Anhörung im Asylverfahren

Entscheidung über Leben und Tod per Videochat

Das BAMF führt seit fast einem Jahr Anhörungen im Asylverfahren im Wege Videokonferenz durch. Ziel sei es, das Personal des Bundesamtes effizienter einzusetzen. Pro Asyl und Ulla Jelpke (Die Linke) kritisieren das Vorgehen.

Dienstag, 30.08.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 29.10.2011, 14:35 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat seit November 2010 insgesamt 140 Anhörungen im Asylverfahren im Wege Videokonferenz durchgeführt. Das teilte das Bundesinnenministerium auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Josef Winkler bereits im Juni 2011 mit. Zuvor sei das Verfahren „in einer dreimonatigen, erfolgreich verlaufenen Projektphase erprobt worden“, so eine aktuelle Antwort auf eine weitere parlamentarische Anfrage der Linksfraktion.

Uneinigkeit besteht nun darin, aus wessen Sicht die Testphase „erfolgreich“ verlaufen sei. Die Bundesregierung führt zwei Argumente für dieses Vorgehen an: Zum einen erforderten steigende Asylantragszahlen eine gleichmäßige Auslastung des Personals der Außenstellen. Zum anderen werde so eine zeitnahe Entscheidung ermöglicht.

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Eine Frage von Leben und Tod
Pro Asyl sieht diese Praxis sehr kritisch. „Die Asylanhörung ist das Kernstück eines fairen Verfahrens, denn die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben eines Asylsuchenden kann eine Frage von Leben und Tod sein.“ Umso wichtiger sei die Frage nach der Glaubhaftigkeit der Antragstellenden, über die allein in einer persönlichen Anhörung entschieden werden könne.

Es sei zweifelhaft, ob diese Praktiken insgesamt überhaupt noch die im Asylverfahrensgesetz normierte Pflicht des Bundesamtes einlösen, „den Ausländer persönlich anzuhören.“ Pro Asyl vertritt seit jeher die Auffassung, dass die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Asylantragstellern nur im direkten Dialog möglich ist.

Persönlich am Bildschirm
Die Bundesregierung kontert, dass „die Anhörung per Bild- und Tonübertragung eine persönliche Anhörung im Sinne des § 24 Asylverfahrensgesetz“ darstellt. Die persönliche Anhörung verlange nicht die gleichzeitige Anwesenheit der Beteiligten im selben Raum. Auch bei einer Anhörung per Bild- und Tonübertragung sei es möglich, auf den Betroffenen einzugehen und auf die jeweilige Anhörungssituation angemessen zu reagieren.

„Für höchst wacklig“ hält diese Rechtsauffassung die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke. „Schlimmer noch ist, dass die Bundesregierung nicht einmal im Ansatz erkennt, dass es bei einer Anhörung von Asylsuchenden in einem fremden Land einer vertrauensvollen Atmosphäre bedarf, in der sich die Betroffenen mit allen persönlichen und unter Umständen sehr intimen Details öffnen können sollen. Dem entspricht es nicht, wenn sie solche Erklärungen in den leeren Raum hinein sprechen sollen. Unter solchen Umständen werden traumatisierte Personen oder vergewaltigte Frauen noch weniger in der Lage sein, ihre Verfolgung zu schildern“, so die Linkspolitikerin.

Beschämend
Die Bundesregierung entgegnet diesem Einwand, dass Anhörungen von Traumatisierten, geschlechtsspezifisch Verfolgten und Minderjährigen „grundsätzlich nicht im Wege der Bild- und Tonübertragung durchgeführt“ werden. Stelle sich während der Anhörung heraus, dass eine Sonderbeauftragte oder ein Sonderbeauftragter hinzugezogen werden müsse, werde die Anhörung abgebrochen.

Pro Asyl überzeugt das nicht: „Da es aber etwa für Traumatisierte beim Bundesamt kein effektives Früherkennungssystem gibt, ist dies lediglich eine freundliche Absichtserklärung. Mit diesem Verfahren bräuchten die Bundesamtsbediensteten bei den Videokonferenzen künftig noch weniger von dem, was in einigen Außenstellen ohnehin rar ist: Empathie.

Jelpke ergänzt: „Erst vor wenigen Wochen wurde mit schönen Worten der 60. Jahrestag der Genfer Flüchtlingskonvention gewürdigt. Die Praxis der Videoanhörung ist vor diesem Hintergrund erst recht beschämend und muss sofort beendet werden.“ (hs)
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