Fünf vor Zwölf

Rettet das Gemeinsame Europäische Asylsystem!

Statistiken zeigen markante Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten, wenn es um die Aufnahme von Asylsuchenden geht. Das darf nicht sein, sagt Nadja Hirsch und fordert ein Quotensystem in der Asylpolitik, bei dem jeder Mitgliedstaat Verantwortung trägt.

Um wenige Europa-Projekte wurde so viel Tamtam gemacht: 1999 einigten sich die damals 15 Staats- und Regierungschefs der EU im finnischen Tampere feierlich auf die Einrichtung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Doch in den letzten zehn Jahren ist außer dem gelegentlichen Umschreiben der Vorschläge nichts passiert. Deshalb ist es für uns Europäische Liberale jetzt höchste Zeit zum Handeln.

Aus unserer Sicht sollte daher die Asylpolitik auf zwei Prinzipien fußen: Verantwortlichkeit eines jeden Mitgliedstaats für die Sicherheit seiner EU-Außengrenzen und Solidarität mit Mitgliedstaaten, die aufgrund ihrer geographischen Lage im Zentrum der Migrationsströme stehen.

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Dennoch ist bis heute kein einziger der fünf vorgesehenen Rechtsakte des sogenannten Asylpakets angenommen worden. Daran haben auch die diesjährigen Ereignisse im südlichen Mittelmeerraum nichts geändert, obwohl sie gezeigt haben, wie nötig eine gemeinsame EU-Politik beim Thema Asyl ist.

Zudem zeigen Statistiken des Europarats und von Eurostat die markanten Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten auf: Derselbe Asylsuchende hat in einem EU-Land eine 95%ige Chance, angenommen zu werden, in einem anderen jedoch weniger als 1%. In 2010 lag die Spanne der Anerkennungsraten zwischen 1,6% und 44%. Die Widerspruchsfrist variierte zwischen 2 und 30 Tagen. Diese Ungleichheiten begünstigen den Missbrauch und verlangen nach Harmonisierung.

„Im weltweiten Vergleich ist die EU immer noch ein Neuansiedlungs-Zwerg. Laut UNHCR nahm die USA im Jahr 2010 54.077 Menschen nach diesem Verfahren auf … Dagegen standen die gesamten Neuansiedlungsprogram- me der EU-Mitglieder gerade einmal 4.730 Menschen offen – ungefähr 4% der weltweiten Neuansiedlungen.“

Eine liberale Asylpolitik ist dringend erforderlich in einer Zeit, in der der Bedarf nach besserer Kooperation in Europa bei der Bekämpfung von Verbrechen und illegaler Migration wächst. Es ist Zeit, über ein Quotensystem in der Asylpolitik nachzudenken, bei dem jeder Mitgliedstaat eine angemessene Last der gemeinsamen Verantwortung trägt.

Diese Botschaft der Verantwortung und Solidarität muss sich schnell Gehör verschaffen. In Tunesien und Ägypten warten Tausende von Flüchtlingen aus u.a. Eritrea, Somalia und dem Sudan in beklagenswerten Umständen auf ein Zeichen der Solidarität der EU. Anreize für EU-Mitgliedstaaten, um sich bei der organisierten Neuansiedlung dieser noch in Afrika wartenden Menschen zu engagieren, wurden bereits ausgehandelt. Jedoch ist der Gesetzestext in einem inter-institutionellen Grabenkampf blockiert. Diese Situation muss sich jetzt ändern, wenn die EU nicht ihre globale Glaubwürdigkeit verlieren will. Wir können keine EU-Chefs haben, die auf der einen Seite den Arabischen Frühling unterstützen, auf der anderen Seite aber nichts zu der Frage beitragen, wie wir mit den Flüchtlingen verfahren, die in unserer Nachbarschaft stranden.

Im weltweiten Vergleich ist die EU immer noch ein Neuansiedlungs-Zwerg. Laut UNHCR nahm die USA im Jahr 2010 54.077 Menschen nach diesem Verfahren auf, bei dem Flüchtlinge noch jenseits des Zielkontinents zu Antragstellern werden. Dagegen standen die gesamten Neuansiedlungsprogramme der EU-Mitglieder gerade einmal 4.730 Menschen offen – ungefähr 4% der weltweiten Neuansiedlungen.

Wir müssen unsere Sichtweise verändern – weg von der Wahrnehmung der Asylsuchenden als Last und hin zu den Chancen, die wir Menschen in Not eröffnen können. Asyl ist keine Gnade, sondern ein Recht.

Die polnische EU-Präsidentschaft hat bisher sehr gute Arbeit geleistet, um den Dialog voranzubringen und um Kompromisse vorzubereiten. Von der im Januar 2012 nachfolgenden dänischen Präsidentschaft erwarten wir erste konkrete Vorschläge, um das Gemeinsame Europäische Asylsystem noch fristgerecht zu schaffen. Denn die Zeit verrinnt. Insofern bietet der anstehende EU-Rat für Justiz und Inneres am 27 Oktober eine der letzten Möglichkeiten, das Ziel 2012 zu erreichen. Wir fordern alle Beteiligten auf, diese Chance nicht verstreichen zu lassen.