Kılıçs kantige Ecke

Recht auf Familienzusammenführung

Dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Memet Kılıç ist das Recht auf Familienzusammenführung besonders wichtig. Dazu hat er eine Stellungnahme an die EU-Kommission aufgesetzt. In seiner MiGAZIN Kolumne fasst er zusammen, was seiner Meinung nach geändert werden muss.

Von Memet Kılıç Freitag, 09.03.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 14.03.2012, 7:42 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Schon vor meiner Wahl in den Bundestag war es für mich ein wichtiges Anliegen, die Familienzusammenführung zu vereinfachen. Als Jurist habe ich viele Fälle zur Familienzusammenführung behandelt. Viele Paare müssen unzumutbare und unnötige Trennungen über Jahre durchleben. Dies ist ein großes menschenrechtliches Problem. Unmittelbar nach meiner Wahl in den Bundestag erreichten mich viele Beschwerden wegen der restriktiven Einwanderungsregelungen beim Ehegattennachzug. Die Beschwerden erfolgen immer noch, in Form von Briefen, Anrufen und eingereichten Petitionen.

Gemeinsam mit Kollegen habe ich eine Stellungnahme zum Diskussionspapier (Grünbuch) der Kommission zum Recht auf Familienzusammenführung von in der EU lebenden Drittstaatsangehörigen verfasst. Nächster Schritt eines solchen Diskussionspapieres (Grünbuch) ist häufig ein sogenanntes Weißbuch mit offiziellen Vorschlägen. In ihrem ersten Bericht über die Anwendung der Richtlinie [KOM(2008) 610] machte die EU-Kommission innerstaatliche Umsetzungsprobleme und Mängel in der Richtlinie aus. Deshalb hält die Kommission eine öffentliche Debatte über die Familienzusammenführung für erforderlich. Alle Interessenträger sind aufgefordert, darüber nachzudenken, wie wirkungsvollere Regeln zur Familienzusammenführung auf EU-Ebene eingeführt werden können, und verfügbare Sachinformationen und Daten zu liefern.

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Je nach dem Ausgang der Konsultation wird die Kommission entscheiden, ob konkrete politische Folgemaßnahmen erforderlich sind (z. B. Änderung der Richtlinie, Auslegungsleitlinien oder Beibehaltung der Richtlinie). Wir hoffen mit unserer Stellungnahme darauf Einfluss nehmen zu können.

Im folgenden fasse ich unsere Stellungnahme dazu zusammen.

Hinweis: Müssen die EU-Bestimmungen zur Familienzusammenführung von Migranten geändert werden? Mit dieser Frage beschäftigt sich die EU-Kommission. Konkret geht es um das Recht von Drittstaatsangehörigen, die in der EU leben. Interessenträ- ger und die Allgemeinheit sind aufgefordert, sich zu diesem Thema zu äußern unter ec.europa.eu/yourvoice (Ihre Stimme in Europa). Das GRÜNBUCH zum Recht auf Familienzusammenführung von in der Europäischen Union lebenden Drittstaatsangehöri- gen mit weitergehenden Informationen kann kostenlos heruntergeladen werden. Mehr dazu auf MiGAZIN.

Wir begrüßen das Anliegen der Kommission, wirkungsvollere Regelungen für den Familiennachzug einzuführen. Es ist das Ziel der Kommission, das Recht auf Familienzusammenführung sicherzustellen und die Integration zu erleichtern.
Unsere Stellungnahme enthält keine neuen Positionen. Alle Forderungen haben wir bereits in Anträgen oder Gesetzentwürfen gestellt und richten sie jetzt nur an die Kommission. In unserer Stellungnahme weisen wir zunächst auf Umsetzungsverstöße im deutschen Recht hin und nehmen dann Stellung zu drei weiteren Fragenkomplexen, die die Kommission im Grünbuch aufgeworfen hat.

Verstöße gegen die Richtlinie im deutschen Recht:

1. Keine Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug
Das Spracherfordernis beim Ehegattennachzug verstößt gegen die Familienzusammenführungs-Richtlinie. Das ergibt sich aus der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Chakroun sowie für assoziationsrechtberechtigte türkische Staatsangehörige aus der Entscheidung des EuGH in der Sache Toprak. Das hat die Kommission in einer Schriftlichen Stellungnahme vom Mai 2011 in dem Verfahren Imran vor dem EuGH bezüglich der dem deutschen Recht vergleichbaren niederländischen Regelung festgestellt. Die Richtlinie verbiete es den Mitgliedstaaten, Sprachtests als „Bedingung“ zu verstehen, von der das Recht auf Familienzusammenführung selbst abhängig ist.

2. Versagung des Nachzugs bei mangelnder Lebensunterhaltssicherung
Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Nur im Ausnahmefall darf nach deutschem Recht von der Voraussetzung der Lebensunterhaltssicherung abgesehen werden.

Nach der Chakroun Entscheidung darf die mangelnde Lebensunterhaltssicherung nicht zu einer Regelnachzugssperre führen. Denn Art. 17 RL 2003/86/EG fordert in allen Fällen der Ablehnung eines Antrags auf Familiennachzug eine Einzelfallabwägung.

3. 2-jährige Wartefrist für uneingeschränkte Beschäftigungserlaubnis
Gemäß § 29 Absatz 5 AufenthG kann der Zugang zum Arbeitsmarkt für nachgezogene Ehegatten von Drittstaatsangehörigen für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren eingeschränkt werden.

Die Familienzusammenführungsrichtlinie berechtigt die Mitgliedstaaten Bedingungen aufzustellen, nach welchen Familienangehörige aus Drittstaaten eine Erwerbstätigkeit ausüben können. Gemäß Artikel 14 Absatz 2 der Familienzusammenführungsrichtlinie dürfen diese Bedingungen jedoch nur eine Frist von zwölf Monaten vorsehen, in der die Mitgliedstaaten eine Arbeitsmarktüberprüfung durchführen können, bevor sie den Familienangehörigen die uneingeschränkte Ausübung einer Erwerbstätigkeit gestatten.

Regelungen der Richtlinie

1. Kindernachzug
Hinsichtlich des Kindernachzugs sprechen wir uns für die Aufhebung der beiden Standstillklauseln aus, mit denen die Mitgliedstaaten den Kindernachzug in Abweichung von den Grundregeln der Richtlinie beschränken dürfen. Die Standstillklausel gemäß Artikel 4 Abs. 6 der Richtlinie sollte bereits deswegen aufgehoben werden, weil sie von keinem Mitgliedstaat angewendet wird.

Nach der Standstillklausel gemäß Artikel 4 Abs. 1 letzter Unterabsatz der Richtlinie können die Mitgliedstaaten bei einem Kind über 12 Jahre, das unabhängig vom Rest seiner Familie ankommt, prüfen, ob es Integrationskriterien erfüllt. Deutschland hat als einziger Mitgliedstaat von dieser Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht. Nach dem restriktiven deutschen Recht dürfen Kinder ab dem 16. Lebensjahr nur nachgezogen werden, wenn sie die deutsche Sprache beherrschen – dies entspricht dem Level C 1 des GER – oder eine positive Integrationsprognose festgestellt wird.

2. Gleichstellung subsidiär geschützter Personen
Wir fordern ein uneingeschränktes Ehe- und Familienleben auch für Menschen, denen subsidiärer Schutz gewährt wird. Diese Personen halten sich nicht nur vorübergehend in Deutschland auf, sondern leben meist jahrelang hier. Trotzdem dürfen sie bislang ihre Familienangehörigen erst zu sich holen, wenn sie eine Niederlassungserlaubnis erhalten haben. Auch für sie sollten genau wie für anerkannte Flüchtlinge günstigere Bestimmungen hinsichtlich der zu erbringenden Voraussetzungen wie Lebensunterhalt, Krankenversicherung oder Unterkunft gelten. Denn sie haben in der Regel nur einen eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt.

Die Angleichung des Schutzstatus für subsidiär geschützte Personen mit Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention ist nicht nur Kernanliegen der „Asylstrategie“ der Europäischen Kommission. Dieses Ziel wurde auch durch die Bundesregierung im „Europäischen Pakt zu Einwanderung und Asyl“ sowie im „Stockholmer Programm“ bestätigt.

3. Keine Verschärfungen wegen Scheinehen
Wir begrüßen, dass die Kommission bei der Frage nach Betrugs- und Missbrauchsfällen darauf hinweist, dass Befragungen und Nachforschungen auf ein angemessenes Maß beschränkt sein müssen und folglich nicht das Recht auf Familienzusammenführung untergraben dürfen. Außerdem müssen das Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre und auf Achtung des Familienlebens gewahrt bleiben.

Um Scheinehen zu verhindern, hat der Gesetzgeber die Regelung des § 27 Abs. 1a Nr. 2 AufenthG geschaffen. Gem. § 27 Abs. 1 AufenthG ist vor der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu prüfen, ob die Ehepartner den ernsthaften Willen haben, in ehelicher Gemeinschaft zusammen zu leben. Im Übrigen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Scheinehen ein relevantes Problem in Deutschland darstellen.

Die Vollständige Stellungnahme finden Sie auf meiner Webseite. Aktuell Meinung

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  1. Udo sagt:

    Zum Ehegattennachzug gibt es auch einen Vorschlag beim „Dialog-über-Deutschland“ der Bundeskanzlerin.

    https://www.dialog-ueber-deutschland.de/DE/20-Vorschlaege/10-Wie-Leben/Einzelansicht/vorschlaege_einzelansicht_node.html?cms_idIdea=10807

  2. Dirk sagt:

    Wo wird das Thema auf ec.europa.eu/yourvoice diskutiert?