Critical und Incorrect

Rassismus tötet!

Die Erklärung und Geste des Bundestages zur Mordserie rechtsextremer Terroristen war mehr als überfällig. Zu oft schon hatte man Straftaten gegen Angehörige einer Minderheit unkommentiert gelassen:

Von Donnerstag, 24.11.2011, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 28.11.2011, 0:26 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Wir trauern um Enver Şimşek und Abdurrahim Özüdoğru aus Nürnberg, Süleyman Taşköprü aus Hamburg, Habil Kibc aus München, Yunus Turgut aus Rostock, Ismal Yaşar aus Nürnberg, Theodoros Boulgarides aus München, Mehmet Kubaşık aus Dortmund, Halit Yozgat aus Kassel und Michèle Kiesewetter aus Heilbronn. Wir fühlen mit den Angehörigen der Opfer, die geliebte Menschen verloren haben. Die Unbegreiflichkeit des Geschehenen, die jahrelange Ungewissheit über Täter und ihre Motive, waren und sind eine schwere Belastung für die Betroffenen. Wir sind zutiefst beschämt, dass nach den ungeheuren Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes rechtsextremistische Ideologie in unserem Land eine blutige Spur unvorstellbarer Mordtaten hervorbringt. Wir erwarten, dass die Morde mit aller Konsequenz zügig aufgeklärt werden. Das sind wir den Opfern, ihren Familien und Freunden schuldig.“, lautet die Einleitung der Bundestagsresolution vom 22.11.2011. Auf ein solches Signal haben viele lange warten müssen!

Wie man sieht, verbleibt der Angriff nicht bei „den Anderen“, denen man sich vermutlich nicht wirklich zugehörig fühlt und weswegen Betroffenheit ausbleibt. Wir dürfen nun gespannt sein, ob es mehr als eine Geste war – schließlich hatte der Hauptverantwortliche für das Fahndungsdesaster, Innenminister Friedrich, den Bundestag frühzeitig verlassen. Dem ehemaligen Innenminister zur Zeiten der Mordserie, Otto Schily, sprang derweil eine in der BRD viel geehrte DDR-Bürgerrechtlerin bei, die in einem Essay für Die Welt am gleichen Tag den Ossis von Sozialismus über SED bis heutige Linke die Verantwortung für den Rechtsextremismus zuschrieb. Die Springer-Tageszeitung druckt es kritiklos ab. Zu ihrer Ehrenrettung – der der Tageszeitung – muss man allerdings anführen, dass sie auch eine der vollständigsten Listen rechter Gewaltverbrechen veröffentlicht hat. 182 Todesopfer verzeichnet die Amadeu Antonio-Stiftung seit der sog. Wiedervereinigung, während die offiziellen Statistiken von ca. 40 ausgehen. Bliebe nun der Frage nachzugehen, warum so massiv gefälscht wird, wenn es um rechtsmotivierten Terror geht.

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Da kommt nun alles ans Licht. Oder doch nicht? Wir dürfen gespannt sein, was wirklich vom Skandal um die sog. Zwickauer Terror-Zelle ans Tageslicht gespült wird und was seine Wirkung entfaltet. Offensichtlich gibt es noch genügend Polizisten und Journalisten im Land, die recherchieren und kritisieren. Wenn erst eine Super-Sicherheitsbehörde das ganze Land umspannt, könnte damit Schluss sein. Die Medien als vierte Gewalt sind hier besonders gefordert, wovon die Tagesthemen vom 14. November allerdings nur träumen lassen. All zu leicht wird die Mär von „der neuen Dimension“ des rechten Terrors nachgebetet, wo doch allenfalls von „neuer Erkenntnis“ oder Zur-Kenntnisnahme durch Behörden und Innenminister berichtet werden kann. Immerhin selbstkritische Töne schlägt Arno Widmann in der Frankfurter Rundschau vom 16. November an mit einem traurigen Fazit für Medien und Öffentlichkeit:

„Es sind nicht nur die Ermittlungsbehörden den Tätern auf den Leim gegangen, sondern auch die – ach so kritische – Öffentlichkeit. Auch wir. Auch ich. Offenbar ist keiner von uns hin zu den Familien gegangen und hat sich von deren Unschuldsbeteuerungen soweit überzeugen lassen, dass er wenigstens für die Länge eines Artikels die Behauptungen der Beamten in Frage gestellt hätte. Doch, einen Artikel haben wir gefunden. Miriam Bunjes schrieb ihn am 13.6. 2006 in der taz. Anlass war ein Trauermarsch nach dem Anschlag in Dortmund. Sie zitiert Cem Yılmaz vom Alevitischen Kulturverein: „Alle Opfer sind Migranten. Da ist doch ein rechtsextremer Hintergrund sehr einleuchtend. Stattdessen gucken die Ermittler nur nach links, wollen wissen, ob Mehmet in der PKK aktiv war.“

Man muss die Frage stellen, wie viele Morde hätten verhindert werden können, wenn man weniger vorurteilsbeladenen Fragestellungen gefolgt wäre und ergebnisoffen recherchiert und ermittelt hätte. „Rassismus tötet!“, wie auf einem Plakat bei der Trauerfeier für Marwa El-Sherbiny in Dresden zu lesen war. Auch jetzt ist kritisches Nachfragen alles andere als überflüssig.

Während die meisten die Selbstmordthese der beiden Neo-Nazis kritiklos übernehmen, fragt immerhin die Frankfurter Rundschau am 15.11., warum die beiden kaltblütigen Killer das hätten tun sollen. Zumal der Banküberfall erfolgreich verlaufen war. Auch die Sprengung der Wohnung der Terroristen wirft Fragen auf: Warum vernichtet die Komplizin der beiden „Selbstmörder“ nicht die Beweismittel und flieht, sondern stellt sich den Behörden? Die Junge Welt fragt am 12.11., ob sie eventuell auf freiem Fuß mehr um ihr Leben gefürchtet hat als in Untersuchungshaft? Und warum überstehen ausgerechnet so empfindliche Gegenstände wie „Bekenner-CDs“ das Inferno?

Zu den bereits aufgeworfenen Fragen tun sich weitere auf: Von Pleiten, Pech und Pannen ist viel die Rede, von V-Leuten des Verfassungsschutzes, die gar keine echten sind, oder von echten V-Leuten, die vor allem in Ostdeutschland Nazi-Strukturen geschaffen haben – quasi mit Steuergeldern. Die heute-Show vom 18.11. bringt das knallhart auf den Punkt. Allerdings scheint die Bezeichnung „IM“ auf DDR und StaSi beschränkt zu bleiben.

Und auf der tagesschau-Website vom 15.11. heißt es zu einem angeblichen Ex-Nazi: „Holger G. sei 1997 von Thüringen nach Niedersachsen gezogen und habe zwischen 1999 und Ende 2004 an rechten Demonstrationen teilgenommen und Kontakt zu Vertretern der rechten Szene gehabt, sagte der Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Hans-Werner Wargel. Seit 2004 sei er nicht mehr bei den Behörden auffällig geworden. Deshalb sei die Akte des 37-Jährigen nach fünf Jahren vorschriftsgemäß aus den Dateien der Behörden gelöscht worden, so Wargel.“ Das deutet zumindest auf ein sehr gutes Gedächtnis von Verfassungsschützer-Präsident Wargel hin, denn eine Akte soll es ja nach dieser Aussage nicht mehr geben.

Und Spiegel-online schreibt am 12. November zur Mordserie der „braunen Zelle“ an 8 türkisch- und einem griechischstämmigen Mann: „Die Polizei, wie auch der damalige Innenminister Otto Schily (SPD), vermuteten Auseinandersetzungen im kriminellen Milieu hinter dem Anschlag, eine fremdenfeindliche oder terroristische Motivation schlossen sie aus.“ Auch dieser Spur müsste man nachgehen, nämlich wie bereits angedeutet: Inwiefern behindern vorurteilsbelastete Einstellungen offene Ermittlungen? So könnte man auch der Frage nachgehen, warum von 9 Morden mit 5 überproportional viele in Bayern begangen wurden: 3 in Nürnberg und 2 in München?! Nils Minkmar zitiert in der FAZ am 20.11. den ehemaligen CIA-Mitarbeiter mit Einblick in Geheimdiensttätigkeiten Bruce Riedel mit dem aufwühlenden und alarmierenden Satz: „Wenn sich jemand über viele Jahre einer intensiven Fahndung entziehen kann, dann genießt er staatlichen Schutz.“ Dem muss nachgegangen werden, auch und gerade mit Blick auf den vielfach legalen Waffenbesitz in der rechten Szene. Aber auch mit Blick auf die nach wie vor tolerierten Hetzblogs, die keine Kontrollmaßnahmen für Internetkommunikation rechtfertigen, sondern die Anwendung des Strafgesetzbuches anmahnen – wie anderswo, wo Volksverhetzung betrieben wird, auch!

Zur Bezeichnung der Opfer des Terrors auch noch die Nazi-Sprache zu übernehmen, der gerne mal „Türken“ als „Döner“ beschimpfen, zeugt von nach wie vor fehlendem Mitgefühl und einer gehörigen Portion von Zynismus – wie u.a. Der Tagesspiegel 19.11. unter dem Titel „Durch Sprache werden Opfer symbolisch ausgebürgert“ deutlich macht. Die Benennung wird zwar oft mit „sog.“ markiert, aber das macht diese Unverschämtheit der Begriffsübernahme nicht wieder gut. Alle Bürger werden sehr aufmerksam sein müssen, um sowohl solche rassistischen Subtilitäten zu bemerken wie auch den plumpen aber parteipolitisch daherkommenden Rassismus anzuprangern, der sich in der NPD als antisemitisch, andernfalls aber oft antiislamisch oder immer noch „ausländerfeindlich“ äußert. Namen wir Sarrazin und Dobrindt mögen einem da einfallen. Der eine warnt vor „Kopftuchmädchen“, der andere vor „Minaretten im Garten“ und beide belegen das, was Cas Mudde mit seinen soziologischen Studien herausstreicht: Rechtspopulismus ist ein Mittephänomen und macht die rechtsextremen Ränder stark!

Rassismus aber beginnt bereits mit der (systematischen) Ausgrenzung und darum ist deren Bekämpfung immer der erste Schritt gegen die Nährböden des Rechtsextremismus. Mit einem Verbot der NPD allein, ist es nicht getan, um den hasserfüllten Sumpf auszuheben. Jeder Angriff auf eine Minderheit – welche auch immer – muss als Angriff auf die demokratische Verfasstheit unserer Gesellschaft erkannt werden. Und wer diese Aktivitäten kriminalisiert, wie im Falle des Jenaer Jugendpfarrers Lothar König, des Münchner AIDA-Archivs oder des VVN, macht sich der Kumpanei mit Antidemokraten und Gewalttätern verdächtig. Aktuell Meinung

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  1. Sinan A. sagt:

    Rassismus tötet, richtig.
    Einer der persönlich mitschuldigen Herren ist der Leiter der SOKO Bosporus. Er hat mit viel Einsatz die Richtung der Ermittlungen bestimmt. Andere Meinungen wurden von ihm weggedrückt. Von einem ausländerfeindlichen Hintergrund hielt er „überhaupt nichts“.

    Öffentlich zog er mehrfach in schäbiger Art und Weise über die Opfer her und meinte abschließend, dass „die Türken noch nicht in dieser Gesellschaft angekommen sind.“

    Auch später fiel er unangenehm auf. Als Leiter einer SOKO sorgte er wieder für einseitige Ermittlungen. Initiativen sprechen sogar von Manipulation. Der geistig behinderte K. wurde daraufhin wegen Mordes verurteilt, obwohl erhebliche Zweifel bestanden.

    In beiden Fällen wurde er von seinem Förderer, dem damaligen bayerischen Innenminister, eingesetzt. Dieser sorgte auch dafür, das in der Nazi-Mordserie weiter in Bayern ermittelt und der Fall nicht an das BKA übertragen wurde. Zu prüfen wäre, ob man der SOKO-Bosporus Leiter für seine Tätigkeit strafrechtlich zur Verantwortung ziehen kann.