Essay

Oligarchie, Kapitalismus und monotheistischer Glaube

Demokratie ist Volksherrschaft. Doch das Volk sagt, es sei machtlos gegen Politik und Kapital. Fragt man das Kapital und die Politik, verweist es auf höhere Mächte. Fragt man die, so bekommt man gar keine Antwort.

Wer kennt das nicht? Man hat ein Problem mit dem Konto, den Telekom-Anschluss, will etwas umtauschen, weil man damit nicht zufrieden ist. Ständig wird man weiterverwiesen, und es scheint sich Keiner dafür zuständig zu fühlen. Fangen wir noch mal an.

Man wird das Gefühl nicht los, dass das Gebaren deutscher Führungskräfte in der Euro-Krise eine Absicht hat. Als man vor Jahren die politische Stellung der Türkei beurteilen wollte, verwies man auf die Weimarer Republik. Heute zeigt man mit demselben Finger auf Griechenland. Die leben noch in unseren Zwanzigern, hört man hinter vorgehaltener Hand. Es scheint, die deutsche Politik will sich für die unsägliche Demokratie rächen. So, das habt ihr davon uns ein solches System zu bescheren. Aber was heißt hier Demokratie? Der Autor schlägt eine Neu-Orientierung vor: Der demos ist nicht länger mitregierendes Element, sondern stellt diejenige Kraft dar, die nach der Macht strebt. Aus dieser Warte erscheinen die Protagonisten des politischen Tagesgeschäftes als die nach der Macht, und nach der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, Strebende, und damit als die, die noch zu integrieren sind. Der (Mit-)Bürger (polites) dagegen ist schon integriert und genießt die Vorzüge politischer Freiheit. Aus dieser, zugegebenermaßen, wild konstruierten Gemengenlage altgriechischer Begrifflichkeiten, erscheint Demokratie als „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ (Georg Franck), und Politiker als Jungferkel die sich um die Zitzen der eierlegenden Wollmilchsau drängeln. Kosmopolitismus dagegen zeigt sich als aufgeklärtes und integrierendes, sozio-ökonomisches Denken.

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Wie der demokratische US-Senator Bernard Sanders sagte: „Wir sind sehr religiös geworden in unserer Verehrung der Habgier.“ Diese quasi-religiöse Habgier führt seit mehreren Jahrzehnten zum radikalsten Abbau von Bürger- und Arbeiterrechten in den USA. Wenn Amerika also dafür steht, für Selbstverständliches kämpfen zu müssen, wofür steht dann Europa? In prosperierenden deutschen Städten explodieren im Moment die Immobilien-Preise. So begann es auch in den USA. Und dies alles in so „verdammt“ religiösen Zeiten. Ob man Europa etymologisch auf das phönizische „Dunkel“ oder das griechische „Schönauge“ zurückführt: Immer wenn der europäische Gedanke, oder mythologisch gesprochen, Europa den Kontinent verlässt, bricht die Pest oder ein Krieg aus. The Queen has left the building?

Am 17.09. des christlichen Jahres 2012 beginnt das jüdische Jahr 5773. Nach islamischer Zeitrechnung wäre das der 22.01.1434. Anhänger eines völkisch-rassistischen Germanentums denken es sei das Jahr 3812 nach Stonehenge, und im byzantinischen Kalender ist sogar das Jahr 7521. Für Menschen die in den Deutschlands, und im Europa, vor der deutschen Einigung sozialisiert wurden, ist das ein bisschen viel Religion und Volkstum in der Politik. Oder worum geht es wirklich? Es ist wohl ein ironischer Fingerzeig der Geschichte, der sich immer dann einstellt, wenn man von ungleichzeitigen Entwicklungen ausgehen muss. Während aufklärerische Denker in dem Phänomen Religion die Ursache für Krieg und Machtmissbrauch sahen und sehen, zeugt die sozio-ökonomische Realität nicht von weniger Missbräuchen. Die Verflechtung von kolonialistischer Ökonomie und Missionierung (Glasperlen gegen Hoffnung) zieht sich noch durch jede Geschichtsschreibung, und scheint den „christlichen Verteidigern“ ihre eigene (vergangene) Missionsarbeit um die Ohren zu schlagen. Und von Kierkegaard wissen wir, die Christenheit sei sowieso ein Sinnentrug. Will sagen: Jede Institution wird totalitär, wenn es Seelenheil sagt, aber Seelenfang meint. Liberal hieß einmal Freiheit des Individuums vor institutioneller Bevormundung. Liberal heißt heute: Löhne an z.B. chinesisches Niveau „anpassen“.

Was Neo-liberal bedeutet, zeigt sich an der Debatte um die griechische Ökonomie. Wenn zum Beispiel das Handelsblatt einen Ökonomen (und sein Forscherteam) von der Universität Maryland zitiert, dann stellt sich die Frage warum und vor allem was hier eigentlich zitiert wird. Folgt man dem „Forscher“ und seiner These, dass kleine Unternehmen das Wachstum hemmen würden, landet man auf einer Exel-Tabelle, die Anstellungszahlen in den USA von 1947 bis 2051 auflisten. Folgt man dem Wissenschaftler weiter, so erfährt man in dem Aufsatz „Who Creates Jobs? Small vs. Large vs. Young“ vom August 2011, dass die Mitautoren vom U.S Census Bureau sind. Wenn also Großunternehmen massenhaft Mitarbeiter entlassen, so wird die Ursache für den Rückgang des Wachstums beim dezentralen Unternehmertum gesucht. Das nennt man dann wohl seinen eigenen Datensatz produzieren.

Die einfache Formel des neo-liberalen Denkens: Kleine Unternehmen seien nicht effizient, weil sie nicht von den Kostenvorteilen der Massenproduktion profitieren könnten. Zudem seien es jüngere Firmen die Arbeitsplätze schaffen würden. Für wie lang und unter welchen Konditionen wird hier nicht gesagt. Alles in allem stellen die Populisten den Norden Europas gegen den Süden. Das war nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes auch nicht anders zu erwarten. Nach Ansicht mancher Akteure des Kapitalismus stehen wir vor einer Revolution, oder nüchterner: Vor einem Paradigmenwechsel. Wenn sich also ehemalige Profiteure des internationalen Finanzsystems, wie frühere Hedge-Fonds Manager sich als kritische Überläufer zeigen, muss man kritisch hinterfragen, wieso man diesen wuchernden Krebs nicht vorher schon angegangen ist? Weil etablierte Medien manch Querdenker der Wirtschaftswissenschaften schon mal als Spinner oder Verschwörungstheoretiker denunzieren. Als staatssozialistischer Eingriff wurden Gedanken gewertet, die sich mit der Besteuerung von Finanzdienstleistungen, sowie der Besteuerung von Kapital- und Steuerflucht beschäftigten. Von Seiten mancher Politiker kam der Rat sich der neo-liberalen Begrifflichkeit und seinem Denken (Handeln) anzupassen. Das war in den Neunzigern. Zwanzig Jahre später war aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht die Bankenrettung nichts anderes als ein (national-)staats-sozialistischer Eingriff. Wie weit das neo-liberale Denken jedenfalls gediehen ist, kann man im aktuellen American Economic Review nachlesen. Dort wird angedacht, Bruttosozialprodukte mittels Satelliten-Nacht-Aufnahmen von Städten zu messen, d.h. je weniger bzw. je heller die Nachtlichter der Städte und Regionen von den Satelliten wahrgenommen werden, desto geringer bzw. höher sei das Bruttosozialprodukt. Will sagen, wer am hellsten leuchtet, erwirtschaftet auch am meisten. Die Abweichung von herkömmlichen Messmethoden betrage nach Ansicht der Autoren nur 3%. Wie es um die ökonomischen Wissenschaften (und vielleicht auch um deren Wissenschaftler) steht, zeigt sich in dieser Konstruktion von Bruttosozialprodukt und Leuchtkraft von Städten. Ähnlich geht es einem, wenn man bei einer Schuldnerberatung der Diakonie teilnimmt.

Und die etablierte Presse in Deutschland übernimmt diese Behauptungen fraglos. Diesen Journalismus kann man getrost als stümperhaft bezeichnen. Froh kann man da nur über die intelligenten und kritischen Leserkommentare sein. Die Absicht eines solchen Vorgehens ist klar: Eine zentralisierte Ökonomie. Wer also bildet diese sozio-ökonomische Elite, die freies Unternehmertum sagt, aber Oligarchie meint? Das Handelsblatt zitiert dann weiter OECD- und Eurostat-Statistiken, die belegen sollen, dass ein Hauptproblem der Schuldenkrise kleine und Kleinstunternehmen seien. Ruft man die jeweiligen Seiten ab, so stellen diese den Sachverhalt völlig anders dar. Eurostat zum Bespiel nennt die Zahl von 99.8% von SME (small and medium-sized enterprises) in den 27 Euro-Staaten (ausgeschlossen sind Finanzdienstleister). Griechenland schert in dieser Auflistung als Land mit höherer Kleinunternehmer-Rate aus. Aus dieser Warte scheint die Krise in Griechenland als konzertierte Übernahme-Aktion. Und die bevormundende Sprache deutscher Politiker, und ihrer Presse, als geistige Wegbereiter. Weiterhin wird eine Lockerung des Kündigungsschutzes gepriesen. Hier wird Effektivität mit Effizienz verwechselt, ein Grundproblem der Fremdsprachen-Kompetenz wie es scheint. Ein ähnliches Sprachproblem der ökonomischen Elite in Deutschland führte zur US-Immobilien-Krise, die sich zu einer weltweiten Wirtschafts-Krise ausweitete. Während man in den USA zwischen subprime (unterhalb von prime) und supreme (erstklassig) unterscheidet, priesen deutsche Bankenberater subprime als supreme an. So grob hier die Sprache missverstanden wird, so grob und absichtsvoll, scheinen die Pauschalisierungen der politischen Kräfte in Europa.

Also überdehnen wir mal die Pauschalisierung: Von einer objektiven Warte aus, scheinen Juden, Christen und Muslime, Gläubige einer Gemeinde zu sein: Sie „handeln“ im Namen des Glaubens an einen Schöpfer, berufen sich auf dieselben Bücher, nennen dieselben Protagonisten und man versteht die ganze Aufregung nicht. Diese eine Gemeinde hat ihre Herkunft in einer wasserarmen Wüstenregion, die unserem bewaldeten Habitat diametral entgegengestellt scheint. Während die Heimat von Jesus, Mohammed und dem noch nicht erschienen Messias also nach Regen und damit nach Erlösung dürstet, wandern wir durch dichte Wälder und Heiden und müssen unseren Garten regelmäßig vor wild wachsendem „Unkraut“ befreien. Da benimmt sich der deutsche Muslim nicht anders als sein jüdischer oder christlicher Mitbürger und Nachbar. Und der Atheist fragt sich, welche Konflikte hier auf dem Rücken der Religion „beackert“ werden.

Wenn die Absicht sozio-ökonomischer Kalküle entlarvt werden soll, dann schielt der Skeptiker auf die Entscheidungen, die die Regierenden treffen. Eine aktuelle Reaktion auf den sich breit machenden „Islamismus“, sowie der Wirtschafts-Krise ist das Infragestellen der europäischen Einigung. Selbst erfahrene Historiker missachten ihr eigenes Fach und sehen keine einigende Idee. Dass Europa nicht an der Idee, sondern vielmehr an den Egoismen der nationalen sozio-ökonomischen Wortführer leidet, scheint offenbar. Die Proteste der Bürger richten sich im Generellen auch nicht gegen Europa, sondern ihres Missbrauchs durch deren nationale Elite. „Die Illusion besteht darin, zu verkennen, dass es der Staat ist, der den trügerischen Schein einer politischen Entscheidung konstruiert, indem er beim formbaren Material der allgemeinen Orientierungslosigkeit ansetzt.“ Das Zitat stammt aus Alain Badiou´s philosophisch-politischen Pamphlet „Wofür steht der Name Sarkozy?“ Badiou antwortet kurz und bündig: Das System Sarkozy steht (stand) für Angst: Eine undefinierte und primitive Angst vor dem jeweiligen Anderen. Wem also nützt diese populistische Inszenierung von „Apokalyptikern und Integrierten“ (Umberto Eco)?