Deutschland, Pakistan

Sexismus gibt es überall

In einem Gastbeitrag für SPIEGEL Online schreibt die pakistanische Journalistin Hani Yousuf, dass ihr in der Redaktion der “Welt” mehr Sexismus entgegenschlug als in ihrer Heimat. Yousuf verwendet fragwürdige Beispiele um die Emanzipation von Frauen in Südasien zu demonstrieren – wo es doch viele gute gegeben hätte – und vergisst dabei, dass beide Länder vor unterschiedlichen Herausforderungen stehen.

Als ich das letzte mal nach Bangladesch fuhr, fragte mich ein Bekannter, was es denn damit auf sich habe, dass die Frauen in Deutschland ihre neugeborenen Kinder umbringen würden. Ob das vielleicht mit Karriere zu tun habe, oder damit, dass es so viele Scheidungen gebe. Es fällt mir immer schwer darauf zu antworten: Denn natürlich gibt es immer wieder Fälle, in denen junge Mütter ihre Kinder umbringen, natürlich gibt es viele Scheidungen in Deutschland und viele Frauen stehen immer wieder vor der Entscheidung “Karriere oder Familie?” – und doch ist alles anders.

In Deutschland ergeht es mir genauso: Viele Menschen, mit denen ich spreche, pflegen eine ähnliche Karikatur über Südasien – fragen mich, ob es in Indien immer noch das Kastensystem gebe, ob muslimische Frauen wirklich nicht auf die Straße dürften – und wenn, dann nur vollverschleiert – oder ob es denn den Frauen in Bangladesch nun besser ginge, seit es Mikrokredite gibt. Für jede Frage kann man Ja oder Nein antworten. Und wie in Bangladesch muss ich auch hier antworten: “Ja es ist so, und doch ist alles ganz anders.”

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Genau dieses Gefühl beschreibt die pakistanische Journalistin Hani Yousuf in einem Debattenbeitrag auf SPIEGEL Online hervorragend: Eine überhebliche Bekannte geht davon aus, dass es Frauen in Pakistan grundsätzlich schlechter gehen müsse als in Deutschland. Dass Yousuf als Journalistin und Akademikerin in Pakistan tatsächlich mehr Respekt bekommen könnte als in Deutschland, hält sie für unmöglich. Yousuf selbst kommt zu dem Schluss, dass sie gelernt habe, “Pakistan mehr zu schätzen”.

Doch Yousufs Begründung, warum, ist bestenfalls zu kurz gegriffen. Sie beschreibt, wie in Sri Lanka, Indien, Bangladesch und Pakistan Frauen schon vor Jahrzehnten regierten – und schreibt nicht dazu, dass diese Frauen häufig die Witwen oder Töchter prominenter Politiker waren. Sirimavo Bandaranaike in Sri Lanka war die Witwe des Parteigründers Solomon Bandaranaike, Indira Gandhi die Tochter von Indiens Gründungsvater Jawaharlal Nehru. In Bangladesch regieren auch Frauen: doch die Sheikh Hasina ist die Tochter des Staatsgründers Sheikh Mujib, und Khaleda Zia die Witwe des Unabhängigkeitskämpfers und späteren Politikers Ziaur Rahman. In Pakistan war Benazir Bhutto die Tochter von dem Premierminister Zulfikar Ali Bhutto.

Wohlgemerkt: Die Frauen waren und sind gewiefte Politikerinnen, doch ihr Potenzial konnten sie in einer patriarchalischen Gesellschaft nur durch ihre Beziehung zu mächtigen Männern erfüllen. Darin sind sie nicht viel anders als beispielsweise Ursula Piëch, Johanna Quandt, Liz Mohn oder Friede Springer, die ihr Talent in einer patriarchalischen Gesellschaft ebenfalls nur entfalten konnten, nachdem sie mächtige Unternehmer heirateten.

Und andererseits: Sirimavo Bandaranaike wurde 1960 demokratisch zur Premierministerin Sri Lankas gewählt – zu jenem Zeitpunkt unterschrieben in der Bundesrepublik noch Männer die Arbeitsverträge ihrer Frauen und die 6-jährige Angela Merkel lebte mit 17 Millionen anderen Deutschen in einer sozialistischen Diktatur. Ungerechtigkeiten werden in unterschiedlichen Ländern nie auf die gleiche Weise und schon gar nicht in einer gleichen Reihenfolge abgebaut.

Yousuf ignoriert ebenfalls weit verbreitete Klassengrenzen, die es ihrer Haushälterin unmöglich machen würden tatsächlich mal Premierministerin Pakistans zu werden. Die weit verbreitete Armut in südasiatischen Ländern und die ungleiche Verteilung von Reichtum heißt, dass Frauen flächendeckend prekärer Leben als in Ländern wie Deutschland. Doch was diese Länder auszeichnet ist nicht ihre Akzeptanz für weibliche Führungspersonen, sondern die Tatsache, dass es vor allem Feministinnen und Frauenaktivistinnen sind, die Klassengrenzen überwinden um sowohl gegen Armut als auch gegen Sexismus vorzugehen. International bekannt sind beispielsweise die indischen Aktivistinnen Vandana Shiva oder Arundhati Roy – beide hochgebildete Akademikerinnen, die sich für die Ärmsten der Armen einsetzen.

Mindestens genauso wichtig sind aber zigtausende gebildete und engagierte Frauenrechtlerinnen der Mittelschicht. In Bangladesch waren sie es, die durch die Dörfer zogen, um mit Dorffrauen über Familienplanung zu sprechen: Die Kinder pro Frau sanken innerhalb einer Generation von sieben auf etwas mehr als zwei. Die ökofeministische Initiative Ubinig eröffnete das einzige Frauencafe in der Hauptstadt des Landes und arbeitet ebenfalls mit Bäuerinnen und Bauern für den Erhalt traditionellen Saatguts. Und es waren organisierte Anwältinnen, die sich für ein drastisches Gesetz gegen Säureattacken auf Frauen einsetzte und an einem neueren Gesetz gegen häusliche Gewalt mitschrieb.

Wenn Hani Yousuf schreibt, ihre Wertschätzung für Pakistan steige, sollte sich diese Wertschätzung weniger auf die Tatsache beziehen, dass das Land mal eine Premierministerin hatte oder, dass ihre Familie sich eine Haushälterin leisten konnte – und stattdessen darauf, dass Razia Bhatti schon in den 70ern Chefredakteurin einer einflussreichen Zeitschrift werden konnte um später das ebenfalls einflussreiche Magazin „Newsline“ zu gründen, in dem Yousufs Karriere begann. In Deutschland dagegen muss die Chefredakteurin der taz als Feigenblatt herhalten. Konsequent ist in jedem Fall, dass sich Yousuf in Deutschland für eine Frauenquote in Medienunternehmen engagiert.

Diese Widersprüche muss man zur Kenntnis nehmen: Dass in Pakistan schon vor Jahren eine Frau Chefredakteurin eines Nachrichtenmagazins werden konnte und es doch vorkommt, dass Frauen gesteinigt werden. Dass in Deutschland zwar keine Frau gesteinigt wird, aber es sowohl in Nachrichtenmagazinen noch in den Tageszeitungen kaum Chefredakteurinnen gibt. Wer darauf hinweist, dass man ja wenigstens sagen könne, in Deutschland werde Frauen das nackte Leben gelassen, vergisst einerseits dass Steinigungen in Pakistan seltener sind als Babyleichen in Deutschland und andererseits, dass in beiden Ländern häusliche Gewalt ein viel größeres Problem ist – und dabei auch in Deutschland Frauen regelmäßig von ihren Ehemännern umgebracht werden.

Es ist diese überhebliche Vergesslichkeit, die für Szenen wie im Einstieg von Yousufs Artikel sorgen, oder denen, die sich bei ihrer Zeit bei der “Welt” abspielten: Yousuf wird als besonders geeignete Autorin für ein Stück über Emanzipation gesehen, weil sie ja eine „unterdrückte“ Pakistanerin sei andererseits aber kritisiert, dass sie die Zustände im Land der „180 Millionen unterdrückten Frauen“ verharmlose 1. Bei der konservativen Zeitung ist Yousuf nicht nur Opfer des deutschen Sexismus geworden, sondern auch jenes deutschen Rassismus, der sich keine emanzipierte Muslimin vorstellen kann.

  1. Pakistan hat nur 180 Millionen Einwohner – alle sind ganz bestimmt nicht Frauen