"Armenier-Gesetz"

Diplomatische Eiszeit zwischen Türkei und Frankreich

Die französische Nationalversammlung hat gestern Mittag ein Gesetz verabschiedet, das die Leugnung von Völkermorden unter Strafe stellt und damit auch den „Genozid an den Armeniern“ zwischen April 1915 und Juli 1916 im Osmanischen Reich. Die Türkei reagierte prompt und zieht ihren Botschafter aus Paris ab. Der türkische Ministerpräsident Erdoğan droht unterdessen mit weiteren Sanktionen.

Es war nicht der erste Versuch der französischen Nationalversammlung, ein Gesetz zu verabschieden, das die Leugnung von Völkermorden unter Strafe stellt. Bereits 1998 und 2006 hatte die französische Versammlung versucht, ein entsprechendes Gesetz durchzusetzen, war jedoch unter Druck der türkischen Staatsführung gescheitert. Die Türkei lehnt die Anerkennung des Genozids an den Armeniern vehement ab und weist auf ihre eigenen offenen Archive hin, die Interessierten zur Wahrheitsfindung zur Verfügung stünden.

Das Gesetz sieht harte Strafen vor
Diesmal glückte jedoch das Gesetzesvorhaben, das die französische UMP-Abgeordnete Valérie Boyer einbrachte. Dieses sieht ein Jahr Haft oder eine Geldstrafe von 45000 Euro für Genozidleugner vor. Das Gesetzesvorhaben hat zwar die französische Nationalversammlung passiert, muss jedoch nun dem französischen Senat zur Abstimmung vorgelegt werden. Seit Oktober 2011 wird dieser mehrheitlich von der linken Opposition in Frankreich kontrolliert. Die Zustimmung des Senats gilt derweil als Formsache, da sich kein politisches Lager vier Monate vor den Präsidentschaftswahlen den Zorn von 500000 Franzosen mit armenischem Migrationshintergrund auf sich ziehen will.

Wirtschaftliche Interessen in Gefahr

Bereits im Vorfeld hatte die Türkei Frankreich vor „dauerhaften und unwiderruflichen Konsequenzen“ gewarnt. Da beide Staaten ein Handelsvolumen von zwölf Milliarden Euro besitzen und rund 1000 französische Unternehmen in der Türkei tätig sind, müssen auch wirtschaftliche Interessen berücksichtigt werden. So warnte Außenminister Alain Juppé vor den wirtschaftlichen Folgen eines solchen Vorstoßes. Die Abgeordnete Boyer wies die Sanktionsdrohungen der Türkei als inakzeptabel zurück. Französische Geschäftsleute sollten sich von den Drohungen der Türkei nicht unterkriegen lassen, sagte Boyer nach Angaben der „Milliyet“. Unterdessen berichtet die französische Tageszeitung „Le Figaro“ unter Berufung auf politische Kreise, die dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy nahe stehen, dass er kein Öl ins Feuer werfe, sondern genau wisse, was er tue. Nach der offiziellen Anerkennung Frankreichs des Genozids an den Armeniern von 2001 habe die Türkei ebenfalls lautstark mit Sanktionen gedroht. Ein Jahr darauf sei das Handelsvolumen zwischen beiden Staaten um 30 Prozent gestiegen.

Türkei droht mit weiteren Sanktionen

Diesmal deutet jedoch alles darauf hin, dass die Wogen des Unmuts zwischen beiden Staaten nicht innerhalb eines Jahres geglättet werden können. Zumindest nicht, wenn es nach dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan geht. Dieser verkündete am gestrigen Abend in Ankara, dass alle politischen Kontakte zu Frankreich eingestellt würden. Darunter zählte Erdoğan – neben der Einberufung des türkischen Botschafters aus Paris – die Einschränkung von gegenseitigen Besuchen und Truppenübungen sowie militärischen Flügen Frankreichs über türkisches Staatsgebiet. Darüber hinaus machte Erdoğan auch deutlich, dass die Sanktionen gegen Frankreich erst der Anfang seien. „Weitere werden folgen“, sagte er. Außerdem wies er auf die französische Kolonialgeschichte, insbesondere Algerien und Ruanda hin und empfahl Frankreich seinerseits die Aufarbeitung dieser Vorfälle.

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Ungewohnt für die gegenwärtige politische Zerrissenheit in der Türkei, gibt es diesmal sogar Rückendeckung vom türkischen Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu. „Ein Land [Frankreich], das die Freiheit verteidigt, hinsichtlich der Freiheiten ein Symbol darstellt, ist nun dabei, die Meinungsfreiheit mit der Entscheidungsgewalt von Politikern in Fesseln zu legen“, sagte Kılıçdaroğlu.