Niedersachsen

Muslime kündigen Schünemann verhaltensbedingt

Verdachtsunabhängige Moscheekontrollen, Burkaverbot, verstärkte Polizeipräsenz in islamisch geprägten Stadtvierteln und zuletzt die Islamisten-Checkliste. Das Fass ist übergelaufen. Niedersachsens Muslime beenden den Dialog mit Innenminister Schünemann. Opposition fordert Entschuldigung.

Innenminister Uwe Schünemann (CDU) hat es geschafft. Die in Niedersachsen ansässigen islamischen Religionsgemeinschaften DITIB und Schura haben die Zusammenarbeit mit ihm beendet. Ein für Montag geplantes Treffen sagten die Muslime ab und kündigten an, mit Schünemann keine weiteren Gespräche führen zu wollen.

Der Innenminister bedauert die Absage: „Wir brauchen die Zusammenarbeit mit den verfassungstreuen Muslimen“, sagte der Minister am Sonntag. Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass er die Eskalation zu verantworten hat. Nicht selten hat er die Geduld der Muslime auf die Probe gestellt.

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Moscheekontrollen und Polizeipräsenz
Angefangen hat es mit den verdachtsunabhängigen Moscheekontrollen im Jahr 2008. Immer wieder führten mit Maschinengewehren bewaffnete Einsatzkommandos vor Moscheen Personenkontrollen bei Muslimen durch und stempelten sie auf den Handrücken ab. Zum Eklat kam es, als Schünemann diese Kontrollen als mit den Muslimen abgesprochen darstellte, während diese sich massiv beschwerten. Die Kontrollen wurden erst eingestellt, nachdem der Gesestzgebungs- und Beratungsdienst des Landtages Verfassungswidrigkeit attestiert und der damalige Ministerpräsident Christian Wulff den Innenminister aufgefordert hatte, die Praxis zu beenden.

Zwei Jahre später forderte Schünemann „verstärkte Polizeipräsenz in islamisch geprägten Stadtvierteln“ und nur wenige Monate später ein Burkaverbot im öffentlichen Dienst, obwohl in ganz Niedersachsen keine einzige Burkaträgerin im öffentlichen Dienst tätig war.

Islamisten-Checkliste führt zum Bruch
Das Fass zum Überlaufen brachte Schünemann Antiradikalisierungsprogramm. Danach sollen Arbeitgeber, Lehrer und eine Vielzahl anderer öffentlicher Einrichtungen wie das Jugend- oder Finanzamt Muslime danach beäugen, ob Radikalisierungsmerkmale zu erkennen sind und diese den Sicherheitsbehörden melden. In einer jüngst herausgegebenen Broschüre für Lehrer etwa ist eine Checkliste abgedruckt, die auf Auffälligkeiten hinweisen sollen. Danach mache sich ein Muslim verdächtig, wenn er plötzlich Gewicht verliere oder Arabisch lerne (MiGAZIN berichtete erstmalig).

Auch hier behauptete Schünemann, das Programm sei mit den islamischen Religionsgemeinschaften abgesprochen. „Das ist grundlegend falsch” stellte jedoch der niedersächsische Landesverband der DITIB fest und erhob schwere Vorwürfe gegen den Innenminister.

Muslime erwarten deutliche Ansage
Auch der Vorsitzende der Schura, Avni Altıner, erteilte Schünemanns Behauptung, die Checkliste sei abgesprochen, eine klare Absage: „Es ist befremdlich und schlicht wahrheitswidrig, wenn Innenminister Uwe Schünemann in den Medien der Schura Niedersachsen unterstellt, das Antiradikalisierungskonzept sei auf Initiative der Schura hin erstellt worden.“ Altıner weiter: „Gesinnungsschnüffelei war eine überwundene Schande in der deutschen Geschichte; Schünemann will sie offenbar wiederbeleben. Nicht nur als Muslime, gerade als Deutsche sind wir empört über diesen Rückfall in dunkelste Vergangenheit.“

Der Landesverband der Muslime in Niedersachsen erwartet vom Ministerpräsidenten „eine sehr klare Aussage, wie es zukünftig mit der freiheitlichen Grundordnung bestellt sein soll, ob es wieder gruppenspezifische staatliche Brandmarkung und Aufforderung zum Gesinnungsschnüffeln geben soll, ob Muslime – gerade nach den Erfahrungen der Morde der NSU und der unklaren Verwicklung der Sicherheitsdienste darin – in diesem Lande gleichberechtigte Schutzbedürftige sind“.

SPD: Schünemann hat Abbruch provoziert
Kritik muss Schünemann auch von der Opposition einstecken. „Es wäre für Minister Schünemann leicht gewesen, diese Liste und die Broschüre, in der sie abgedruckt ist, zurückzuziehen. Es hat sich dagegen entschieden und damit die Gesprächsabsage der muslimischen Verbände provoziert. Ich hoffe, dass das nicht das Ziel des Ministers war“, so die stellvertretende innenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Sigrid Leuschner.

Wenn Schünemann tatsächlich einen vertrauensvollen Dialog wolle, dann müsse er auf diese „unglückliche Checkliste“ verzichten. Leuschner: „Das ist das Mindeste, um zumindest den Versuch unternehmen zu können, einen Dialog auf Augenhöhe zu führen.“

Schünemann soll sich entschuldigen
Angesichts der bisherigen Dialog-Historie Schünemanns mit den islamischen Religionsgemeinschaften fordert die migrationspolitische Sprecherin der Landtagsgrünen Filiz Polat Schünemann auf, „sich bei den muslimischen Dachverbänden zu entschuldigen und seinen Umgangsstil zu korrigieren“. Dass der Minister von Ditib und Schura einen Korb bekommen hat, sei die logische Konsequenz dafür, dass er die Muslime in der Vergangenheit mit zahlreichen Vorstößen verprellt habe.

„Wer mit Moscheekontrollen die Religionsfreiheit beschneidet und Muslime denunziert, wie jüngst in der Broschüre des Verfassungsschutzes geschehen, hat seine eigene Dialogfähigkeit ruiniert und kann von den Betroffenen kaum noch Gesprächsbereitschaft erwarten.“ Es sei besorgniserregend, dass die Zusammenarbeit zwischen Muslimen und Landesregierung mittlerweile einen „absoluten Tiefpunkt“ erreicht habe. Darüber könne auch die Tatsache, dass Niedersachsen eine muslimische Sozialministerin habe, nicht hinwegtäuschen. (bk)