Brückenbauer

„Zick zack Zigeunerpack“ – Rassismus gegen Sinti und Roma heute

Heute jährt sich der Gedenktag für die ermordeten Sinti und Roma. Während Sie diesen Text lesen, besucht eine 70-köpfige Delegation des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma mit den noch wenigen Holocaust-Überlebenden das ehemalige Lager Auschwitz-Birkenau.

Sie gedenken am der Opfer des systematischen und rassistisch motivierten Völkermords an den Sinti und Roma. In Auschwitz-Birkenau sind ganze Familien der Sinti und Roma separiert von anderen KZ-Häftlingen interniert worden. Das Lager sollte am 15. Mai 1944 komplett aufgelöst und die noch verbliebenen Familien ermordet werden. Die Inhaftierten weigerten sich jedoch, aus ihren Baracken herauszukommen. Denn in ihren Reihen befanden sich Sinti und Roma, die in der Wehrmacht gedient hatten und den Plan durchschauten. Verunsichert von der Situation, unterbrachen die SS-Männer ihr Mordvorhaben. Stattdessen entschied sich die Lagerleitung für eine schrittweise Auflösung. Zunächst wurden die ehemaligen Wehrmachtsangehörigen nach und nach in andere Lager deportiert. Die verbliebenen Menschen wurden in der Nacht vom 2. August zur Ermordung in die Gaskammer getrieben. Daher hat dieser Tag den Status eines Gedenktages.

Heute möchte ich mich jedoch weniger auf die Vergangenheit fixieren. Vielmehr geht es mir um den zunehmenden Rassismus der Gegenwart. Denn wer meint, dass die heutigen Lebensumstände der Sinti und Roma frei von Rassismus und Verfolgung sind, der irrt sich gewaltig.

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Rassistisch motivierter Mord. Das Anzünden von Häusern, in denen Roma leben. Die staatliche Aussortierung in ethnisch homogenen Roma-Klassen. Nazi-Aufmärsche durch Roma-Siedlungen sowie regelmäßige Einschüchterung von Roma-Kindern und -Frauen geschieht nicht außerhalb Europas oder gar in einem anderen Jahrhundert. Tatsächlich geschieht es mitten in Europa. Innerhalb der Europäischen Union. In diesem Jahrtausend. So zum Beispiel in Ungarn, Rumänien, Bulgarien. In Ländern, die die Menschenrechtskonvention ratifiziert haben.

Der Rassismus gegen Roma war und ist in Europa immer schon präsent gewesen. Aber die Finanz- und Immobilienkrise der USA hat die rassistischen Zustände verstärkt. Ein Beispiel hierfür ist Ungarn. Wegen der Finanzkrise musste der ungarische Forint abgewertet werden, aber die in Euro und Dollar ausgezahlten Konsumkredite blieben in ihrer Höhe gleich. Schnell fanden national-konservative und neofaschistische Parteien ihren Nährboden. Auch fanden sich die vermeintlich Schuldigen – die Roma, die angeblich zu viel Sozialhilfe beziehen. Obwohl sie aus rassistischen Motiven meist keine Arbeit bekommen, wird ihnen Arbeitsscheue zu Lasten gelegt.

So sind 2009 und 2010 sechs Menschen mit einem Roma-Hintergrund ermordet worden. Darunter befanden sich zwei Kinder. In einem Fall zündeten ungarische Neofaschisten ein Roma-Haus an. Die Brandstifter warteten draußen mit Schrotflinten. Sie erschossen den Vater und sein Kleinkind während des Versuchs, sich zu retten.

Im März 2011 marschierte in einem 2.500-Seelendorf eine neofaschistische Bürgerwehr. Sie führte den sarkastischen Namen ,,schönere Zukunft‘‘. Trotz Hinweise der Roma-Bevölkerung schritt die Polizei nicht ein. Am Ende flohen fast die gesamten Dorfbewohner mit Romahintergrund ins Nachbardorf. Einer der Lehrer sagte während des Aufmarsches zu einem Roma-Kind: „Wenn ihr nicht spurt, dann holen wir sie in der Schule.“ Entsprechend wartet der neofaschistische Lehrer auf die Romaschüler in der Schule.

Nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen gibt es in gut einem Drittel der ungarischen Schulen Rassentrennung. In den Schulen werden für die Roma-Kinder offiziell Förderklassen geschaffen. Dort findet jedoch keine Förderung statt. Vielmehr sind es C-Klassen – für ›C‹ wie cigani. Denn 95 % der ungarischen Mehrheitsbevölkerung will nicht, dass ihre Kinder gemeinsam mit Roma-Kindern die Schulen besuchen. Damit ist den Roma-Kindern jede Chance aus der Diskriminierungs-Falle herauszukommen verwehrt. Journalisten, die über die Rassentrennung und Benachteiligung von Roma berichten, werden entlassen. Die national-konservative Regierung hat sogar ein Gremium zur Medienzensur eingeführt. Somit ist eine kritische Berichterstattung ausgeschlossen.

Im rumänischen Ort Baia Mare wiederum gibt es sogar ein kommunales Fallbeispiel, wie mit rassistischem Vorgehen Wahlen gewonnen werden. Der amtierende Bürgermeister hatte im vergangenen Jahr sein Wahlversprechen erfüllt, die Roma des Ortes in eine alte Chemiefabrik umzusiedeln. 22 der Kinder und zwei Erwachsene erlitten wegen der Zwangsumsiedlung eine Vergiftung. Der Bürgermeister kommentierte diesen Vorfall mit der Behauptung, dass es den Menschen wohl aufgrund der sauberen Umgebung schlecht geworden sei. Die städtischen Rettungskräfte kamen aufgrund der Gefahr mit Atemmasken, um die vergifteten ins Krankenhaus einzuweisen. Bei der Wiederwahl des Bürgermeisters im vergangenen Juni konnte dieser 86 % auf sich vereinigen. Es handelt sich hierbei um das beste Ergebnis eines rumänischen Bürgermeisters.

Vor diesen Hintergründen sollte uns nicht wundern, dass eine Vielzahl rumänischer Roma aus Rumänien flüchtet.

Aber selbst Deutschland ist nicht frei von Vorurteilen, was in dem Fanspruch ,,Zick zack Zigeunerpack‘‘ klar wird. Denn dieser wird unter anderem in Fußballstadien der gegnerischen Mannschaft zugerufen.