Kılıçs kantige Ecke

Wiederauferstehung des Rechtsextremismus?

Der Rechtsextremismus war niemals tot. Er wurde nur verdeckt und ignoriert weil der Staat sich mehr um sein internationales Image kümmert als um die korrekte Erfassung rechter Straftaten, schreibt Memet Kılıç in seiner neuesten MiGAZIN-Kolumne.

Von Memet Kılıç Mittwoch, 14.09.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 16.09.2011, 2:13 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Nach großen terroristischen Anschlägen erwartet die Bevölkerung von der Politik wirksame Maßnahmen. Als Reflex werden häufig Verschärfungen in den Sicherheitsvorkehrungen angekündigt.

Nach meiner Erfahrung bringen solche eiligen Reaktionen nicht viel, deshalb habe ich mit meiner Analyse etwas gewartet. Ob nach den schrecklichen Anschlägen in Oslo unser Innenminister wohl den sogenannten Präventionsgipfel auf Christen ausweiten wird? Ob ein Unionspolitiker die Bevölkerung und die Kirchen auffordern wird, bei verdächtigen großen, blonden, blauäugigen Personen die Polizei zu verständigen? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

___STEADY_PAYWALL___

Sorge um internationales Image
In der Sitzung des Innenausschusses vom 29.06.2011, die noch vor den Anschlägen in Norwegen stattfand, hatte ich von einem Immigrantenvertreter berichtet, der anderthalb Jahre telefonisch auf übelste Art und Weise beschimpft und bedroht wurde. Die Staatsanwaltschaft ermittelte „wegen Beleidigung gegen Unbekannte“. Die Ausschussmitglieder waren parteiübergreifend der Meinung, dass die Staatsanwaltschaft mit der Qualifikation des Falles falsch liege.

„Mittlerweile glaube ich daran, dass der Staat kein Interesse daran hat, alle rechten Straftaten statistisch als solche zu erfassen, weil er mehr um sein internationales Image als um korrekte Statistiken besorgt ist.“

Als ich bei der Herbsttagung des BKA im Jahr 2001 beanstandet habe, dass die rechtsradikalen Drohungen womöglich in die Polizeistatistik als „Beleidigungen“ aufgenommen würden, wurde mir vom damaligen Präsidenten des BKA versichert, dass dieses Erfassungsdefizit aufgehoben werde. Bis heute wurde dieses Defizit nicht korrigiert. Mittlerweile glaube ich daran, dass der Staat kein Interesse daran hat, alle rechten Straftaten statistisch als solche zu erfassen, weil er mehr um sein internationales Image als um korrekte Statistiken besorgt ist.

Nicht mehr anonym
In den Jahren 2001/2002 wurden meine Familie und ich von Rechtsextremisten intensiv bedroht. Damals war ich Vorsitzender des Bundesausländerbeirates. Heute als Bundestagsabgeordneter werden meine Äußerungen schon wenige Minuten nach der Veröffentlichung auf rechtspopulistischen Internetseiten kommentiert. Darin werde ich u. a. als „Besatzer“ oder auch „Mohameds Schwert“ bezeichnet. Damals waren die Bedrohungen und Beleidigungen noch anonym. Nach der rassistischen Sarrazin-Debatte erlaubte es sich sogar ein Kommunalbediensteter unter Angabe seiner vollen Identität, mich zu beleidigen, weil ich mich für Flüchtlinge geäußert hatte. Und dies hat er über seine amtliche E-Mail-Adresse getan.

Im Jahre 1998 hat die EU-Kommission die Ergebnisse einer anonymen Umfrage veröffentlicht, wonach sich knapp 35 Prozent der Menschen in Deutschland offen als rassistisch einstufen und außerdem noch knapp über 30 Prozent sich als „ein bisschen rassistisch“ bezeichnen (Quelle: Eurobarometer 47.1). Dieses „ein bisschen rassistisch“ kann zur Vorstufe von Rassismus im engeren Sinn werden. Leider hat die Politik diese Umfrage und das damit verbundene Signal nicht ernst genommen. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily warf der Umfrage Unseriösität vor und setzte falsche Schwerpunkte.

Hinter den Gardinen
Nach dem 11. September 2001 ist der Rechtsextremismus weitgehend aus dem Blickfeld der Sicherheitsapparate geraten. Statt dessen wurde der Fokus hauptsächlich auf den Islamismus gerichtet.

Rechtspopulisten wie Wilders und Sarrazin prophezeien den Untergang des Abendlandes. Ähnliche rechtspopulistische Äußerungen haben in den 90er Jahren zu pogromartigen Ausschreitungen geführt. Als ich als junger Student in den 90ern in Deutschland die schrecklichen Bilder von Rostock-Lichtenhagen sah, war ich schockiert. Während Rechtsextreme das Asylbewerberwohnheim in Brand setzten, wohnten etwa 2.000 Schaulustige diesem Verbrechen bei und applaudierten. Wahrscheinlich freuten sich auch viele Bürgerinnen und Bürger zu Hause hinter ihren Gardinen.

Welch eine Willkommenskultur
Letztes Jahr hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass man nicht wegen Volksverhetzung bestraft werden kann, wenn man öffentlich auf Plakaten zur „Ausländerrückführung“ aufruft (AZ: 1 BvR 369/04). Demnach würden auch „Ausländer-Raus“-Parolen die Menschenwürde nicht verletzen. Diese Entscheidung ist äußerst bedenklich. Stellen Sie sich vor, Sie sind Ausländer und vor Ihrer Haustüre hängt ein „Ausländer-Raus-Plakat“– welch eine „Willkommenskultur“.

Rassismus kann nur mit allseitigen Konzepten bekämpft werden. Dabei müssen wir nicht nur die Erscheinungsformen, sondern auch die Ursachen bekämpfen. Dazu sind wir nur in der Lage, wenn die Bevölkerung, die Sicherheitskräfte, die Medien und die Politik sensibilisiert sind und entschieden handeln.

Die bedeutendste Maßnahme gegen Rassismus ist aber, die Opfergruppen von Rassismus in ihren Rechten zu stärken. Pluralität darf nicht als Bedrohung gesehen und interkulturelle Kompetenzen müssen auf allen Ebenen gefördert werden. Aktuell Meinung

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. André sagt:

    Herr Kilic, fast alles, was Sie darlegen, kann ich vorbehaltlos unterschreiben. Aber als Christdemokrat fiele es mir viel leichter, mich mit Ihnen und Ihrer Partei gegen Rassismus/Rechtsextremismus zu engagieren, wenn die pol. Linke ebenso …entschlossen gegen Linksextremisten auftreten würde – das ist bsp. in meiner Stadt Dortmund mittl. ein ebenso großes Problem. Hier wurden auch schon Parteifreunde von mir von Linksextrem. attackiert. Insofern: Jeder Extremist ist Mist. Gemeinsam für die Mitte. Persönlich wünsche ich Ihnen von Herzen viel Kraft, um die Anfeindungen aus dem PI-Lager zu ertragen. Mich mögen die übrigens auch… nat. im kleineren Maßstab, bin ja nicht so’n Polit-Promi wie Sie ;-)

  2. Berlincalling sagt:

    Wenn der Autor doch nur das gleiche Engagement gegen Linksextremisten und Moslems, die den Koran wortwörtlich nehmen (Salafisten), zeigen würde. Das tut er aber nicht, mit diesem „Pluralismus“ hat er anscheind keine Probleme.
    Die Forderung eine Beleidigung an einem Bürger mit Migrationhintergrund quasi automatisch in die Statistik von rechtsradikalen Straftaten zu packen, verwundert mich schon.
    Wird in Deutschland eigentlich statistisch erfasst wenn islamische Täter Deutsche oder generell Nicht-Muslime aufgrund ihrer Ethnie, ihres Fleischverzehrs oder ihres nicht-muslimischen Glaubens beleidigen, verprügeln oder ausrauben?

  3. Dirk sagt:

    @Berlincalling, Dein Vergleich ist realitaetsfern oder soll Dein Kommentar lustig sein?

  4. Berlincalling sagt:

    @Dirk
    Ich glaube nicht das der Vergleich realitätsfern ist, Oder sind Sie etwa der Meinung Rassismus kann nur vom bösen weißen Mann ausgehen? Wenn lybische Rebellen nach der „Revolution“ Schwarzafrikaner regelrecht jagen, verprügeln und schlimmeres machen, ist das dann kein Rassismus?

  5. paxaurea sagt:

    Es gibt genug Verrückte neben den Rechten. Religiöse Extremisten gibt es auf allen Seiten mehr als genug, wer damit leben kann, daß neben Piusbrüdern und Opus Dei, auch Scientology, Salafisten und andere religiöse Eiferer bzw. Gefahren verboten und bekämpft werden, zeigt Verstand, wer nur einer Gruppe an den Kragen will, sollte uns gestohlen bleiben.

    Der islamische Extremismus ist organisiert und zeigt sich offen, das heißt, islamische Kleriker, die anständig, ehrenwert und zivilisiert sind, haben gute Chancen Extremisten zu erkennen und gegen sie anzugehen. Eine Gemeinde, die sich den Vogel einlädt, hat ethisch und moralisch vesagt.

    Religion ist wertlos, wenn sie Menschenrechte verletzt, dabei hilft es auch nicht, wenn man das Menschenrecht der Freiheit von Weltanschauung und Religion über die anderen Menschenrechte setzt und Religion erlaubt Menschenrechte zu verletzen und Menschen zu zwingen zu glauben, daß sie sich selbst und ihren Familien Freiheit und Grundrechte einschränken müssen.

    Wer in Deutschland leben will, muß Deutsch können, er oder sie muß bereit sein einen Teil seiner Vergangenheit hinter sich zu lassen.

    Die wenigsten Migranten, die sich Nachbarn mit dem gleichen Migrations-
    hintergrund suchen, haben Erfolg, Migranten, die sich mit ihrer neuen Heimat auseinandersetzen und nicht vor ihr verstecken und nicht Klein-X
    spielen, haben in der Regel die besten Chancen Erfolg zu haben und Teil der Gesellschaft zu werden. Ohne den Willen sich zu integrieren und assimilieren gäbe es keinen Django Asül, den wir eher als Oberbayern denn als Nachkomme von Einwanderern wahrnehmen, sieht man das Kerlchen, denkt man nicht an seinen Migrationshintergrund, sondern „Was für einen Urbayern haben wir denn hier …“.

    Beleidigungen im Internet sollte man nicht mehr ernst nehmen. Veräppelt man in einem Kommentar Rechte wird man gleich als Kommunist, Gutmensch, Antideutscher, Verräter, Arschloch und anderes tituliert, veräppelt man extremistische Moslems, wird man gleich als Nazi, Schwein und anderes beschimpft, …, Mord- und Gewaltandrohungen sind auch nicht selten, wobei es natürlich lustig ist, wenn religiöse Extremisten einem mit Todesengeln und Selbstzweifeln auf dem Sterbebett drohen.

    Eine Morddrohung habe auch ich schon bekommen, die kam von islamischen Extremisten, während die meisten Androhngen körperlicher Gewalt im Internet zu mir von Rechten kamen.

    An ihrer Stelle würde ich mich geschmeichelt fühlen, immerhin nehmen die Rechten das, was sie sagen, ernst und nehmen sie selbst als Person wahr, daß sie für die ein Feind sind, ändert nichts daran.

    Allerdings, da sie gerade die deutsche Bevölkerung als Rassisten und Neonazis beschimpfen, zeigen sie doch, daß sie nicht besser sind. Sie picken sich ein paar negative Beispiele heraus und setzen die als Maßstab für alle ein. Anders arbeiten die Geisteszwerge auf PI-News.net, … etc. auch nicht und die Lügen und Märchen, welche die Rechten verbreiten, sind auch nicht anders gestrickt als die Lügen und Märchen von Kernkraftgegnern und anderen Gruppen.

    Sie beleidigen eine große gesichtslose Masse und beschweren sich, weil sie direkt von jemanden beleidigt werden. Ehe sie gegen die neue Rechte ins Feld ziehen, sollten sie erst einmal ihre Makel, Fehler und Haßtiraden ablegen, wer erst einmal versucht mit Rassismusvorwürfen andere in die Defensive zu drängen und so Unterstützung einsammeln will, hat einen bedenklichen Mangel an Ethik, Menschlichkeit und Vernunft.

    pugio in averso belli

  6. Kosmopolit sagt:

    @Dirk, wo leben Sie?
    http://www.amazon.de/Deutsche-fremde-Ausl%C3%A4ndergewalt-Deutschland-Hintergrund/dp/3935063652
    Deutsche Opfer, fremde Täter. Ausländergewalt in Deutschland. Hintergrund – Chronik – Prognose
    Ansonsten kann ich Berlincalling nur zu stimmen

  7. Kritiker sagt:

    Pluralität darf nicht als Bedrohung gesehen und interkulturelle Kompetenzen müssen auf allen Ebenen gefördert werden.

    Sagt wer? Leben wir in einer Diktatur?

  8. Melebert sagt:

    Auweia, was hier alles für Kommentare abgegeben werden. Im Artikel wird klar von Rassismus gesprochen und nicht ausschließlich rechter Rassismus thematisiert. Dass der Autor vor allem mit rechtsradikalem Rassismus zu tun hat, ist seine ganz persönliche Erfahrung und die darf er auch thematisieren, doch ihm deshalb vorzuhalten, „Ich würde ja gerne mit Ihnen sein, wenn Sie dann auch mit mir sind.“, oder ihm gar vor zuhalten, dass es auch Rassismus aus der anderen Richtung kommt, als aus er er die Erfahrung gemacht hat, ist ein engstirniges Gegenzählen von Erbsen, zumal derAutor er es so nicht geschrieben hat und er sich nicht gegen den Kampf dieser Ausprägungen von Rassismus und Fremdenhass/-feindlichkeit stellt.

    Mir gefällt insbesondere der folgende Teil im Artikel:

    Rassismus kann nur mit allseitigen Konzepten bekämpft werden. Dabei müssen wir nicht nur die Erscheinungsformen, sondern auch die Ursachen bekämpfen.

    Hier wird klar von Erscheinungsformen gesprochen, also alle Arten des Rassismus mit einbezogen. Das Heulen über die Einseitigkeit ist also fehl am Platze.

    Zur Unterstützung seiner Aussagen bezüglich seiner Erfahrungen: Es gibt starke Indizien, dass staatliche Institutionen blind sind auf dem rechten Auge. Wie blind z.B. die polizeiliche Zuordnung von Straftaten hinsichtlich rechts und links ist, zeigt unter anderem der Blogeintrag von annalist. Zu den statistischen Daten bezüglich den anderen Straftaten aus anderen Motivationen, kann ich nichts sagen. Doch es bringt nichts, Indizien nicht zur Kenntnis zu nehmen, wie es die Machthabenden Politiker tun.

  9. Dirk sagt:

    @Berlincalling, @Kosmopolit, der Artikel handelt von Rechtsextremismus in Deutschland. Ja, es gibt Rassismus in vielen Ländern, da kann viele Bücher schreiben. Aber rassistische Gewalt in Deutschland aufgrund des Fleischverzehrs ist realitätsfern.

  10. Fikret sagt:

    Ja, Rechtsextremismus sowie vor 20 Jahren,wie Hoyerswerda oder sonst wo ist wieder auferstanden und dazu noch saloonfähig geworden. Die kommen jetzt mit Islam und so. Jeder dritte Idiot redet jetzt von Islam , ohne dass die Herschaften eine Ahnung davon haben. In Wirklichkeit, überall auf der Welt, setzt sich westlich Lebensweise durch, nicht der Islam.