, die Regelung der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug wegen des EWG-Türkei-Assoziationsrechts eigentlich ohnehin nicht anwendbar ist. Das aber leugnet die Bundesregierung nach wie vor; ganz im Gegensatz zu Österreich und den Niederlanden.“

Oft übersehen wird, offenbar auch vom BVerwG, dass die EU-Familienzusammenführungs- richtlinie Drittstaatsangehörigen unter den genannten Bedingungen einen unmittelbaren subjektiven Rechtsanspruch auf Einreise und Aufenthalt gewährt. Die vom BVerwG für zumutbar gehaltene Variante einer dauerhaften Einreiseverweigerung für Ehegatten mit der Begründung unzureichender Sprachkenntnisse verstößt so offenkundig gegen die Inhalte und Zielrichtung der Richtlinie, dass ich keinerlei juristische Rechtfertigung für eine solche Einschätzung sehe. Zwar ist die EU-Richtlinie beim Familiennachzug zu Deutschen zunächst gar nicht anwendbar, weil sie nur Drittstaatsangehörige betrifft. Allerdings wird sie indirekt dadurch relevant, dass im Aufenthaltsgesetz bei der Nachzugsregelung zu Deutschen auf die Regelung für Nicht-Deutsche verwiesen wird. Schließlich wäre aber auch eine schlechtere Behandlung von Deutschen gegenüber Drittstaatsangehörigen mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbar, so dass bei einem Verstoß gegen das EU-Recht die gesamte Regelung obsolet wäre.

CDU/CSU haben bislang immer erklärt, dass eine allgemeine Härtefallklausel nicht eingeführt werden könne, weil hierdurch die Regelung im Kern außer Kraft gesetzt würde – was insofern richtig ist, weil sich genau diejenigen, deren Einreise sie verhindern oder erschweren wollen, auf eine solche Ausnahmeregelung berufen könnten (Analphabetinnen und Analphabeten, Bildungsbenachteiligte, sozial Ausgegrenzte usw.). Das Bundesverwaltungsgericht hat eine solche Härtefallregelung und Verhältnismäßigkeitsprüfung beim Nachzug zu Deutschen nun angeordnet. Da etwa die Hälfte der hier lebenden Migrantinnen und Migranten die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, steht fest, dass das von der damaligen Großen Koalition in Gange gesetzte Projekt einer sozialen Selektion beim Ehegattennachzug faktisch gescheitert ist. Die Bundesregierung sollte die noch verbliebenen gesetzlichen Hürden im Interesse der Menschen endlich schnellstmöglich abschaffen, bevor es der EuGH tut. Erforderlich ist eine grundlegende Abkehr von einer auf rechtspopulistische Vorurteile, Ausgrenzung und Zwang setzenden Politik. Es muss Schluss damit sein, Migrantinnen und Migranten pauschal zu unterstellen, sie wollten sich nicht integrieren, weshalb es angeblich legitim sei, die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften immer weiter zu verschärfen und diese einem immer engerem System der Sprach- und Integrationskontrolle zu unterwerfen.

Tipp: Nachrichten, Hintergrundberichte und Meinungen zum Thema finden im MiGAZIN-Dossier Ehegattennachzug.

Übrigens: Nach dem insofern eindeutigen Wortlaut der Pressemitteilung des BVerwG wurde nebenbei – ob bewusst oder nicht – eine andere menschen- und verfassungswidrige Regelung gekippt, die von der LINKEN seit jeher scharf kritisiert wird. Es gibt für Deutsche ein verfassungsrechtlich verbürgtes Recht auf Aufenthalt in Deutschland, betonte das BVerwG. Von ihnen könne grundsätzlich nicht verlangt werden, die Ehe im Ausland zu führen, um ihren Wunsch nach Familienzusammenleben zu realisieren. Dann aber ist auch die Verweigerung eines Ehegattennachzugs zu Deutschen mit der Begründung, sie könnten den Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft sichern, verfassungswidrig. Diese skandalöse Vorschrift wurde ebenfalls mit den Stimmen der SPD im Jahr 2007 beschlossen und bewirkt in der Praxis, dass Deutschen mit unzureichendem Einkommen eine Ausreise zu ihren im Ausland lebenden Ehegatten zugemutet wird, wenn eine entsprechende doppelte Staatsangehörigkeit vorliegt und / oder wenn die Betroffenen zuvor längere Zeit im jeweiligen Land gelebt und gearbeitet haben. Auch dieser Skandal muss jetzt schnellstmöglich beendet werden.