Sprachförderung

Politischer Aktionismus ohne nennenswerte Erfolge

Der Staat gibt viel Geld für die Sprachförderung der Kinder aus. Ohne nennenswerte Wirkung, wie aus einem Diskussionspapier des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung hervorgeht. Das meiste sei „politischer Aktionismus“.

Montag, 23.01.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Der Bedarf an frühkindlicher Sprachförderung ist hoch: Jedes zweite bis dritte Kind mit Migrationshintergrund, aber auch etwa jedes zehnte Kind, das mit Deutsch als Muttersprache aufwächst, weist im Vorschulalter Sprachdefizite auf und dürfte daher ohne zusätzliche Förderung Probleme haben, dem Schulunterricht zu folgen.

Zu Hause: Muttersprache
Um dem entgegenzuwirken haben mehrere Bundesländer Prestigeprojekte gestartet und viel Geld investiert. Was unter dem Strich aber dabei herauskommt, ist mehr als ernüchternd. Zu diesem Schluss kommt das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.

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Zunächst erteilen die Wissenschaftler der politischen Forderung, Eltern mit Migrationshintergrund sollten mit Ihren Kindern deutsch sprechen, eine Absage. Es sei nicht empfehlenswert, dass „Eltern mit ihrem Kind eine Sprache sprechen, die sie selbst nicht auf annähernd muttersprachlichem Niveau beherrschen. Versuchen sie es dennoch, besteht die Gefahr, dass das Kind weder die deutsche noch die Erstsprache der Eltern richtig erlernt“, so die Wissenschaftler. Aber nicht nur aus diesem Grund sollten Eltern mit ihren Kindern diejenige Sprache sprechen, die sie selbst am besten beherrschen. „Sondern auch, weil eine gemeinsame Sprache zur emotionalen Bindung beiträgt und grundlegend für die persönliche Kommunikation zwischen den Familienmitgliedern ist“, heißt es in dem Diskussionspapier des Instituts.

Hauptproblem: Soziale Segregation
Die Gründe für Sprachdefizite seien vielmehr außerhalb der Wohnung zu suchen. Ein besonderes Hemmnis für den Erwerb der deutschen Sprache sei beispielsweise die Tatsache, dass Migranten oft in Quartieren unter ihresgleichen leben. „Teils tun sie dies freiwillig, teils werden sie von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt und etwa von Vermietern diskriminiert“, so die Auswertung der Wissenschaftler.

Dabei handele es sich in erster Linie um eine soziale Segregation. Migranten haben im Schnitt ein geringeres Einkommen und einen niedrigeren Bildungsabschluss als Menschen ohne Migrationshintergrund. Erzielen Zuwanderer ein höheres Einkommen, leben sie meist in einer Gegend mit vergleichsweise wenigen anderen Migranten. Umgekehrt haben Deutschstämmige, die in Quartieren mit hohem Migrantenanteil wohnen, relativ häufig ein geringes Einkommen sowie eine geringe Bildung, und sie sind relativ häufig erwerbslos.

Personal ohne Kompetenz
Mit der soziale Segregation einhergehe auch das Problem, dass Kinder mit Migrationshintergrund meist eine Kita besuchen, in der keine Durchmischung vorhanden ist. „Für ein Drittel der Kinder mit nichtdeutscher Familiensprache ergibt sich wenig Gelegenheit, im spielerischen Umgang mit Gleichaltrigen deutsche Sprachkompetenzen zu entwickeln, weil sie eine Kita besuchen, in der die Mehrheit aller Kinder zu Hause ebenfalls kein Deutsch spricht“, so die Schlussfolgerung.

Laut Berlin-Institut ist ein weiteres Problem, dass es in den Kitas kaum Personal gibt, das selbst einen Migrationshintergrund hat. So können sich die Betreuer nicht in die Situation der Kinder hineinversetzen und ihnen speziell in der Anfangszeit helfen.

Download: Das vollständige Discussion Paper „Dem Nachwuchs eine Sprache geben“ kann auf www.berlin-institut.org als PDF-Datei kostenlos heruntergeladen werden.

Langfristige Förderung
Wie gut Sprachförderung ihre Wirkung entfalten kann, hänge von zahlreichen Rahmenbedingungen ab. Eine der größten Hürden stelle die Überwindung von Segregation in den Kitas und Stadtteilen dar. „Die Festlegung von Verteilungsquoten für die Einrichtungen und die Zuweisung von Kindern zu bestimmten Kitas wäre sinnvoll“, so die Empfehlung. Ob dies in Deutschland auch politisch durchsetzbar sei, sei eine andere Frage.

Trotz aller Kritik halten die Wissenschaftler an der Sprachförderung fest. Wünschenswert sei aber, dass Sprachdefizite nicht, wie derzeit meist der Fall, als ein Zeichen des Scheiterns betrachtet würden – sondern als Zwischenergebnisse eines Spracherwerbsprozesses. Schließlich nehme der Spracherwerb unter normalen Umständen Jahre in Anspruch, während die meisten Sprachprojekte der Bundesländer wenige Monate im letzten Kita-Jahr beschränkt sind. (sb)
Leitartikel Politik Studien

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