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Pogrom Rostock-Lichtenhagen niemals vergessen – 8/25

Das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen zerstörte meine Bindung zu diesem Land. Deutschland, so glaubte ich, war meine Heimat und plötzlich nicht mehr. In diesen Tagen war es nicht gut, ein Ausländer zu sein. Auch in der heutigen Zeit nicht – Kommentar von Martin Hyun.

Am 25. August 2012 jährt sich der Rostocker Pogrom zum 20-ten Mal. Auch 20 Jahre danach habe ich die Bilder noch klar vor meinen Augen. Wie ein Pferd, das mit einem glühenden Eisen gebrandmarkt wird, haben sich die Bilder in meine Seele eingebrannt. Aufgebrachte Menschen, die mit Steinen und Molotowcocktails das Sonnenblumenhaus in der Mecklenburger Allee in ein Flammen Inferno verwandelten. Ich höre das Klirren von eingeworfenen Fensterscheiben. Das Gebrüll der Menschen und der frenetische Applaus treiben den Mob dazu, weiterzumachen. Die Polizei schaut hilflos zu – gewollt oder ungewollt.

In jener Nacht befand ich mich nicht unter den Vietnamesen in der Mecklenburger Allee und musste keine Todesängste ausstehen. Ich war sicher und geborgen im Haus meiner Eltern, mehrere Hunderte von Kilometer vom Tatort entfernt. Ich war 13 Jahre alt und doch fühlte ich eine starke Verbindung zu den Vietnamesen im Sonnenblumenhaus. Ich war zu jung um die politischen und medialen Zusammenhänge zu begreifen. Aber ich war alt genug, um zu verstehen, dass es auch mir hätte passieren können. In den Augen der Einheimischen war ich genauso ein Schlitzauge, Fidschi und ungebetener Gast, wie die Vietnamesen in Rostock-Lichtenhagen. Damals habe ich mir geschworen, dass ich Rostock, niemals betreten werde. Bis heute kann ich diesen Menschen nicht verzeihen, die auf dieser Welle der Gewalt mitschwammen, sympathisierten, schwiegen und zu Mitläufer wurden. Es gibt keine Entschuldigung für diese abscheuliche Tat, die so eine Handlung rechtfertigen könnte.

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„Ich sollte aus dem Land verschwinden, gaben mir die Menschen zu verstehen – ob im Osten oder im Westen. Deutschland gehört den Deutschen – Ausländer raus.“

Die Pogromnacht veränderte meine Sichtweise, aus der ich die Welt und die Gesellschaft bis dahin wahrnahm. Ich wurde mit der harten Realität der heimischen Gesellschaft konfrontiert. Unwiderruflich zerstörte es meine Bindung zu diesem Land, in der ich geboren wurde und dessen Staatsbürger ich bin. Deutschland, so glaubte ich, war meine Heimat und plötzlich nicht mehr. Ich sollte aus dem Land verschwinden, gaben mir die Menschen zu verstehen – ob im Osten oder im Westen. Deutschland gehört den Deutschen – Ausländer raus.

Nach Rostock-Lichtenhagen trat der Domino-Effekt ein. Der latente Rassismus, der Menschen brach aus. Für diese Menschen muss es eine Befreiung gewesen sein, ihren sonst unterdrückten Gefühlen freien Lauf zu lassen. Nach Rostock-Lichtenhagen folgten anderorts viele weitere Übergriffe auf Ausländer. In diesen Tagen war es nicht gut, ein Ausländer zu sein. Auch in der heutigen Zeit nicht. Es folgten Solidaritätsbekundungen und Lichterketten. Doch diese sind 20 Jahre danach erloschen und vergessen. Ich frage mich, wie das gesellschaftliche, mediale und politische Interesse bei „Stuttgart 21“ größer sein kann, als bei der Aufklärung des NSU-Terrors. Über Stuttgart 21 und das Aufbäumen der Menschen dort wurde täglich und ausführlich berichtet. So eine gründliche Berichterstattung verlange ich auch bei der Aufarbeitung des NSU-Terrors. Aber was kann man von einem Land erwarten, in der sich das Buch eines verbitterten, realitätsfernen Demagogen und wirren Greises mit dem Titel „Deutschland schafft sich ab: Wie wir unser Land aufs Spiel setzen“, millionenfach verkauft? Da ist es wieder, der versteckte Rassismus, der auf diesen kleinen Funken wartet, um sich in ein Flammeninferno zu wandeln.

Rostock-Lichtenhagen darf nie vergessen werden. Denn es kann sich überall und zu jeder Zeit wieder ereignen. Traurig, wie so vieles muss das Rostocker Pogrom als Mahnmal für die abscheulichen Fähigkeiten der Menschen herhalten. Am Samstag den 25. August werde ich eine Kerze anzünden.