Ein Fremdwoerterbuch

Der neue muslimische Mann

Die Nachfrage nach polygamen Ehen geht vor allem von Frauen aus, nicht von Männern. Das sagen jedenfalls muslimische Partnervermittler in der ganzen Welt. Kübra Gümüşay überrascht das.

Schockiert schaute ich Marie an. Meine französische Freundin meinte es ernst: „Ich will am liebsten in einer polygamen Ehe leben.“

In einer Rastafari-Gemeinschaft hatte sie sich in den verheirateten Leiter verliebt und er sich in sie. Seine Frau, die Wochen später dazukam und die Marie als „unheimlich stark und mütterlich“ bewunderte, bekam mit, was los war, und verbannte Marie.

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Seitdem lebt sie mit diesem Traum: „Ein starker Denker mit seiner starken Erstfrau und ich. Er wird mein Mann, sie eine Schwester. Mit meinen Kindern werde ich manchmal mit ihnen leben, meist aber unabhängig durch die Welt ziehen.“

Die nächsten Tage versuchte ich, ihr diese Idee auszureden: „Wie willst du so ein Paar finden? Und wie soll das je harmonisch funktionieren?“

Eine Dokumentation hatte kurz vorher gezeigt, wie stark Erstfrauen in polygamen Ehen unter der Existenz der Zweitfrauen psychologisch leiden – unabhängig davon, wie etabliert diese Lebensweise in ihrer Kultur ist. „Auch im Islam“, erzählte ich, „darf man eine polygame Ehe nur dann eingehen, wenn der Mann unter anderem garantieren kann, dass er alle Frauen gleich behandeln werde. Und welcher Mensch kann das schon?“ Doch Marie blieb dabei.

Dann las ich kürzlich, dass erfolgreiche, studierte und karrierebewusste muslimische Frauen in England freiwillig polygame Ehen eingehen – weil es ihnen an muslimischen Männern fehle, die mit ihrem Erfolg mithalten oder umgehen könnten.

„Die Nachfrage nach polygamen Ehen geht vor allem von Frauen aus, nicht von Männern“, sagt Mizan Raja, Organisator von muslimischen Partnervermittlungsveranstaltungen in der ganzen Welt.

Überrascht las ich zu Hause in Oxford diese Nachricht. Ausgerechnet emanzipierte Musliminnen suchen sich diesen Lebensentwurf aus? Leider ist das gar nicht so überraschend, wie es klingt. Seit einigen Monaten führe ich zusammen mit einer Berliner Freundin nebenher eine private muslimische Single-Datenbank. Mission: Verkupplung. Allerdings: Auf 14 Frauen kommen durchschnittlich 3 Männer.

Nicht, dass es nicht genug muslimische Männer gäbe. Das Problem ist vielmehr die gewünschte Mischung aus Erfolg, Identität und Religiosität.

Eine Single-Freundin beschrieb mir ihre Lage: „Muslimische Männer gehen immer ins Extreme. Entweder spielen sie den superstrengen Heiligen oder schmeißen ihren Glauben beim Verlassen der Haustür in die Tonne. Entweder sind sie studiert, erfolgreich, aber dafür hyperassimiliert und wollen um keinen Preis als ausländisch oder gar muslimisch erkannt werden; oder sie lassen die Uni links liegen und lassen stattdessen überall den Muslim oder den Ausländer raushängen. Kann es denn so schwer sein, sich in der goldenen Mitte zu bewegen?“

Vielleicht nicht, aber es fehlt an Vorbildern. Jedenfalls an männlichen. Denn viele muslimische Frauen – mit und ohne Kopftuch – schaffen es, Erfolg, Religiosität, Tradition und das Leben in einem westlichen Wertesystem miteinander zu vereinbaren. Könnte ja auch ein Vorbild für Männer sein.