Beschneidungsurteil

Was der Kölner Richter am Landgericht übersehen hat

Die Beschneidung läuft laut Kölner Landgericht dem Interesse des Kindes, später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können, zuwider. Das ist schlicht falsch!

Die Beschneidung von Jungen geht Schätzungen zufolge zurück bis in das antike Ägypten. Heute – Jahrtausende später – schätzt man, dass circa 35 % aller Männer weltweit beschnitten sind. In mehreren führenden Industriestaaten wie z. B. den USA oder Südkorea wird bis heute ein Großteil der Jungen bei der Geburt vorbeugend beschnitten. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt die Praxis aus gesundheitlichen Gründen. Hinzu kommen religiöse Motive, die vor allem für die drei monotheistischen Religionen Islam, Judentum und Christentum von Bedeutung sind.

So geht das muslimische Selbstverständnis davon aus, dass man unabhängig davon, ob man beschnitten oder nicht beschnitten wird, als Muslim geboren wird. Im Koran selbst findet sich kein Hinweis darauf, dass die Beschneidung vorgenommen werden muss. Es wird lediglich auf den Weg Abrahams verwiesen, dem gefolgt werden soll. Deshalb wird die Beschneidung vor allem aus dem islamischen Gewohnheitsrecht (Sunna) hergeleitet.

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Bei den Juden wird der Bund zu Gott erst mit der Beschneidung hergestellt. Deshalb ist das sogenannte Brit milah (Beschneidungszeremonie) auch historisch einer der meist praktizierten jüdischen Bräuche. Schon im Frühmittelalter wurde zum Gedenken an die Beschneidung Jesu, acht Tage nach seiner Geburt, am 1. Januar, das Fest der Beschneidung des Herrn (Circumcisio Domini) gefeiert.

Die Urchristen wurden ebenfalls aus religiösen Gründen beschnitten. Diese Praxis wurde im Mittelalter zu einer Zeit aufgegeben, als die Judenverfolgung anfing – man brauchte ein Unterscheidungsmerkmal. Heute wird die Beschneidung nur noch von einigen orthodoxen Christen wie etwa den Aramäern vorgenommen.

Insofern stellt die Beschneidung von Jungen mitnichten ein Indiz auf eine religiöse Zugehörigkeit dar und erst gar nicht ein Indiz, auf eine ganz bestimmte religiöse Zugehörigkeit. Doch genau damit argumentiert das Kölner Landgericht. „Diese Veränderung [Anm. d. Red.: Beschneidung] läuft dem Interesse des Kindes, später selbst über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können, zuwider“, heißt es in der Urteilsbegründung.

Das ist schlicht falsch. Denn es gibt keinen bekannten Glauben oder Nicht-Glauben, der voraussetzt, dass man nicht beschnitten sein muss. Es gibt dagegen sehr wohl einen Glauben, der praktisch voraussetzt, dass man beschnitten sein muss.