Spracherwerb kinderleicht

„Je jünger, desto besser“

Die Notwendigkeit ist bekannt: Kinder mit Migrationshintergrund sollen Deutsch sprechen. Doch wer bringt es ihnen bei und wie schwierig ist das? Die Sprachwissenschaftlerin Eva Breindl kennt die Probleme.

Von Obergruber/Nerreter Donnerstag, 02.02.2012, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 06.02.2012, 15:21 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

MiGAZIN: Frau Breindl, wie haben Sie eigentlich Deutsch gelernt?

Eva Breindl: Ich habe Deutsch spielerisch gelernt. Denn als Kind greift man auf angeborene Spracherwerbsmechanismen zurück. Darum ist es auch für Kinder mit Migrationshintergrund kein Problem, Deutsch als Zweitsprache zu erlernen. Je jünger die Kinder sind, desto besser.

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Heißt das, Kinder mit Migrationshintergrund sollten möglichst viel mit deutschen Kindern spielen?

Eva Breindl promovierte an der LMU München in Germanistik, Deutsch als Fremdsprache und Italianistik. Im Auftrag des bayerischen Kultusministeriums hat sie rumäniendeutsche Lehrer geschult. Besonders in ihrem Schwerpunkt Deutsch als Fremdsprache hat sie einige Veröffentlichungen zur Grammatik herausgebracht. Seit November 2010 ist sie Professorin für germanistische Linguistik mit Schwerpunkt Deutsch als Fremdsprache an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen.

Breindl: Ja, das ist sehr wichtig. Kinder, die hier in Deutschland aufwachsen und an der Gesellschaft teilhaben wollen, müssen selbstverständlich die Landessprache beherrschen. Das funktioniert vor allem dann, wenn sie der deutschen Sprache frühzeitig ausgesetzt werden. Der Kindergarten ist hierfür das ideale Umfeld. Bei einer normalen Entwicklung erlernen die Kinder die Zweitsprache bis zum Schuleintritt. Gerade der Erwerb der Grammatik verläuft in diesem Alter rasant.

Ist es dann für Kinder mit Migrationshintergrund besser, wenn auch zu Hause Deutsch gesprochen wird?

Breindl: Das muss nicht unbedingt sein. Wenn die Eltern keine Muttersprachler sind, besteht sogar die Gefahr, dass sich die Kinder gerade davon eine falsche Grammatik aneignen. Dabei funktioniert es wunderbar, wenn man eine Familiensprache hat, die nicht Deutsch ist. Denn Kinder sind mühelos dazu in der Lage, mehrere Sprachen gleichzeitig zu erlernen. Sie müssen dazu nicht komplett mit einer Sprache in Berührung kommen. Wichtig ist nur, dass das Kind in Situationen kommt, in denen es die Sprache sprechen muss.

Wie kommt ein Kind in solche Situationen?

Breindl: Dafür gibt es in Kindergärten sprachfördernde Maßnahmen. Geschultes Erzieherpersonal und Sprachpädagogen betreuen die Kinder in Kleingruppen.

Wie läuft diese Betreuung ab?

Breindl: Zunächst stellen Pädagogen fest, inwieweit die Kinder in ihrer sprachlichen Entwicklung fortgeschritten sind. Je nach Entwicklungsstand hilft man den Kindern die nicht vorhandenen Sprachkenntnisse auszubauen. Sie sollten in Situationen gebracht werden, in denen sie sich spielerisch verständigen müssen. Dabei ist besonders wichtig, dass das Sprachangebot vielfältig und individuell auf das Kind abgestimmt ist. Die Integration verläuft auf diese Art und Weise spielerisch – so wie es eigentlich sein sollte.

Können diese Aufgaben von einer Lernsoftware übernommen werden?

Breindl: Vielleicht kann eine Lernsoftware ein zusätzliches Angebot sein, um den Wortschatz auszubauen. Wozu sie sicherlich nicht taugt, ist die Förderung des ganzheitlichen Spracherwerbs, insbesondere der Grammatik. Ob man dreijährige Kinder überhaupt vor den Computer setzten sollte, halte ich für durchaus diskutabel. Für mich besteht die Gefahr, dass die Software als Beruhigungspille dient – ein Etikett „Wir tun ja was für die Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund“. Das könnte dazu verleiten, weniger Geld für Sprachförderung auszugeben.

Kinder müssen also individuell gefördert werden. Ist das bei Kindern mit Migrationshintergrund schwieriger als bei Deutschen?

Breindl: Nein, das kann man so nicht sagen. Die sprachliche Entwicklung hängt von vielen Faktoren ab, zu denen das Alter, die Familiensituation und die Familiensprache gehören. Auch die Umgebung, in der die Kinder leben, beeinflusst den Spracherwerb. Verzögerungen in der Sprachentwicklung sind ganz normal, da die Kinder eine Zweitsprache erlernen. Es ist auch völlig in Ordnung, wenn sie in diesem Alter die Sprachen vermischen. Die drei Jahre bis zum Schuleintritt reichen aus, dass die Satzstruktur in Ordnung ist. Einen umfangreichen Wortschatz und komplizierte Satzstrukturen müssen sich auch deutsche Kinder in diesem Alter erst noch aneignen. Aktuell Interview Videos

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  1. Mathis sagt:

    Ja,ja,ja,ja,………………..
    Das alles ist bekannt!
    Wer jetzt noch die Frage beantworten kann, wie wir alle 3jährigen Kinder, die das dringend brauchen, auch in die Kindergärten hinein kriegen, kriegt den Integrationspreis!
    Es gibt keine Kindergartenpflicht in Deutschland! Und die Erkenntnisse von Pädagogen,Entwicklungspsychologen und Sprachwissenschaftlern sind in den entsprechenden Familien eher nicht bekannt.
    Was nun?

  2. Tai Fei sagt:

    Na, wie wäre es mit kostenlosen Kindergartenplätzen. Solange man aber Kindergärten nur als Aufbewahrungsstelle und Erzieherinnen nicht als Pädagogen betrachtet und meint eine gute Betreuung mit Praktikanten und 1-Euro-Jobbern gewährleisten zu können, geht das natürlich in die Hose. Eine Kindertagesstätte ist eine vorschulische Einrichtung. Dort werden ebenso Wissen, Fertigkeiten als auch soziale Kompetenz erlernt. Was unterscheidet also ein Kindergarten von einer Schule?

  3. Mathis sagt:

    Das alles beantwortet nicht die Frage, wie alle die Kinder auch tatsächlich die Förderung in Anspruch nehmen können, die diese brauchen, wenn keine Verpflichtung zum Kindergartenbesuch besteht.
    Eine solche Verpflichtung gilt in unserer Gesellschaft zudem als fragwürdig und wird nicht durchsetzbar sein.

  4. Tai Fei sagt:

    Doch tut es. Ansonsten würdest Du nämlich unterstellen, das Eltern ihre Kinder absichtlich DUMM halten und jede Chance auf ein besseres Leben verbauen wollen. Nochmal Bildung ist immer eine soziale Frage und weder eine ethnische, kulturelle oder religiöse.

  5. Mathis sagt:

    @Tai Fei, kann es sein, dass Sie in meine Beiträge etwas hineindeuten, was dort nicht ist?
    Ich argumentierte gar nicht „ethnisch-kulturell“, da ich dies simplifizierend fände.Sie brauchen mich also nicht „Nochmal“ darauf aufmerksam zu machen, dass es soziale Bedingungen sind,die, das unterstelle ich allerdings, auch mit mangelndem Bewusstsein für frühzeitige „Weichenstellungen“ einher gehen können.
    Wäre dem nicht so, hätten wir dieses Thema ja schon längst nicht mehr im Fokus.

  6. Mika sagt:

    Selbst wenn man alle Kinder in den Kindergarten bekommt und es auch kostenlos wäre, wie fördert man die Kinder entsprechend dem Entwicklungsstand? Es gibt leider nicht genügend Erzieher mit den geforderten Kenntnissen und Fähigkeiten. Wie bereits Tai Fei anmerkte, es wird lediglich mit Praktikanten und Ein-Euro-Jobbern überbrückt, und das kann es auch nicht sein. Hier gibt es mehrere Baustellen, die es zu bekämpfen gilt!

  7. Pingback: Frühe Förderung – Ein Küken sucht seine Mama | MiGAZIN

  8. Dafna sagt:

    Anmerkung als Sprachwissenschaftlerin, die sich auch mit Erstspracherwerb beschäftigt hatte: man sollte ’spezielle Fördermaßnahmen‘ nicht in den Vordergrund stellen. Wenn man das tut, sieht man sich – mal wieder – mit einem sozialpolitischen Problem konfrontiert. Wichtiger ist, wie schon hier bemerkt, daß alle Kinder 3 Jahre im Kindergarten verbringen, wo in erster Linie Deutsch gesprochen wird. So lernen sie die Sprache von selbst! Diese Fähigkeit des Menschen, gerade bis in das Alter von etwa 6J. Sprache zu erwerben, ist schon seit Jahrzenten erforscht und bewiesen.
    Auf dieser wissenschaftlicher Grundlage: Alle Kinder in den Kindergarten schicken!