Zur Studie "Junge Muslime in Deutschland"

„Solche Spielchen sind Alltag im politischen Geschäft und Strategie“

Die vom Bundesinnenministerium in Auftrag gegebene Studie „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ hat für großes Aufsehen gesorgt. Insbesondere das Ergebnis, dass sich ein Viertel der jungen nichtdeutschen Muslime nicht integrieren wollen wurde dabei in der medialen Öffentlichkeit diskutiert. Ein Gespräch mit dem Islam, Medien- und Politikwissenschaftler Ulrich Paffrath:

Von Freitag, 30.03.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 01.12.2015, 9:25 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

MiGAZIN: Was waren für Sie die zentralen Ergebnisse der Studie?

Ulrich Paffrath: Nun zunächst einmal muss festgehalten werden, dass im Gegensatz zu der bisherigen Berichterstattung die Studie nicht nur ein Ergebnis produziert hat, sondern eine Vielzahl sehr erwähnenswerter Ergebnisse.

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Lassen Sie mich hier vor allem auf zwei Aspekte eingehen. Zum einen sind dies methodische Dinge, die bei der Präsentation zu sehr unterschiedlichen Wahrnehmungen führen können. Zum anderen ist dies die Art und Weise, wie bestimmte Ergebnisse der Studie in die Öffentlichkeit gelangten und zwar noch vor der offiziellen Vorstellung durch Herrn Friedrich. Innerhalb des politischen Betriebes sind solche Dinge meist kein Zufall, sondern Ausdruck einer politischen Strategie. Das soll kein Plädoyer für Verschwörungstheorien sein. Solche „Spielchen“ sind Alltag im politischen Geschäft und es lohnt sich meiner Meinung nach, die Logik solcher Strategien stets zu reflektieren.

Was genau meinen Sie mit der „Strategie“?

Paffrath: Ein Ergebnis der Studie war ja, dass ca. ein Viertel der jungen nichtdeutschen Muslime integrationsverweigernde Einstellungen vertreten. Einem sehr großen deutschen Boulevardblatt lag bereits einen Tag vor der offiziellen Vorstellung der Studienergebnisse dieses Teilergebnis exklusiv vor, so dass diese Zeitung entsprechend berichtete.

Am Tag der offiziellen Vorstellung der Studie appellierte nun der amtierende Bundesinnenminister an die Medien, die Studienergebnisse nicht einseitig negativ darzustellen, sondern differenziert auch über die vielen positiven Ergebnisse der Studie zu berichten. Muslime dürften nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Gleichzeitig warnte er vor Radikalisierungstendenzen bei jungen Muslimen.

Was schließen Sie daraus?

Paffrath: Abseits aller realitätsfernen Verschwörungstheorien sollte dem kritischen Beobachter klar sein, dass solche dramaturgischen Abfolgen bei der Interaktion von Medien und Politik in den seltensten Fällen zufällig geschehen, sondern vielmehr einem taktischen Kalkül folgen. Das „Durchsickern“ von negativen Teilergebnissen an die besagte Zeitung und der spätere Aufruf des Bundesinnenministers zur ausgewogenen Berichterstattung über Muslime sind meiner Meinung nach schlichtweg eine politische Taktik, bei welcher es um folgende Kalküle ging:

Ulrich Paffrath, geb. 12.07.1977, Studium der Sozial-, Politik- und Medienwissenschaften in Düsseldorf, Schwerpunkte: Islam, Migrationssoziologie, Konfliktforschung, Halal Ernährung und Integration.

Durch die Übermittlung (in Form eines „Durchsickerns“) des öffentlichkeitswirksamen negativen Teilergebnisses der Studie kann der politische Akteur (in diesem Falle der Bundesinnenminister) gezielt die mediale Agenda für einen kurzen, aber ausreichenden Zeitraum in seinem Sinne steuern, ohne unmittelbar als Scharfmacher dazustehen, der die Angst vor Muslimen schürt. Denn in der Außenwirkung hat nicht direkt der Bundesinnenminister dieses Ergebnis hervorgehoben, sondern eben eine der größten Boulevardzeitungen. Darüber hinaus handelt es sich um ein wissenschaftlich fundiertes Ergebnis und nicht um eine Meinungsäußerung des Innenministers. Der Vorteil für die Medien bzw. die in diesem Fall profitierende Zeitung ist die Exklusivität der Nachricht und somit die Gewährleistung des finanziellen Profits durch eine entsprechende Auflage. Darüber hinaus ist das „Durchsickern“ der Ergebnisse in Richtung einer bestimmten Zeitung sicherlich förderlich für deren Image als relevantes Leitmedium. Nachdem nun exklusiv über das vom Bundesinnenminister vermutlich gezielt gesetzte Ergebnis berichtet wurde, ruft dieser bei der offiziellen Vorstellung der Ergebnisse der Studie einen Tag später die Medien zur ausgewogeneren Berichterstattung auf und versucht, sich somit unangreifbar zu machen, indem er quasi den „schwarzen Peter“ den Medien zuschiebt. Und ebenfalls lassen die teilweise undifferenzierten Reaktionen der übrigen politischen Akteure, welche Herrn Friedrich im Sinne ihrer politischen Vorteile angreifen und damit ihren politischen Profit aus dem Vorfall ziehen wollen, nicht lange auf sich warten. Verwiesen sei hier u.a. auf die Aussage, die Studie produziere keinerlei Erkenntnisse.

Es bleibt offen, ob man die hier vermutete Strategie als aufgegangen bezeichnen kann, da der Bundesinnenminister dennoch als Scharfmacher kritisiert wurde und auch das Zuspielen von Teilergebnissen als Strategie bezeichnet wurde. Wenn es sich hier wirklich um eine konkrete Strategie gehandelt hat, dann dürfte diese auch als nicht sehr komplex und geschickt bezeichnet werden. Die Logik zeigt jedoch, dass eine solche Strategie meistens eine win-win Situation sowohl für den politischen Akteur als auch für die Medien darstellt, so dass es sich lohnt, solche taktischen Manöver stets genau zu reflektieren und zu hinterfragen.

Kommen wir zurück zu den konkreten Ergebnissen der Studie. Was sagen Sie dazu?

Paffrath: Da es sich um eine sehr umfangreiche Studie handelt, dauert es auch etwas länger, sich vertiefend mit den Methoden und den Ergebnissen zu befassen. Mir sind aber noch zwei überwiegend methodische Aspekte sehr wichtig, die meiner Meinung nach vor jeder Ergebnispräsentation erwähnt werden müssen. Denn je nachdem, wie Sie Ergebnisse öffentlich präsentieren, können Sie ganz unterschiedliche Wirkungen erzeugen.

Würden Sie uns das etwas genauer erläutern?

Paffrath: Zunächst einmal ist wie bei vielen anderen Studien anzumerken, dass es sich nicht um eine repräsentative Studie handelt. Insofern sind Rückschlüsse auf die sogenannte „Grundgesamtheit“ (hier also alle in Deutschland lebende Muslime) nicht möglich. Denn diese Grundgesamtheit ist schlichtweg nicht bekannt. Insofern sind dann Aussagen wie „ein Viertel der jungen nichtdeutschen Muslime wollen sich nicht integrieren“ nur in Bezug auf die innerhalb der Studie befragten Personen zutreffend. Eine Darstellung, nach welcher sich dieses Viertel auf alle jungen nichtdeutschen Muslime in Deutschland bezieht, ist daher schlichtweg falsch und suggeriert ein gefährliches Zerrbild. Eine Überschrift wie „ca. 120 nichtdeutsche Muslime im Alter zwischen 14 und 32 Jahren innerhalb der Stichprobe sind integrationsunwillig“ wäre sicherlich nicht so öffentlichkeitswirksam bzw. prägnant gewesen. Und genau dies beinhaltet eine weitere Gefahr. Nämlich die Verwendung von Prozentwerten bei der Darstellung von Studienergebnissen.

Haben Sie ein Beispiel für uns?

Paffrath: Ein Beispiel: ca. 25 % der nichtdeutschen Muslime sind integrationsunwillig suggeriert, dass es sich um eine enorme Menge handeln muss. Iinsbesondere dann, wenn man die Ergebnisse so liest, dass es 25 % aller nichtdeutschen Muslime in Deutschland sind. Dies wäre zweifelsohne eine erschreckende Zahl.

In absoluten Zahlen dürften es aber laut Studienergebnis ca. um die 120 Personen sein. Bezogen auf die Millionen Muslime in Deutschland ist dies eine verschwindend geringe Zahl. Dies soll verdeutlichen, welche enormen Unterschiede hinsichtlich der Außenwirkung entstehen können, je nachdem wie man ein und dasselbe Ergebnis darstellt. Hierfür bietet das exemplarisch dargestellte Teilergebnis der Studie „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ ein sehr gutes Beispiel. Insofern wäre es ratsam, bei der Darstellung von Studienergebnissen stets die absoluten Zahlen hinter die jeweiligen Prozentwerte zu schreiben. Zumindest, wenn einem an einer differenzierten Darstellung der Ergebnisse gelegen ist. Aktuell Interview

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