Stay, Yahye stay!

Lasst ihn endlich mit seinem Leben anfangen!

Wir treffen den Ex-Kindersoldaten, den Flüchtling, den Rapper, wir treffen Yahye (spricht man Yachje) in seinem knallrot gestrichenen WG-Zimmer unterm Dach. Er öffnet uns, weil wir für eine Reportage genau wissen wollen, wo er lebt und wie er das Leben auf dem Sprung aushält.

Von Sylvia & Pat Meise Mittwoch, 08.08.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 14.08.2012, 2:45 Uhr Lesedauer: 9 Minuten  |  

Dass wir ihn überhaupt treffen können, ist Glück, denn: fast wäre er weg gewesen. „Freiwillig ausgereist“ in eine bedrohliche Zukunft. Yahye Adan Dualle verschränkt die Finger. Der ebenfalls tiefrote Teppichboden schlägt hinter mir kleine trotzige Falte, der Junge mit den starken Oberarmen, dem runden Gesicht und der männlichen Stimme hat ihn selbst verlegt. Jammern ist nicht sein Ding. Er hat jetzt einen Schulabschluss in der Tasche und einen Ausbildungsvertrag dazu – und hofft, bleiben zu dürfen. Mit 13 ist er aus Somalia nach Polen geflohen. Allein. Und mit 17 von dort nach Frankfurt. Jetzt ist er 18. Das ist Yahyes Geschichte:

„Fliegen oder Knast“, so schätzt er die Alternative ein, als der Brief der Behörde kommt, der ihn auffordert „freiwillig“ auszureisen. „Dann doch lieber sehen, was mir in Polen einfällt.“ Er packt und stellt um auf Überleben. Morgen um acht würde er am Flughafen sein. „Then, Anna gave me a call.“ Anna vom Verein für Jugend und Erziehungshilfe. Übers Handy fragt sie: „Willst du wirklich gehen?“ Natürlich nicht. Aber wie soll er den Behördenton finden? Überzeugen, dass er bleiben muss? Weil er das alleine nicht schaffen würde, steht die Tasche an der Tür – aber jetzt… Sie redet und redet, plötzlich sieht er eine Chance. „Ich hab ja immer irgendwelche Risiken auf mich genommen. Ich habe Anna vertraut.“ Er zählt glücklich auf, was dieser Wendetag, an dem er beinah das Flugticket nach Polen genommen hätte, alles verändert hat: Anna hat Emails an Bekannte geschrieben, die sich mit Asylverfahren auskennen, die Leute aus dem Stadtteil haben Unterschriften für eine Petition gesammelt, Aufrufe an Zeitungen geschickt, auf Facebook eine Gruppe gegründet…

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Er berät sich mit diesen Leuten, die er zufällig kennen gelernt hat und die zu seinen Freunden werden. Er zieht in die WG-Wohnung der Frankfurter Stadtteilinitiative SIKS und beantragt das dürftige Asyl-Hartz IV. Er geht zur Schule, macht Musik, wird 18 – irgendwie passiert in diesem Sommer vor einem Jahr alles gleichzeitig. Als Rapper und Sänger lernt er im Viertel schnell Leute kennen, die ebenfalls Musik machen. Sein Handy klingelt, „Hi Basti. Ja, wir können uns in einer halben Stunde treffen – im Musikstudio? Klar.“ Vorm Mikro muss er nicht überlegen, was zu tun ist. Als Rapper ist Yaxie Yax längst in Frankfurt angekommen. „Musik ist mein Leben“, sagt er. Natürlich interessieren mich seine Texte – welcher ist sein eigener Favorit? Er schiebt die Kappe zurück, überlegt, „Thankful.“ Hier ein paar Auszüge aus dem Lied:

“Back in the days when I didnt know where I was, where to go where to sleep and what to eat, life gave me a limit Lord helped me to suvive..

as I served in the military at the age of 13 as a soldier child!

I thank the Lord for getting from around the devil and living life like a penitentiary with AK47 in my hand!

troubles went away! my life in way! now who is to say that I cant fly when I came closer to my final destination!

I walked in this planet as a loner child and took the most dangerous way to come from mogadishu to frankfurt!

I never thought I would reach 18 but life goes on and I believe that I could reach 80!

alhamdulillah am so thankful!”
(Thankful, Yaxie Yax 2011)

Songtexte schreibt er, seit er elf ist in seinen beiden Muttersprachen Englisch oder Somali. Es sind zwei, weil er zwei Mütter hat. „Meine Mom, die mich geboren, und meine Tante, die mich in Kenia aufgezogen hat.“ Jetzt kann er sie nur noch via Telefon erreichen, seine Mom in Somalia und die Tante in den USA. Deren ältester Sohn ist dorthin ausgewandert und hat eine Familienzusammenführung erwirkt. Yahyes Gedanken taumeln durch die Zeit, die Finger verhaken sich. Seine Kindheit endet mit zwölf, als das Militär ihn holt und zum Kindersoldaten macht. Als die Tante davon erfährt, schickt sie Geld, er soll fliehen. „Sie hat gesagt, ich soll nach Holland gehen.“ Ein Schleuser bringt Yahye zuerst nach Russland, alles andere sei zu gefährlich. „Wir sind da“, heißt es irgendwann. Er springt vom LKW, ist fortan auf sich allein gestellt, und beantragt Asyl. Das bekommt er auch und begreift zu spät, dass man ihn betrogen hat, dass „Poland“ nicht Holland heißt, in keiner der vier Sprachen, die er nun beherrscht. Zu Somali, Suaheli, Englisch und Arabisch kommt jetzt noch Polnisch.

Seine Mitbewohner sind krass. Sie nennen den 13-Jährigen „Affe“, klauen ihm Essen, Kleidung, Geld. Interessiert niemanden. „Hier kannst du nicht bleiben“ – sagt der Überlebensinstinkt. Er geht nach Warschau, lebt dort auf der Straße, singt. Zufällig hört ihn ein Musikproduzent und plötzlich wendet sich das Blatt: Ein Vertrag, ein Zimmer, Auftritte, Reisen… Er tritt bei einem Rap-Contest an und gewinnt. Die Frauen mögen ihn – er grinst – sie haben für ihn gestimmt. Und er glaubt: „Hey, da ist es ja, das Glück!“

Doch die hässliche Seite Europas wischt es fort: „Verpiss dich! Mach deine schwarze Musik in Afrika! Das hier ist Polen. Hau ab, sonst töten wir dich.“ Polnische Neonazis schlagen ihn zusammen, drohen mit Mord. Und der Produzent? Lässt ihn fallen. Dass bloß die Polizei nicht kommt.. Yahye hat er nämlich nur zehn Prozent des Verdienstes ausbezahlt – und den Rest, wohl ohne Steuern zu zahlen, selbst eingesackt. „‚’Tja, das ist Polen’, hat er zu mir gesagt. ‚Wenn sie dich umbringen wollen, will ich nichts damit zu tun haben. Geh. Wenn du mein Studio nicht sofort verlässt, töte ich dich, bevor jemand anderes dich töten kann.’ Damals bin ich dann aufgewacht. Brrr.“

Irgendwer rät ihm, nach Paris, London, Amsterdam oder Frankfurt zu gehen. Warschau-Frankfurt/Main lässt sich am einfachsten umsetzen: Er nimmt den Zug, meldet sich kaum angekommen als Flüchtling – und darf in ein Wohnheim für Minderjährige einziehen. Das Jugendamt schickt ihm Anna. Yahye ist einer von vielen Flüchtlingen. Zu vielen, wie zu viele europäische Ämter und Deutschland-den-Deutschen-Denker finden. Die Frankfurter Ausländerbehörde fordert ihn auf, “freiwillig” wieder zu verschwinden. Denn: Nur da, wo ein Flüchtling zuerst europäischen Boden betritt, darf er um Asyl bitten – und bleiben. So haben es die EU-Länder unter dem Kürzel „Dublin II“ verabredet, um „Asyl-Shopping“ zu verhindern. Könnte ja jeder sonst kommen und sich die europäischen Rosinen rauspicken.

„Das Ausländergesetz ist nicht für die Menschen da, es regelt nur den Umgang mit ihnen durch die Behörde.“ – Chef der Frankfurter Ausländerbehörde in einem Interview 2003.

Rosinen? Frankfurt steht bei Yahye nicht für süße Zutat, sondern für Zukunft. Für den Ort, an dem mehr drin sein könnte, als reines Überleben. Er will bleiben – und die Leute im Viertel wollen das auch. Das muss man erst mal hinkriegen, von einem Tag auf den anderen in einem fremden Land in einer fremden Kultur. Ankommen und Menschen für sich gewinnen. Es muss Yahyes Art sein, sich zu öffnen, einen anzulachen. Zu sagen: hier bin ich, wer bist du? Lass uns was auf die Beine stellen. Wo das sagenhafte Multikulti Frankfurts doch meist eher ein Nebeneinander ist, das schnell in Clübchen und Grüppchen zerfällt. Und doch. Gibts Menschen hier, die herz- und weltoffen sind, Netzwerke wie SIKS. Sie sind es, denen die Finanzstadt den Ruf verdankt, eine der ausländerfreundlichsten Metropolen Europas zu sein. Ich erinnere mich an einen glückstrunkenen Iraner, der von Frankfurt genauso begeistert war wie Yahye, der unbedingt bleiben wollte, weil hier alle Leute sooo nett seien, sooo zuvorkommend. “Wonderful!” Und ich dachte eigentlich „Bankfurt“ – stehe mehr für durchgestylte Geld- und Werbeperformance, denn für alternatives Leben. Andererseits gab es nirgendwo in der Republik ein so großes und so lange geduldes Occupy-Camp.

Hier soll Zukunft sein! Wünschen sich große braune Augen, die schon verdammt viel gesehen haben. Musik ist sein Puffer, „mein Leben”. Bei Auftritten kommen die somalischen Lieder am besten an. Er singt aus seiner Lebensgeschichte, aber nicht nur. „Ich will, dass die Leute Spaß haben, tanzen – wie früher auf der Straße in Somalia.“ Das Schicksal mag hart sein, aber Yahye drückt es nicht durch einen Aggrostil á la Ich-fick-das-Leben aus. Warum? Yahye schaut nach innen, reibt die Finger aneinander. „Weil das keinen Sinn macht. Im Wohnheim gab es einen Typ, dem ging es ähnlich wie mir. Aber statt sich anzustrengen, sein Leben in den Griff zu kriegen, hat er sich mit allen angelegt. Hat alles immer noch schlimmer gemacht.“ Er schüttelt den Kopf, Aber es hat ihn zu einem Song inspiriert.

Yahye © Pat Meise

Yahye © Pat Meise

Yahye denkt in Lyrics, Papier und Stift immer griffbereit. Patent. Nicht nur beim Teppich verlegen – er lernt, bügelt, kocht, geht ins Fitnessstudio. Niemand soll ihn je wieder zusammenschlagen. Er gehört zur jungen Generation von Flüchtlingen, die ihren Platz selbst finden wollen. Das habe ich bei der Jugendliche ohne Grenzen Gala zum ersten Mal kapiert: Party, Leute! Auch wir wollen Spaß haben! So zeigen sie der Gesellschaft ein verwirrendes Bild: Flüchtlinge? Das sind doch Opfer. Geknechtete. Betroffene, denen man – vielleicht – wenn genug Platz, Zeit, Muße ist – helfen muss. Aber die jungen Flüchtlinge sagen: Almosen, Opfer? Nein Danke! Sie wehren sich gegen Vereinnahmung und Abschiebung aufs Wartegleis, werden selbst aktiv. Wissen selbst, wie Überleben geht.

Überleben? Gut. Zukunft planen aber ist besser. Yahye erklärt, was jetzt ansteht: „Damit ich bleiben kann, muss ich die Schule fertig machen und einen Ausbildungsplatz finden – oder Arbeit.“ Aussuchen kann er sich nicht viel. Ob er eine weiter führende Schule besuchen will, schon gar nicht. Das Ausländergesetz ist halt nicht für junge Menschen gemacht. Damit er die Spezialklasse, die Jugendliche ohne Abschluss in die Arbeitswelt eingliedern soll, bis zum Hauptschulabschluss fertig machen konnte, hat er zusammen mit Anna und den Leuten von SIKS die Petition eingereicht. Dass die abgelehnt wird, stand vorher fest – „aber so habe ich Zeit gewonnen.“ Nach der Ablehnung wird er die Härtefallkommission bitten, aus „humanitären Gründen“ bleiben zu dürfen.

Bis dahin muss er 1. gut deutsch können – erledigt, 2. integriert sein – erledigt und 3. eigenes Geld verdienen, damit er dem Staat nicht auf der Tasche liegt. Knackpunkt ist heute, und nur noch ein bisschen, Nummer 3. Er hat einen Ausbildungsvertrag bei der Telekom bekommen, obwohl er eigentlich schon die Absage hatte. Hat in den letzten Monaten gepaukt und gepaukt, Bewerbungen geschrieben, bei Praktika getestet, wie Arbeitsleben ist… Spaß ist was anderes, verrät sein Blick. Doch, wenn er dann bleiben kann… Knapp 1120 Leute unterstützen ihn auf Facebook, ihre Spenden decken die Anwaltskosten. Und für die paar Euro, die er noch braucht, um nicht dem Staat auf der Tasche zu liegen, wird er sicher noch einen Nebenjob finden. Lasst ihn endlich mit seinem Leben anfangen. Lasst ihn hier.

Die Petition und ein Video über Yahye auf: www.siks-ffm.de Feuilleton Leitartikel

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