Glosse

Gibt es eigentlich „den Islam“?

Diese Frage wird gegenwärtig heiß diskutiert. Die einen sagen „ja“, die anderen „nein“. Wo liegt die Wahrheit? Anja Hilscher ist dieser Frage nachgegangen und kommt zu einem klaren Ergebnis.

Gibt es eigentlich „den Islam“? Die meisten Nichtmuslime rechnen sich in der Islam-Diskussion einer von zwei Fraktionen zu. Fraktion Nummer eins vertritt die Ansicht: „Den Islam gibt’s!“ Und darunter verstehen sie den Islam der Fanatiker, die nicht nur optisch großen Wert auf Abgrenzung vom Rest der (ungläubigen) Welt legen. Mindestanforderung, um sich zu diesen zählen zu dürfen, ist, gewaltsam den Kalifatsstaat einführen zu wollen. Oder auch mittels perfider Unterwanderung – wie sich’s halt gerade anbietet. Angehörige besagter Fraktion Nummer eins legen großen Wert auf sprachliche Feinheiten. So sind die zwei Ausrufezeichen ein wichtiger Bestandteil ihrer These. Des Weiteren achtet man darauf, stets lediglich vom „Islam“ zu sprechen, nicht etwa vom „wahren Islam“. Das würde nämlich suggerieren, dass es überhaupt noch einen anderen als „den Islam“ geben kann. Wenn auch einen Falschen.

Dem gegenüber steht die Fraktion zwei. Die hat auch eine These. Eine, die ihre Vertreter aber selbstverständlich nicht als These, sondern vielmehr als letzte Wahrheit betrachten, genau wie im Fall der Fraktion eins. Ist ja auch meistens so. Diese lautet (wer hätte es gedacht?): „Den Islam gibt’s nicht!!“ Muslimen ist diese Fraktion irgendwie lieber. Obwohl sie diese Ansicht in Wirklichkeit nicht teilen. Aber die Leute sind halt netter, und irgendwie kann man sich’s ja auch nicht mit allen verscherzen. Zumal, wenn man nicht vorhat, in absehbarer Zeit auszuwandern oder den Märtyrertod zu sterben. Die „Den-Islam-Gibt’s-nicht-Leute“ gehen in der Regel davon aus, dass der Islam durch die Umsetzung durch Muslime überhaupt erst ins Leben gerufen wird. Wenn also alle Muslime auf dem Erdenrund sich bemüßigt fühlen, Terrorattentate durchzuführen, dann ist „der Islam“ eben eine Religion der Terrorattentate. Und wenn alle Muslime mit Gottes Gnade irgendwann hoch spirituelle, tolerante, nette und kreative Menschen werden, dann wird „der Islam“ dereinst eine hoch spirituelle, tolerante und nette Religion sein.

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Imageproblem, das Buch von Anja Hilscher, erscheint am 23. April 2012.

Obwohl Muslime, wie gesagt, diese Ansicht gar nicht teilen, wertschätzen sie die gute Absicht der „Den-Islam-Gibt’s-Nicht-Leuten“. Ziemlich dumm, wenn dann doch irgendwann raus kommt, dass Muslime in Wirklichkeit inhaltlich der Aussage ihrer Erzfeinde, also Kategorie Nummer eins, eher zustimmen können. Natürlich glauben Muslime, dass es den Islam gibt. Also, so im Sinne einer himmlischen Blaupause, die nach Erschaffung der Erde irgendwo zwischen Strato- und Mesosphäre hinterlegt wurde und seitdem in der Umlaufbahn kreist. Also, so dieser Ur-Koran, an den Muslime glauben. Oft genug auch buchstäblich. Aber nicht immer. Jedenfalls glauben gläubige Muslime, dass es Dinge und Verhaltensweisen gibt, die nicht im Einklang mit den Lehren ihrer Religion stehen, also definitiv nicht „Islam“ sind. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Ein Arschloch zu sein, ist zum Beispiel nach Ansicht der meisten Muslime nicht islamisch. Ich denke, auf diesen kleinsten gemeinsamen Nenner kann man sich einigen. Zumal, wenn man nicht näher definiert, was das konkret bedeutet. Sogar Terroristen würden sich dem wahrscheinlich anschließen – obwohl ich da nicht ganz sicher bin. Ganz ehrlich nicht. Vielleicht haben die auch so einen Terroristen-Katechismus, wo drin steht:

  1. Sei in Feindesland ein Arschloch
  2. Verhalte dich im Land der Ungläubigen stets ungerecht und grausam
  3. Lüge und heuchle schon aus Prinzip und greif Hartz-IV ab, so viel geht, um die Kuffar in jeder Hinsicht zu schädigen.

Und so weiter. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, ob so was nicht doch drin steht, in diesen Handbüchern.

Also, noch mal zum Mitschreiben. Muslime glauben, dass es den Islam schon irgendwie gibt. Also eine Lehre, die von einem Gott stammt, der zu Beginn von 113 von 114 Suren darauf hinweist, dass er der „Allbarmherzige“ ist. Eine Lehre, die von einem absolut gerechten Gott stammt, und die im Einklang mit den Gesetzen der Natur, einschließlich menschlicher Bedürfnisse und dem Gewissen steht. Siehe Sure 91. So. Deshalb kann man wohl davon ausgehen, dass alles, was nicht barmherzig, ungerecht, widernatürlich und im Widerspruch zu Gewissen und gesunden Menschenverstand steht, nicht im Sinne des Erfinders, ergo nicht islamisch ist, oder? In diesem allgemeinen Sinne glauben Muslime auf jeden Fall, dass es „den Islam“ gibt.

Von daher wäre es der Völkerverständigung äußerst dienlich, darauf zu verzichten, einfach mal so dreieinhalb Wörter abzusondern: „Den Islam gibt’s!“, um damit eine endlose, auf Missverständnissen beruhende, völlig sinnfreie Diskussion auszulösen. Eine, deren oberste Regel ist, dass alles durcheinander schreien muss und keiner der Beiträge das vorgegebene Maß von dreieinhalb Wörtern überschreitet. Was besagt dieser Satz: „Den Islam gibt’s!“?? Ist besagter Islam eine bis in kleinste Details, einschließlich Kopftuchdichte, geregelte und für alle Zeiten und Situationen gültige Lebensweise? Mit welcher selbstredend auch dem Rest der Welt zwangsbeglückt werden muss? Wenn Muslime denselben Satz sagen, meinen sie damit in der Regel genau das Gegenteil. Nämlich, dass sie an einen Islam glauben, der flexibel und lebendig ist und in dessen heiligem Buch es heißt: „Kein Zwang im Glauben!“ Ist es denkbar, dass eine völlig rigide, auf Lebensumständen, die vor 1400 Jahren in einer anderen Kultur vorherrschten, basierende und das ganze Leben reglementierende Gesetzesreligion von einem Gott stammt, der von sich selbst sagt, er offenbare sich „jeden Augenblick in neuem Glanz“? Sorry, Kinder, aber das geht nicht zusammen. Alles, was recht ist! Klar gibt’s den Islam. Aber nicht euren!