Bildungsmonitor 2012

Gutes Bildungssystem geht an den Migranten vorbei

Dem deutschen Bildungssystem gelingt es nicht, Bildungserfolg vom sozioökonomischen Hintergrund abzukoppeln. Das trifft Migrantenkinder besonders hart. Das beste Bildungssystem ist in Ostdeutschland – da, wo die wenigsten Migranten leben.

Die Abbrecherquote ausländischer Schulabsolventen hat sich in den letzten Jahren deutlich verringert. Während im Jahr 2000 über 20 Prozent der ausländischen Absolventen die Schule ohne Abschluss verließen, betrug diese Quote im Jahr 2010 nur noch 13 Prozent. Dennoch ist der statistische Zusammenhang zwischen dem Bildungshintergrund der Eltern und dem Bildungserfolg der Kinder in Deutschland weiterhin enger verknüpft, als in den meisten anderen OECD-Ländern. Das geht aus dem Bildungsbericht 2012 des Instituts für Wirtschaft in Köln hervor, die im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) erstellt und am Mittwoch vorgestellt wurde.

Laut Studie ist Bildung für die Teilhabechancen von Migranten besonders wichtig. „Die Disparitäten in den Leistungen Jugendlicher mit und ohne Migrationshintergrund weisen jedoch darauf hin, dass das Bildungssystem dieser Aufgabe nicht in ausreichendem Maße nachkommt. Auch beim Übergang von einer allgemeinbildenden Schule in das System der beruflichen Bildung oder die Hochschule zeigten sich misslungene Integrationsbemühungen“, so die Wissenschaftler.

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Formale Gleichstellung reicht nicht
Ein Vergleich zeigt die Defizite: In der Altersgruppe von 25 bis 64 Jahren ist der Anteil der Personen ohne beruflichen Abschluss mit 26 Prozent unter der Migrantenbevölkerung ohne eigene Migrationserfahrung deutlich niedriger als bei der Bevölkerung mit Migrationserfahrung (40 Prozent). Bei Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, ist diese Bildungsarmutsquote deutlich höher als bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund mit 11 Prozent. „Die Hauptursachen für die schlechteren Übergangschancen Jugendlicher mit Migrationshintergrund sind weniger Unterschiede bei ihren Zielen oder Präferenzen, sondern häufig Kompetenzunterschiede im Vergleich zu Nicht-Migranten“, heißt es in der Studie.

Zwar sei der Großteil der Migranten beim Zugang zu Bildungseinrichtungen formal der deutschen Bevölkerung gleichgestellt. Tatsächlich jedoch zeigten sich auffällige Disparitäten zwischen Kindern und Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund in Bezug auf den Zugang zu höheren Bildungs- und Qualifizierungsgängen.

Sozioökonomischer Hintergrund entscheidet
Laut Studie ist das Problem bekannt: In Deutschland ist die Problematik der Bildungsarmut eng mit dem sozioökonomischen Hintergrund verknüpft. Ungleichheiten hinsichtlich der Bildungschancen sind im deutschen Bildungssystem verbreitet. Dies kann dazu führen, dass Bildungsarmut von Generation zu Generation „vererbt“ wird. So bestätigte beispielsweise die PISA-Untersuchung zum wiederholten Mal, dass der schulische Erfolg in Deutschland in hohem Maße mit der Herkunft und dem sozioökonomischen Hintergrund der Familie zusammenhängt. Das Bildungssystem steht daher vor der Herausforderung, diese Wirkungskette zu unterbrechen und den Bildungserfolg unabhängig vom sozioökonomischen Hintergrund zu machen.

„Die Chancenungleichheiten im deutschen Bildungssystem sind vor allem aus langfristiger Perspektive bedeutsam“, mahnen die Studienautoren. Ein negativer Einfluss der Herkunft sei oftmals ein Migrationshintergrund. Zu Wohlstand und Wirtschaftswachstum einer Volkswirtschaft trage aber die gesamte Bevölkerung bei. Und hierzu gehörten auch Einwanderer und deren Kinder. Sie stellen laut Studie ein Humankapitalpotenzial dar, welches in Deutschland offenbar unzureichend genutzt wird. Dies führt langfristig zur Verringerung der Wachstumspotenziale. Der maximale Nutzen für die Volkswirtschaft lasse sich nur dann erreichen, wenn eine vollständige Integration der Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland erreicht werde und das Bildungssystem einen sozio-ökonomisch ungünstigen Hintergrund kompensieren könne.

Sachsen und Thüringen spitze
„Dazu ist es insbesondere notwendig, Personen mit Migrationshintergrund die gleichen Entwicklungschancen wie den Nicht-Migranten zu ermöglichen. Das Potenzial der rund 5,7 Millionen in Deutschland lebenden Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu erkennen und auszubauen, ist somit eine der vorrangigen Aufgaben des deutschen Bildungssystems“, mahnen die Wissenschaftler.

Die Studie: Die Kurzfassung der Studie „Bildungsmonitor 2012“ sowie der vollständige Studienbericht kann unter insm-bildungsmonitor.de kostenlos heruntergeladen werden.

Und im Bundesvergleich weisen ausgerechnet Sachsen und Thüringen das beste Bildungssystem aus – zwei Bundesländer, in denen bundesweit mit die wenigsten Migranten leben. „Sachsen und Thüringen belegen die Spitzenplätze, weil sie eine ausgezeichnete Förderinfrastruktur vorhalten und sehr gute Bedingungen für eine individuelle Förderung bieten. Beide Länder bekämpfen erfolgreich die Entstehung von Bildungsarmut und bieten einen breiten Zugang zu akademischen Abschlüssen insbesondere in den naturwissenschaftlich-technischen Fächern“, erklärt INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr.

Bildungssystem da gut, wo die wenigsten Migranten leben
Nicht anders fällt der punktuelle Vergleich aus. Betrachtet man allein den Indikator „Schulabbrecherquote Ausländer“ im Ländervergleich, belegen ostdeutsche Bundesländer mit einer geringen Migrantendichte die Spitzenplätze (Brandenburg, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen Anhalt). Schlusslicht hier ist Niedersachsen. Auch beim Indikator „Relative Abiturientenquote“ belegt ein ostdeutsches Bundesland (Mecklenburg-Vorpommern vor Hamburg und Schleswig-Holstein) Platz eins. Schlusslicht ist auch hier ein Bundesland mit einer hohen Migrantendichte (Baden-Württemberg).

Die beste Durchlässigkeit im Schulsystem, wovon Migrantenkinder mit am meisten profitieren, weisen Schleswig-Holstein, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg aus. Auffällig ist auch hier, dass der Migrantenanteil an der Gesamtbevölkerung in diesen Bundesländern im Bundesvergleich sehr niedrig ist. Am schlechtesten schneiden hingegen Länder mit einer vergleichsweise hohen Migrantendichte ab (Berlin, Saarland, Bayern und Baden-Württemberg). (sb)