Interkulturelle Kompetenz

Eine interkulturell kompetente Ohrfeige

Religion, Kunst und die Fremdsprachen sowieso: Nahezu jedes Unterrichtsfach fördert die interkulturelle Kompetenz und setzt sie als ein Ziel im Bildungsplan ein. Doch nicht nur in der Schule, auch im Berufsleben wird diese Kompetenz immer wichtiger.

Ein Amerikaner und ein Deutscher wetten, wer zuerst ein Hochhaus fertig gestellt hat. Nach einem halben Jahr tauschen sie sich aus. Der Ami: „Nur noch 30 Tage und das Haus ist fertig!“ Antwortet der Deutsche: „Nur noch 30 Formulare und wir können mit dem Bau anfangen!“

Andere Länder, andere Sitten, andere Regeln, alles anders. Um in der globalen Berufswelt zu bestehen, muss man die Gepflogenheiten seines Gegenübers kennen. Aber allein das Wissen um das Arbeitsumfeld in anderen Nationen reicht nicht aus: Interkulturelle Kompetenz, die Fähigkeit, mit Angehörigen anderer Kulturen angemessen und erfolgreich zu interagieren, ist ein unbedingtes „Muss“, das die meisten global agierenden Unternehmen von ihren Bewerbern verlangen. Darüber hinaus verbindet das Internet inzwischen alle Kulturen im virtuellen Raum, der eine wahre Brutstatt für kulturelle Missverständnisse und interkulturelle Probleme bietet. Vorschub erhält der Bedarf an interkultureller Kompetenz zudem durch den steigenden Anteil von Migranten an den Schulen – die kulturelle Vielfalt bietet großes Übungspotenzial. So lässt sich interkulturelle Kompetenz an der Schule bereits realitätsgetreu trainieren.

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Bedeutungszuwachs an den Schulen
„Die Bedeutung der interkulturellen Kompetenz hat in den Schulen sehr zugenommen“, bekräftigt Carmen Mattheis, die an der Landesakademie Bad Wildbad mit der baden-württembergischen Fortbildung betraut ist. „Das liegt einerseits daran, dass Interkulturalität heute anders wahrgenommen und verstanden wird als noch vor ca. fünf bis zehn Jahren. Die veränderte Sichtweise in der Gesellschaft, Politik und Erziehungswissenschaft schlägt sich in der Lehreraus- und -fortbildung nieder. Andererseits ist die Notwendigkeit einer interkulturellen Kompetenz von Lehrkräften immer dringlicher, wenn die Heterogenität in den Schulen zunimmt und gleichzeitig Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund entsprechend gefordert und gefördert werden sollen.“ Eigentlich müsste die Schulung dieser Kompetenzen in jeder Lehramtsausbildung integriert sein, meint Mattheis.

Treten Probleme auf der interkulturellen Ebene an Schulen auf, so sollten diese in einem ersten Schritt innerhalb des Kollegiums und gegenüber der Schulleitung thematisiert werden. „Das ist oft eine hohe innere Hürde, die aber überwunden werden muss, die aber wichtige Prozesse innerhalb einer Schule in Gang setzen kann. Meist betrifft das Gefühl der Hilflosigkeit nicht eine einzelne Lehrerperson, sondern mehrere Kollegen, oftmals auch Schüler und Eltern. Gemeinsam mit Hilfe von externen Experten können dann Strategien entwickelt werden, wie eine Verständigungsebene gefunden werden kann.“ Ein zweiter Schritt könnte eine Lehrerfortbildung, ein Seminar oder eine ähnliche Veranstaltung sein, wie sie auch die Kultusministerien anbieten.

Eine Wissenschaft für sich
Auch im universitären Bereich ist das Thema interkulturelle Kompetenz bereits angekommen: An fünfzehn Universitäten in Deutschland wird das Studienfach angeboten. Viele Institute organisieren Kurse und Workshops zu diesem Thema. An anderen Hochschulen wird wiederum das Fach „Interkulturelles Management“ unterrichtet.

Dr. Julia Hormuth, Professorin für interkulturelles Management an der ESB Business School der Hochschule Reutlingen, berichtet, dass die individuelle Motivation der Studenten, ihre interkulturellen Kompetenzen weiterzuentwickeln, sehr hoch ist. „Die Unternehmen, bei denen sich unsere Absolventen bewerben, fordern zunehmend Auslands- und interkulturelle Erfahrung. Das wissen unsere Studenten natürlich. Sie nutzen jede Möglichkeit, ihre sprachlichen und interkulturellen Kompetenzen auszubauen. Dazu kann ein Erasmus-Auslandssemester dienen, ein Auslandspraktikum oder die Betreuung ausländischer Studenten vor Ort in Reutlingen. Diese praktischen Erfahrungen unterstützen wir durch interkulturelle Seminare und Workshops, die fest im Curriculum der Studiengänge verankert sind.“

Prof. Hormuth erklärt drei Dimensionen der interkulturellen Kompetenz, die in der Fachliteratur unterschieden werden: „Interkulturelle Kompetenz setzt zunächst Wissen voraus. Um adäquat mit anderen Kulturen umzugehen, muss ich wissen, in welchen Punkten sich Kulturen typischerweise unterscheiden. Ich muss die Tabus der anderen Gesellschaft kennen. Die zweite Dimension betrifft die individuellen Einstellungen. Toleranz, Respekt und Anpassungsfähigkeit sind nötig, um mit Angehörigen anderer Kulturen erfolgreich zusammenzuarbeiten. Die Handlungskompetenz schließlich umfasst das Verhalten und die Strategien, die helfen, in der interkulturellen Interaktion Konflikte zu vermeiden.“

Training im Alltag
Ob am Arbeitsplatz, in der Uni oder in der Schule – lassen sich interkulturelle Kompetenzen überhaupt erlernen? Anbieter von interkulturellen Trainings schießen wie Pilze aus dem Boden. Ziel eines interkulturellen Trainings müsse es sein, so Prof. Hormuth, die Teilnehmer in allen drei genannten Dimensionen voranzubringen. Auch an der Einstellung könne man im Training arbeiten – obwohl das natürlich ein langfristiger Prozess ist. Dabei müsse jedoch darauf geachtet werden, dass sowohl psychologische als auch kommunikative Aspekte berücksichtigt werden. „Die Psychologie spielt eine große Rolle. Häufig können aber auch rein kommunikative Unterschiede für Probleme verantwortlich sein. Nonverbale Kommunikation kann schließlich auch für Missverständnisse sorgen. Auf den Mix kommt es an.“ Das bestätigt auch Bärbel Bauer, ebenfalls Akademiereferentin in Bad Wildbad und verantwortlich für die Seminare, die in Zusammenarbeit mit dem Europarat an der Akademie angeboten werden. Dort wird dieses Thema immer wieder aufgegriffen. „Interkulturelle Kompetenz muss einem nicht in die Wiege gelegt werden. Es geht nicht nur um Wissen, sondern um die Bildung und Herausbildung von Werten, Einstellungen, Fertigkeiten und Verstehen.“

Kulturelle Anpassung, schön und gut. Doch verbiegen sollte man sich dabei auch nicht, sondern die eigenen Werte und Kultur durchaus einbringen. Hormuth erinnert an ein witziges Bild: Ein Amerikaner und ein Chinese begrüßen sich. Der Amerikaner verbeugt sich, wie er es im interkulturellen Training gelernt hat, der Chinese will die Hand reichen – und ohrfeigt dabei versehentlich sein Gegenüber.