Mehrstaatigkeit

Abschaffung der Optionspflicht

Seit Jahren herrscht ein politischer Streit um die Abschaffung der Optionspflicht. Eine Reihe von Gründen spricht für die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft, schreibt Şükrü Uslucan.

Kinder ausländischer Eltern, die durch ihre Geburt in Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft erhielten, zusätzlich aber auch die ihrer Eltern innehaben, müssen sich zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. Diese Regelung ist seit ihrer Verabschiedung 1999 politisch umstritten. Bisher sind alle Gesetzesinitiativen zur Abschaffung der Optionspflicht gescheitert.

Auf dem Integrationsgipfel Ende Januar forderten Vertreter von Migrantenorganisationen und Oppositionsparteien erneut die Abschaffung dieser Regelung. Am 9. Februar hat die SPD den Antrag „Staatsangehörigkeitsrecht modernisieren – Mehrfache bzw. doppelte Staatsbürgerschaft ermöglichen“ im Bundestag eingereicht. Nach Abschluss der Beratungen wurde der Antrag dem Rechts- und Innenausschuss zur weiteren Beratung überwiesen.

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Anlass dieser Initiativen sind die Vorwirkungen des Optionsmodells. Im Laufe des Jahres 2008 ist der Geburtsjahrgang 1990 volljährig geworden, weshalb die Betroffenen von den Einwohnermeldeämtern angeschrieben wurden. Ab dem Jahr 2013 droht hier ein von Amts wegen zu betreibendes Entzugsverfahren (§ 34 Abs. 1 StAG). Bis 2018 müssen sich dann all jene rund 50.000 jugendlichen Mehrstaater für eine Staatsbürgerschaft entschieden haben, um diesem Entzugsverfahren zu entgehen.

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums wird die Zahl der Optionspflichtigen zum Jahr 2025 sogar auf rund 320.000 steigen. Es wird angenommen, dass ein Großteil der betroffenen Personen eine Beibehaltungsgenehmigung beantragen und/oder gerichtlich gegen den Verlust der Staatsangehörigkeit vorgehen wird. Ferner ist davon auszugehen, dass in einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Fällen die Mehrstaatigkeit auch nach Abschluss des aufwendigen Optionsverfahrens nicht verhindert wird, weil etwa die Voraussetzungen für die Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung vorliegen. So sind zahlreiche Unzumutbarkeits- bzw. Härtefälle gesetzlich vorgesehen. Dies ist etwa der Fall, wenn durch die Aufgabe der anderen Staatsangehörigkeit besondere persönliche oder finanzielle Nachteile drohen.

Dementsprechend fordern auch zahlreiche Rechtsexperten die Streichung des Optionsmodells. Zwar meinen sie allesamt, dass diese Regelung nicht eindeutig verfassungswidrig sei. Die meisten teilen jedoch die Einschätzung, dass die Optionspflicht rechts- wie integrationspolitisch kontraproduktiv sei und ein „bürokratisches Monstrum“ darstelle. Auch nahezu alle Bundestagsparteien und zahlreiche Migrantenorganisationen plädieren für eine Abschaffung der Optionspflicht.

Anders sieht dies ein Großteil von CDU/CSU. Hier überwiegt die Auffassung, dass die Fälle, in denen die Mehrstaatigkeit bereits jetzt zugelassen wird, ausreichend seien. Zuletzt hat diese Position Stephan Mayer, Vorsitzender des CSU-Innenarbeitskreises, Anfang Februar im Bundestag vertreten. Mayer zufolge könne eine Einbürgerung erst am Ende eines erfolgreichen Integrationsweges stehen. Auch müsse niemandem die deutsche Staatsbürgerschaft „aufgedrängt“ werden, wenn er die andere nicht abgeben will. Inzwischen erkennen aber auch Teile der CDU, dass es einer Regelung bedarf, welche den Bedürfnissen der Betroffenen nach einer Beibehaltung gerecht wird. So hat sich etwa der Berliner CDU-Landesverband gegen den Optionszwang ausgesprochen. In der am 17. November 2011 geschlossenen Koalitionsvereinbarung mit der SPD ist die Unterstützung des Berliner Senats für die Abschaffung des Optionszwangs im Staatsangehörigkeitsrecht vorgesehen.

Kritik am Optionsmodell
Im Ergebnis verursacht das Optionsmodell nicht nur einen unverhältnismäßig hohen bürokratischen, sondern auch emotionalen Aufwand wegen des damit verbundenen Entscheidungszwanges zwischen beiden Staatsangehörigkeiten. Allerdings ist in vielen anderen Fällen die Mehrstaatigkeit (völker-)rechtlich zugelassen, etwa in gemischt-nationalen Ehen. Schließlich sind alle (völker-)rechtlichen Problembereiche der Mehrstaatigkeit (wie z. B. Wehrpflicht, diplomatischer Schutz, Ehe- und Familienrecht, Kollisionsfälle im internationalen Privatrecht) weniger dramatisch als oftmals diskutiert. Hinzu kommt, dass für sie zum größten Teil bereits Lösungen gefunden wurden oder sie ohne weiteres durch zwischenstaatliche Vereinbarungen gelöst werden können.

Endlich zur Kenntnis zu nehmen wäre auch, dass die Sozialisationsannahmen, die das Abstammungsprinzip als allgemein akzeptiertes Verleihungskriterium begründen, hierzulande kaum noch voll zutreffen. Deshalb sollte ergänzend das Geburtsortsprinzip gelten. Denn das Optionsmodell als „Zwischenlösung“ unterstellt über Gebühr, dass die Loyalität und Integrationsfähigkeit von in Deutschland geborenen und/oder aufgewachsenen Kindern mit zwei ausländischen Elternteilen, die zumeist seit Jahrzehnten im Inland leben, zweifelhafter ist als jene aus gemischt-nationalen Ehen, in denen die Mehrstaatigkeit völkerrechtlich hinzunehmen ist. Es kann jedoch nicht durchweg behauptet werden, dass Erziehungsberechtigte ohne deutschen Pass schlechter integriert sind als jene mit deutscher Staatsangehörigkeit. Ein großer Teil derjenigen, die alle Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllen, nehmen die deutsche Staatsangehörigkeit nur deswegen nicht an, weil sie zur Aufgabe ihrer ursprünglichen Staatsbürgerschaft gezwungen werden. Daraus ein Integrationsniveau abzuleiten ist unzulässig.

Alternative
Pragmatischer und unideologischer wäre statt der Optionslösung die „generationale“ Hinnahme der Mehrstaatigkeit. Die Staatsbürgerschaft des Herkunftslandes könnte demnach so lange akzeptiert werden, wie die eigene Migrationserfahrung noch fortbesteht oder Teil der erzählten Zuwanderungsgeschichte ist. Demnach sollte mindestens bis zur dritten Generation eine Hinnahme ohne weiteres auf Antrag erfolgen dürfen. Ab der vierten und spätestens fünften Generation sollte die andere Staatsbürgerschaft nur beibehalten werden, wenn tatsächlich noch hinreichende Bindungen zum ehemaligen Herkunftsland bestehen und diese auch nachgewiesen werden, z. B. durch Immobilien, Investitionen oder enge Kontakte zu Familienmitgliedern.

Selbst die türkische Regierung erwägt inzwischen, ihr Staatsbürgerschaftsrecht entsprechend zu ändern. Der Vorteil einer solchen Praxis bzw. Vereinbarung wäre, dass dann die Einbürgerungsverfahren deutlich verkürzt werden könnten. Auch würden sie weniger bürokratisch ablaufen. Mit einer solchen Änderung würde die Bundesrepublik endlich den vielfältigen Forderungen auf der Ebene des Europarates nachkommen, ihr Staatsbürgerschaftsrecht in diesem Punkt dem Migrationskontext anzupassen.