Ali konkret

Thilo kommt, na und?

Nein, das hier ist nicht der 591.023´te Kommentar zu Sarrazins Thesen, hier gibt es intime Einblicke hinter die Kulissen einer westfälischen Kleinstadt, die mit fast 2-jähriger Verspätung den Rest eines mittlerweile abgestandenen Medienhypes abbekommt. Karten dafür gibt´s ganz standesgemäß neben Champagner und Gänseleber in einem Delikatessengeschäft für Besserverdiener.

Von Montag, 07.11.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 17.04.2016, 23:03 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Wer bisher noch nicht viel über meine geliebte Heimatstadt Ahlen gehört hat, muss jetzt nicht eine Bildungslücke fürchten. Denn kleine Städte haben meist den Vorteil, dass sie gerade wegen ihrer Unscheinbarkeit eine gewisse gemütliche Atmosphäre ausstrahlen, fernab vom Verkehrskollaps der Großstädte mit all ihren Problemen.

Ahlen zählt knapp 54.000 Einwohnerinnen und Einwohner, gelegen am südöstlichen Rand des Münsterlandes und ist eine ehemalige Zechenstadt. So ganz pures Münsterland dann doch wieder nicht, denn mit der Nähe zu Hamm und Dortmund und dem Arbeitercharme im Süden der Stadt spürt man hier schon ein wenig den Hauch des Ruhrgebietes.

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Dafür spricht auch die Migrantenquote, wobei hier mindestens jeder 5. einen sogenannten Migrationshintergrund hat, „Klein-Istanbul“ inklusive. Die Grundschule in der „Kolonie“, der ehemaligen Bergmannssiedlung, hat einen Anteil von Migrantenkindern, der nahe 95 % ist, es gibt eine größere Moschee mit Minarett und mindestens acht weitere islamische Gemeinden sowie eine große Gruppe syrisch-orthodoxer Christen. Nicht zu vergessen die vielen Cafés und die superbeliebten Wettbuden.

Richtigen „Culture-Clash“ wie in Kreuzberg oder Altona haben wir bisher in der Form noch nicht gehabt. Vielmehr gab es lange Zeit ein einschläferndes Nebeneinander der Kulturen, welches der erstmals gewählte Integrationsrat der Stadt Ahlen seit einiger Zeit eifrig versucht aufzubrechen. Passend zum 50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens hat das Gremium mit der Stadt zusammen eine bunte Aktionswoche organisiert, die dieses bedeutende Ereignis gebührend feiern soll.

Alle Parteien und Organisationen sind vollen Lobes gegenüber dieser Woche und es hätte wirklich alles so toll sein können in diesen Tagen, wenn nicht die Bombe mit einem unangenehmen Gast in der lokalen Presse geplatzt wäre.

Die bisher wenig in Erscheinung getretene CDU-nahe Mittelstandsinitiative „MIT“ hat ganz plötzlich das Thema „Integration und Bildung“ entdeckt und möchte dieses am 29. November 2011 groß und breit diskutieren.

Vom „Fachkräftemangel“ ist die Rede, auch „von schlecht ausgebildeten Auszubildenden“ heißt es in der Presse. Wahrlich, wichtige Themen, die mal auf den Tisch müssen. Am liebsten diskutiert mit Fachleuten von den Hochschulen, von den Betrieben, von den Schulen, von der Arbeitsagentur und mit Vertretern der Migrantenselbstorganisationen. Aber Pustekuchen.

All diese versierten Experten werden bei dieser „Diskussion“, die die Ahlener Stadthalle füllen soll, durch eine einzige Person ersetzt. Durch den „Godfather of polemic Integrationsdebatte“, the person formerly known as „Mitglied des Vorstandes der Deutschen Bundesbank“, Thilo Sarrazin.

Ja, dieser Name ist schon fast inflationär gebraucht worden in den letzten 24 Monaten, ab sofort ist er wieder in allen Köpfen, in Ahlen zumindest.

Was die „MIT“ dazu bewogen hat diesen „Experten“ einzuladen, bleibt auch Wochen nach der Ankündigung schleierhaft. Einen vergurkteren Einstieg in die Thematik „Fachkräftemangel“ und „schlecht ausgebildete Auszubildende“ konnten die konservativen Mittelstandsexperten aber nicht hinbekommen.

Man wolle doch tatsächlich mit Thilo „diskutieren“, während dieser die heißesten Zeilen aus seinem Polemic-Fiction-Bestseller zum Besten gibt. Ein Blick auf die Webseite der „MIT“ offenbart bisherige Nichtbefassung mit dem Thema „Integration“, auch von ihren eigenen Mitgliedern mit Migrationhintergrund ist nichts zu sehen und zu hören.

Ist es politische Blauäugigkeit oder Kalkül? Zumindest die örtlichen Sozialdemokraten dürften sich eher geärgert haben über den Besuch der ungeliebten Schwiegermutter aus Berlin, den die MITler groß als „Coup“ ankündigen.

Auch CDU-intern muss dieser „Coup“ für Verwirrung gesorgt haben, von dem wohl einige Leute inklusive Bürgermeister erst spät erfahren haben. Gerade jetzt, wo sich die heimischen Christdemokraten auch als „Integrationspartei“ verstehen. Diese Kratzer werden erstmal bleiben.

Die Reaktionen auf Thilos Heimsuchung sind gespalten, während die Ahlener Linken und andere Gruppen Demos vor der Stadthalle ankündigen, hält der Vorsitzende des Integrationsrates dies nicht für nötig, da das Sarrazin nur noch unnötig mehr Aufmerksamkeit bringe.

Dass die Stadthalle brechend voll werden dürfte, steht außer Zweifel. Auf Augenhöhe diskutieren wird da wohl eher Science-Fiction bleiben.

Thilo wird sicher voller negativer Erwartungen nach Ahlen kommen, schließlich hat er ja meine schöne Stadt in seinem Pamphlet genannt. Viel „Ghetto“ und „Kopftuchmädchen“ wird Thilo aber nicht zu sehen bekommen, die Stadthalle befindet sich nur 200 Meter vom Bahnhof entfernt, dazwischen gepflegte Parkanlagen und ältere westfälische Damen mit Dackel an der Leine.

Der „Spaß“ soll übrigens 15 € Eintritt pro Karte kosten, zu haben in einem Delikatessengeschäft für Besserverdiener, die man sich zum Champagner und französischer Gänseleber gleich mitnehmen kann. Gerne auch im Geschenkumschlag.

Allen Leserinnnen und Lesern rate ich, das Geld in schönere Dinge zu investieren, z.B. in das Konzert des Rentner-Schlager-Duos „Die Amigos“, welche einen Tag später ebenfalls zum ersten Mal nach Ahlen kommen werden. Die verbreiten wenigstens gute Laune und sind zudem wirklich echte Superstars! Aktuell Meinung

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  1. Peter sagt:

    Es gibt und gab genügend Vorschläge zu den Immigrationsproblemen, Sarrazin hat bereits welche gemacht, Buschkowsky auch. Wenn sie das Buch gelesen hätten, würden sie die auch kennen.
    Natürlich ist das nicht alles, es muss an vielen Stellschrauben gedreht werden. Weitere Einwanderung vor allem Asylbetrug muss gestoppt werden, da 99% der Asylanten nur Scheinasylanten ohne tatsächliche Asylgründe sind. Und auch die Hürden müssen viel höher sein, da in Nordafrika bald ganze Bevölkerungsschichten politisch und religiös verfolgt werden, die aber nicht alle in Deutschland aufgenommen werden können.
    Kriminelle Ausländer sofort ausweisen, länger arbeitslose Migranten in den ersten 10 Jahren kein Sozialleistungsanspruch ebenfalls abschieben… es gibt so viel zu tun.

    Übrig blieben in Deutschland nur die anständigen, nicht-kriminellen, gut integrierten, Deutsch sprechenden, unsere Werteordnung akzeptierenden und für ihren Unterhalt selbst sorgenden Migranten, mit denen das Zusammenleben tatsächlich eine Bereicherung für Deutschland darstellt.

  2. Pragmatikerin sagt:

    In Deutschland geben Sozialromantiker und Beschwichtiger den Ton an. 10 Thesen- nach Ralph Giordano – sollen die Integrationsdebatte auf eine breitere Diskussions-Basis stellen:

    1. Solange gebildete, berufsintegrierte und akzentfreies Deutsch sprechende Muslima in Talkshows mit wirklichkeitsfernen Sätzen wie „die Frage der Integration stellt sich gar nicht“ so tun, als sei ihr Typ exemplarisch für die muslimische Minderheit in Deutschland und die Gleichstellung muslimischer Frauen eben um die Ecke – so lange hat Thilo Sarrazin recht.

    2. Solange diese Vorzeige-Muslima sich lieber die Zunge abbeißen würden als einzugehen auf das, was kritische Muslima so authentisch wie erschütternd berichtet haben über den Alltag der Unterdrückung, Abschottung und Ausbeutung, der Zwangsehe und Gefangenschaft muslimischer Frauen und Mädchen bis hin zu der unsäglichen Perversion der „Ehrenmorde“ – so lange hat Thilo Sarrazin recht.

    3. Solange widerstandslos hingenommen wird, dass Moscheen in Deutschland nach Eroberern der türkisch-osmanischen Geschichte benannt werden, nach Sultan Selim I. oder, wie im Fall der sogenannten Fatih-Moscheen, nach Mehmet II., dem Eroberer von Konstantinopel – so lange hat Thilo Sarrazin recht.

    4. Solange höchste türkische Verbandsfunktionäre, wie der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mayzek, vor laufender Kamera und Millionen Zuschauern erklären können, Scharia und Grundgesetz seien miteinander vereinbar, ohne sofort des Landes verwiesen zu werden – so lange hat Thilo Sarrazin recht.

    5. Solange rosenkranzartig behauptet wird, der Islam sei eine friedliche Religion, und flapsig hinweggesehen wird über die zahlreichen Aufrufe des Koran, Ungläubige zu töten, besonders aber Juden, Juden, Juden – so lange hat Thilo Sarrazin recht.

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    6. Solange die weitverbreitete Furcht vor schleichender Islamisierung in der Bevölkerung als bloßes Luftgebilde abgetan wird und nicht als demoskopische Realität ernst genommen – so lange hat Thilo Sarrazin recht.

    7. Solange von hiesigen Verbandsfunktionären und türkischen Politikern penetrant auf Religionsfreiheit gepocht wird, ohne jede parallele Bemühung um Religionsfreiheit in der Türkei – so lange hat Thilo Sarrazin recht.

    8. Solange nicht offen gesprochen wird über islamische Sitten, Gebräuche und Traditionen, die mit Demokratie, Menschenrechten, Meinungsfreiheit, Gleichstellung der Geschlechter und Pluralismus nicht vereinbar sind – so lange hat Thilo Sarrazin Recht.

    9. Solange die großen Themen der Parallelgesellschaften wie Gewaltkultur, überbordender Nationalismus, offener Fundamentalismus, ausgeprägter Antisemitismus und öffentliches Siegergebaren mit demografischer Drohung nicht zentrale Punkte des nationalen Diskurses sind – so lange hat Thilo Sarrazin recht.

    10. Solange Deutschlands Sozialromantiker, Gutmenschen vom Dienst, Pauschal-Umarmer und Beschwichtigungsapostel weiterhin so tun, als sei das Problem Migration/Integration eine multikulturelle Idylle mit kleinen Schönheitsfehlern, die durch sozialtherapeutische Maßnahmen behoben werden können – so lange hat Thilo Sarrazin recht.

    Pragmatikerin

    P.S.:
    Ein integrationsfördernder Vorschlag: Wenn denn das offene Haar der Frau die männliche Begierde weckt, wäre es da nicht besser, den Männern Handschellen anzulegen, als den Frauen das Kopftuch zu verordnen?

    Pragmatikerin

  3. Europa sagt:

    @FrolleinXY
    „Wenn wir außerdem 0% Desintegration anstreben, dann haben wir noch einiges zu tun! Dann lasst uns mal loslegen und alle die Kriminellen “Deutschen” assimilieren, Neonazis abschaffen, die die Menschenrechte nicht verstehen aber stets verteidigen wollen, Alkis die nur vor der Glotze sitzen ausnüchtern und so weiter und so weiter…“

    Ich glaube man sollte ein Problem nach dem anderen lösen und das Integrationsproblem ist nunmal ein viel grösseres als, das von irgendwelchen kriminellen Deutschen oder Alkis die vor der Glotze hängen, denn die beklagen sich ja wenigstens nicht noch. Aber wie gesagt, die Probleme kommen dran, sobald das schwerwiegendste Problem in unserer Gesellschaft gelöst ist und das ist ganz klar die Integration von Muslimen. Also, lasst uns nicht länger um den heissen Brei reden und endlich loslegen!!!
    Wir brauchen doch eigentlich nur Fristen, Sanktionen und die Möglichkeit mit Ausweisung zu drohen.

  4. Frollein XY sagt:

    @Europa

    „Fristen, Sanktionen und die Möglichkeit mit Ausweisung zu drohen“
    Na, das passt ja zum Usernamen „Europa“!

    „das schwerwiegendste Problem in unserer […] ist ganz klar die Integration von Muslimen“ – genau das will uns der Diskurs vermitteln! Schön drauf reingefallen! (Vielleicht mal nachlesen unter Schiffer: Medienproduktion: Wegverweisung; Medienrezeption: Erwartung, Filterung Generalisierung)

    Ich kann nur schmunzeln und mich nun wieder anderen Aufgaben widmen…

  5. MoBo sagt:

    @ Pragmatikerin: Die 10 Thesen von Giordano sind grob verallgemeinernd, beleidigen den politischen Gegenpart von Giordano („Sozialromantiker, Gutmenschen vom Dienst, Pauschal-Umarmer“ – ja besser Pauschal umarmen als Pauschal auf die Fresse hauen sage ich da nur…) und gehen noch nicht einmal auf Sarrazins Thesen von Bildung und Unterschichten (bei Sarrazin geht es ja nicht ausschließlich um Migranten…) ein sondern verurteilen den Islam aufgrund eines Islambildes was dem der Fundamentalisten entspricht. Dass er damit aber auch den gesamten Islam beleidigt und alle Muslime und nicht nur die Fundamentalisten, in deren Hände er mit solchen Aussagen spielt, merkt er in seiner Paranoia wahrscheinlich nicht.

  6. Pragmatikerin sagt:

    @ Mobo

    Wie kommen Sie zu der Ansicht, dass die 10 Thesen nach Giordano grob verallgemeinern. Meine persönliche Meinung ist, dass diese Aussagen mehr als zutreffend sind. Ich z.B. habe weder ein Pauschalbild über den Islam noch interessiert es mich persönlich, wie Islamkenner diese Aussagen auslegen. Wichtig ist für mich alleine die Tatsache, dass die gemachten Aussagen der Wahrheit entsprechen. Mein täglicher Weg durch Frankfurt am Main und die Betrachtung, wie hier Muslime zum grossen Teil leben, bestätigt mir immer wieder, dass Sarrazin in Vielem, wenn auch nicht in Allem Recht hat. Und dass das Zusammenleben mehr als schwierig ist – auch mit dem Islam/Muslimen – können auch Sie nicht leugnen.

    Ich frage Sie daher nur, warum gibt es mehr Deutsche die keinen Kontakt mit Moslems haben/wollen und warum leben so viele Moslems – mal abgesehen von den hohen Mietpreisen (die aber auch Deutsche betreffen) – lieber in ihrer eigenen Community?

    Ich akzeptiere allerdings auch, dass Sie beleidigt sind – was für mich nicht verwunderlich wäre – und nur „Buchstaben aneinanderreihen “ wollten ;-)

    Pragmatikerin

  7. Europa sagt:

    @FrolleinXY
    „“Fristen, Sanktionen und die Möglichkeit mit Ausweisung zu drohen”
    Na, das passt ja zum Usernamen “Europa”!“

    Warum sollte es nicht zu meinem Usernamen passen? Bzw. warum passt es zu meinem Usernamen? Was haben Fristen und Sanktionen mit dem Namen eines Kontinents oder meinetwegen dem Namen einer griechischen Göttin zu tun?

    Erklären Sie mir doch mal was sie an dem Namen Europa so schön finden, dass man Worte wie Fristen und Sanktionen nicht gebrauchen darf? Sind die Europäer komplett unmündig auf ihrem eigenen Kontinent?

    Soweit ich weiss flüchten die Menschen immer nur NACH Europa und nicht AUS Europa und wenn irgendjemand Sanktionen und Fristen stellen kann, dann ist das doch wohl als allererstes Europa!