Zwangsverheiratungen

Diese Debatte stärkt die Ausgangsbedingungen für Gewalt!

Die Ergebnisse einer Untersuchung von Prof.in Yasemin Karakaşoğlu und mir über „Ausmaß und Ursachen von Zwangsverheiratungen in europäischer Perspektive“ (2007) lieferte bereits das Ergebnis, dass Religion keine spezifische Rolle bei Zwangsverheiratungen spielt. Ich frage mich: Was genau bezweckt nun diese neue Studie? Was genau bezweckt vor allem die neue Debatte?

Prof. Yasemin Karakaşoğlu und ich hatten die genannte Untersuchung damals durchgeführt, mit der Hoffnung und dem Ziel, die öffentliche Debatte auf eine sachliche Ebene zu bringen, auf der das Problem der Zwangsverheiratungen im gesamtgesellschaftlichen Kontext analysiert werden kann. Diese sollte so zusagen die Grundlage für eine weitere und umfassendere Untersuchung in diesem Bereich darstellen, um daraus schließlich auch Handlungskonzepte für die Praxis herleiten zu können.

„Diese Zahlen kamen der Bundesregierung damals gelegen. Denn schließlich ging es auch um Einreisebestimmungen und restriktive Visaregelungen. Unter anderem wurden mit dem Thema der Zwangsverheiratungen die umstrittenen Sprachtests, im Prozess des Ehegattennachzugs legitimiert. Aktuell droht diese Sprachtestregelung zu kippen.“

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Unsere ersten Untersuchungsergebnisse entsprachen aber nicht den Ansprüchen des Bundesfamilienministeriums. Denn sie haben danach eine weitere Zusammenarbeit mit uns abgelehnt. Heute gibt nun das Ministerium eine neue Studie heraus, die u.a. mit der Frauenorganisation „terre des femmes“ erarbeitet wurde, ausgerechnet der Organisation, die damals ohne Vorbehalte die Fantasiezahlen (Tenor: jede zweite türkische Ehe in Deutschland sei eine Zwangsehe), die Necla Kelek über die Ausmaße der Zwangsverheiratungen in Deutschland in Umlauf gebracht, gestützt hatte. Diese Zahlen kamen der Bundesregierung damals gelegen. Denn schließlich ging es auch um Einreisebestimmungen und restriktive Visaregelungen. Unter anderem wurden mit dem Thema der Zwangsverheiratungen die umstrittenen Sprachtests, im Prozess des Ehegattennachzugs legitimiert. Aktuell droht diese Sprachtestregelung zu kippen. Deswegen dürfte die aktuelle Studie mit der dazugehörigen öffentlichen Debatte über Zwangsverheiratungen – zumindest in der uninformierten Bevölkerung wieder Zustimmung für restriktive Visaregelungen bekommen, um den Ehegattennachzug für EinwanderInnen unter einem Generalverdacht zu erschweren oder gar unmöglich zu machen.

Es geht offensichtlich um alles, um nationale und geopolitische Interessen, um Kulturhegemonien, aber leider nicht um die Frauen und die Männer, um die Opfer, auf deren Kosten diese Debatte geführt wird. Die Zahlen der Zwangsverheiratungen beziehungsweise derer, die davon bedroht werden, liegt heute nach dieser neuen Studie des Bundesfamilienministeriums (2011) im vierstelligen Bereich, obwohl 2005/2006 in den Beratungsstellen kaum Zahlen darüber vorlagen. Die Sensibilität für das Thema war aber laut einer ersten Studie der Lawaetz-Stiftung aus Hamburg auch damals schon, wahrscheinlich durch die öffentliche Debatte gegeben, allerdings gab es kaum entsprechendes Klientel.

Was ist passiert?
Während einige Leute sich über die „harten Fakten“ in diesem Zusammenhang freuen, finde ich die Situation eher besorgniserregend, dachten wir doch in unseren Communities, dass dieses Phänomen heute nahezu ausgestorben ist. Selbst arrangierte Ehen sind heute eher rar. Doch heute scheinen uns Zwangsverheiratungen wieder einzuholen. Die Debatte über Zwangsverheiratungen dreht sich seit Jahren im Kreis, in dem auch heute noch der Fokus auf die (islamische) Religion gelegt wird. Zu unterschiedlich sind die Religionen (beispielsweise Hinduismus – Christentum), denen die Menschen angehören, die wiederum andere Menschen zwangsverheiraten oder zwangsverheiratet werden. Gläubigkeit stellt sich in diesem Zusammenhang als ein viel zu allgemeiner Wert dar.

Warum also noch eine Studie, in der festgestellt wird, dass die meisten Opfer von Zwangsverheiratungen aus einem religiösen Milieu kommen, wobei dann auffällt, dass die Mehrheit aus der Türkei kommt und dem Islam angehört. Damit wird der anfängliche Hinweis, dass Zwangsverheiratungen nicht nur in muslimischen Familien vorkommen, natürlich sofort relativiert. In unserer Untersuchung von 2007 hatten wir aber insbesondere durch den Ländervergleich zwischen europäischen Ländern und der Türkei deutlich zu machen versucht, dass die Debatte vor allem in einem Herrschaftsraum geführt wird, in dem die dominante Mehrheitsgesellschaft einer vermeintlichen Minderheit vorwirft, kulturbedingt frauenfeindliche Straftaten zu begehen.

In der Türkei beispielsweise wurden diese Themen eher auf Kurden bezogen diskutiert, wogegen in Deutschland mehrheitlich Türkeistämmige stigmatisiert werden. Schon dadurch ist es offensichtlich, dass das Thema für andere politische Zwecke missbraucht wird, als vorgegeben. In der Türkei war und ist zum Teil noch immer die gesellschaftliche Teilhabe von Kurden umstritten, zumal eine Gruppe von Separatisten dort territoriale Ansprüche stellt. Da kommt ein stigmatisierendes Thema gelegen, um die Teilhabe weiter hinauszuzögern, solange der Konflikt gärt.

In Deutschland dagegen geht es ganz offensichtlich um die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Türkeistämmigen, die zum Teil schon seit 50 Jahren hier leben, mittlerweile besser Deutsch sprechen als Türkisch und volle BürgerInnenrechte genießen wollen. Die Art und Weise, wie über Zwangsverheiratungen öffentlich diskutiert wird, machen sie jedoch wieder zu Fremden, die es der Politik erlaubt restriktive Gesetze gegen sie zu erlassen (zum Beispiel Visapflicht für Angehörige in der Türkei, wobei nur ein kleiner Prozentsatz der Visaanträge angenommen wird), die ihnen ein normales Leben nur unter Vorbehalt gestatten.

Doch wo bleiben feministische Politiken? Wo die internationale feministische Solidarität?
Die Frauenministerin Kristina Schröder pocht aber noch immer auf den religiösen, insbesondere islamischen Hintergrund in Fällen von (versuchten) Zwangsverheiratungen. Warum tut sie das, obwohl wissenschaftliche Erkenntnisse diesen Faktor als irrelevant zeigen? Zudem gehört sie selbst der Christlich Demokratischen Union an und ist als Mitglied dieser Partei Ministerin. Versucht sie damit fast subversiv ihre eigene Partei zu unterwandern? Welche feministische Strategie, und diese Frage muss erlaubt sein, wenn es um das Frauenministerium geht, welches nicht zuletzt auch die Vereinbarungen der CEDAW (Committee on the Elimination of Discrimination against Women) auf nationaler Ebene implementieren sollte, verfolgt unsere Frauenministerin?

Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass die feministischen Strategien des deutschen Mainstream-Feminismus, vorwiegend auf zwei Grundlagen beruhen, um auf Fälle von Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen: Die eine Strategie zielt auf die Kritik des Patriarchats ab und die andere gegen die Kultur. Beim Thema Zwangsverheiratungen werden diese beiden Strategien auf eine sehr einseitig verallgemeinernde Weise miteinander verbunden, in dem daraus die Kritik des muslimischen Mannes gemacht wird. Muslime in Deutschland leben aber nicht in einer Luftblase. Sie leben nicht losgelöst von den gesellschaftlichen Strukturen in Deutschland. Sie werden nicht von der AKP oder den Taliban regiert, sondern von der CDU. Die Kultur auf die eine – wie auch immer geartete – „Herkunftskultur“ zu reduzieren, ohne aber die Kultur und Gesellschaft zu berücksichtigen, in der sie aktuell (zum Teil seit drei Generationen) leben, kann nur als orientalistisch (nach Edward Said, 1978, „Orientalism“) bewertet werden.

Mit der Kritik des Patriarchats verhält es sich ähnlich, zumal der Islam keine klassisch patriarchaische Religion darstellt, wie beispielsweise das Christentum, in dem das Patriarchat ein fester Begriff und Bestandteil ist. Im Gegenteil gibt es heute sogar muslimische Matriarchate wie die Minangkabao in Indonesien oder die Tuareq in Nordafrika. Nichtsdestotrotz hat das Patriarchat auch Eingang in muslimische Gesellschaften gefunden. Das bestreite ich nicht. Doch eine Patriarchatskritik in diesem Kontext muss doch wohl auch das Patriarchat in Deutschland mitkritisieren und nicht außen vor lassen. Das Phänomen der Ehe durch Zwang wird hier schlichtweg exotisiert, obwohl es auch unter weißen, christlichen Deutschen diese Art der Ehen noch gibt, die entstanden sind, weil ungewollte Schwangerschaften aufgetreten sind. Und Rassismus wird ignoriert.

In den USA haben insbesondere Feministinnen of Color, wie Kimberlé Crenshaw (1989, Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine), die Intersektionelle Methode herausgearbeitet, die aus dem juristischen Milieu heraus, die Diskriminierung von people of color in einer weißen Mehrheitsgesellschaft ebenso einbeziehen soll, wie allgemein sexistische und klassizistische Diskriminierungen. Solche Ansätze sollten endlich auch in Deutschland Berücksichtigung finden, zumal sich mittlerweile auch die deutsche feministische Wissenschaft damit befasst. (Vgl. u.a. Nina Degele und Gabriele Winker 2010: Intersektionalität als Mehrebenenanalyse) Deswegen sollten auch die Ministerin Kristina Schröder und das Frauenministerium sich insbesondere für Gesetze und Strategien starkmachen, die Frauen of color, hier genannt, Frauen mit Migrationshintergrund, in ihrer Besonderheit berücksichtigen, ohne gleichzeitig ihre Stigmatisierung als Muslime voranzutreiben. Es ist durch die steigenden Zahlen offensichtlich, dass die hier angewendeten Strategien – so sehr heute versucht wird, politisch korrekt zu behaupten, dass nicht nur Muslime betroffen seien – zu mehr Gewalt führen. Allein die Tatsache, dass wieder die Religion im Vordergrund steht und in der Studie abgefragt wurde, legt einen Zusammenhang nah, welcher mit der Vorgeschichte der öffentlichen Debatte erneut zur Stigmatisierung von Muslimen führt.

„Denn, so ist das Signal an uns muslimische Frauen, erst wenn eine Frau entscheidet, sich vom Islam zu distanzieren, ihn zum größten Teil abzulegen, oder ihn zu diskreditieren, hilft ihr der Staat, ihre Probleme zu lösen und verhilft ihr letztendlich auch zu einem besseren Leben. Vorher nicht!“

Dadurch ist zu befürchten, dass potenzielle Opfer gerade unter Muslimen vermutlich seltener Rat und Hilfe von außen holen, um den „Ruf der Muslime“ – und dadurch ihren eigenen – nicht noch mehr zu verschlechtern. In meinem Promotionsvorhaben zu „feministischen Selbstkonzepten von türkeistämmigen muslimischen Einwanderinnen im Generationenverlauf in Deutschland und in Frankreich“ stelle ich bereits eine Form der Tabuisierung von Gewalterfahrungen fest. Während die ersten Generationen türkeistämmiger Frauen über persönliche Erfahrungen geschlechtsspezifischer Gewalt und Diskriminierung offen sprechen konnten, verstummt dieses „Sprechen über“ immer mehr zugunsten eines neuen Zusammenhalts gegenüber einer feindlich gesonnen, so wird es sehr oft empfunden, Mehrheitsgesellschaft, insbesondere wenn die Lebensumstände von Arbeits- und Perspektivlosigkeit geprägt sind. Das heißt, dass die kulturrassistische und insbesondere religionsbezogene Debatte über Zwangsverheiratungen in diesem Kontext dazu führt, Gewalt und Diskriminierung zu tabuisieren, je mehr sich die Opfer ebenso als Muslime identifizieren. Danach gibt es nur zwei Handlungsmöglichkeiten für betroffene Opfer: Entweder schweigen bis ins Grab oder extreme Konfrontation, Loyalitätsbruch und Abkehr vom Glauben.

Die Handlungsmöglichkeiten, die durch diese Debatte eröffnet werden, gehen also keineswegs in eine lösungsorientierte, befriedigende Richtung, sondern eher in eine konfrontative, die für die Opfer noch mehr Gefahren birgt und somit weiterhin das Schweigen begünstigt.

Fazit
Abschließend kann deswegen nur festgestellt werden, dass die Frauenpolitik der Bundesregierung 2011 weder die Ergebnisse der Migrationsforschung berücksichtigt, wie Yasemin Karakaşoğlu und ich sie unter anderem 2007 zum Thema Zwangsverheiratungen zusammengetragen hatten, noch die Ergebnisse feministischer, intersektioneller Wissenschaften, die in den USA beispielsweise schon im Gesetz verankert sind. Ebenso widerspricht diese Politik auch feministisch-muslimischen Forderungen in Deutschland, wie sie beispielsweise vom Aktionsbündnis muslimischer Frauen e.V. in Deutschland vorgetragen werden.

Das Fatale an dem Ganzen ist jedoch, dass diese Fehlpolitik nicht darauf zurückgeführt werden kann, dass die Bundesregierung über die neuesten Erkenntnisse in diesem Bereich nicht unterrichtet ist, hat sie doch speziell eine Untersuchung unter diesen hier genannten Kennzeichen 2007 abgelehnt. Vielmehr muss ich bedauernd feststellen, dass hier offenbar zielgerichtet auch eine kulturrassistische und imperialistische feministische Politik vorangetrieben wird, welche unter anderem zum Ziel hat, staatliche Versorgungsansprüche bei Muslimen zu minimieren und ihre gesellschaftliche Teilhabe zu verhindern. Denn, so ist das Signal an uns muslimische Frauen, erst wenn eine Frau entscheidet, sich vom Islam zu distanzieren, ihn zum größten Teil abzulegen, oder ihn zu diskreditieren, hilft ihr der Staat, ihre Probleme zu lösen und verhilft ihr letztendlich auch zu einem besseren Leben. Vorher nicht!